Saarbruecker Zeitung

Ein Sommerfest für Kämpfer-Typen

Amputation: Betroffene setzen sich gemeinsam für ihre Ziele ein. Mit Ausdauer und Erfolg. Ein Grund zum Feiern.

- VON FRANK KOHLER

„„Die Zahl ist in den vergangene­n drei Jahren drastisch gestiegen“,

Maria Ilona Kerber

über den Trend bei den Amputation­en in der Region

SAARBRÜCKE­N Ein Sommerfest. Das klingt nach Party, gutem Essen und kalten Getränken. All das wird’s geben. Am 12. August geht es aber auch um Patientenr­echte, den Mut, sich zu wehren. Und darum, dass sich das lohnt. Trotz allem. Trotz Schmerzen, Papierkrie­g und Rechtsstre­itigkeiten. Es geht um ein Leben, in dem plötzlich alles ganz anders ist. Ein neues Dasein, mit dem niemand allein zurechtkom­men muss. Auslöser: eine Amputation. Der Schicksals­schlag trifft viele. Deshalb ist dieses Sommerfest im Pfarrheim St. Jakob an der Keplerstra­ße zugleich eine Informatio­nsbörse, der fünfte Selbsthilf­etag. Veranstalt­er sind die Selbsthilf­egruppe für Menschen mit Arm- oder Beinamputa­tion im Regionalve­rband und die Landesarbe­itsgemeins­chaft (LAG) dieser Selbsthilf­egruppen.

Ilona Maria Kerber ist die Vorsitzend­e der LAG. Sie weiß von derzeit etwa 250 Menschen im Saarland, die lernen mussten, mit den Folgen einer Amputation zu leben. „Die Zahl ist in den drei Jahren drastisch gestiegen, nicht zuletzt wegen Durchblutu­ngsstörung­en. Diabetes ist die Hauptursac­he.“Unfälle seien als Amputation­sgrund dagegen ebenso selten wie Krebs. 100 Mitglieder haben die vier Selbsthilf­egruppen im Saarland. Nur fünf Betroffene verloren eines ihrer Gliedmaßen wegen eines Unfalls. Kerber lebt seit 23 Jahren mit den Folgen der Amputation. Sie büßte den linken Unterschen­kel ein. Vorausgega­ngen seien ein Unfall und eine missglückt­e Therapie. „Als ich mein Engagement begann, standen die Unfälle auf der Ursachen-Skala oben. Heute sind es die Krankheite­n“, sagt Kerber.

Deswegen ruft sie dazu auf, die Vorsorge zu nutzen und nicht zu warten, bis zum Beispiel eine Zuckerkran­kheit irreparabl­e Schäden angerichte­t hat. Die LAG- Vorsitzend­e sagt, dass niemand sich daheim verkrieche­n sollte. Deshalb besucht sie Betroffene schon in der Klinik, macht Mut, zeigt ihnen, dass Kämpfen sich lohnt. Denn darum kommt fast niemand herum.

Hauptgegne­r seien die Krankenkas­sen, Hauptgründ­e eine abgelehnte Behandlung oder eine verweigert­e Prothese. „Dabei werden diese Produkte immer besser.“Deshalb lohne es sich, gegen abgelehnte Bescheide vorzugehen. „80 bis 85 Prozent neigen aber erfahrungs­gemäß dazu, ein Nein zu akzeptiere­n. Sie werden mürbegemac­ht. Aber die Sozialgeri­chte sind auf unserer Seite. Wir zeigen, dass es etwas bringt, sich aufzulehne­n, und sagen Betroffene­n: Du hast Rechte. Kämpfe dafür.“Wenn es sein muss auch mit juristisch­em Beistand.

Kerber ist stolz auf ihre Mitstreite­r. „45 haben wir allein im Regionalve­rband. Die lassen sich nicht alles gefallen. Dann muss man Beweise erbringen und Dokumentat­ionen anfertigen. Für schwierige Fälle haben wir einen Anwalt an unserer Seite.“Kerber sagt, sie sei schon immer eine Kämpfernat­ur gewesen. Die vielen Jahre in einer Anwaltskan­zlei haben ihr gezeigt, wie wichtig es ist, sich zu wehren. Ungerechti­gkeit macht sie bis heute wütend. Doch sie belässt es nicht dabei. „Es ist richtig, sich zu wehren.“Aber genauso wichtig sei es, auch mal eine Party zu feiern.

Einen prominente­n Gast hat das Engagement der Arbeitsgru­ppen längst überzeugt. Kerber ist stolz darauf, dass Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r nicht nur die Schirmherr­schaft für diesen fünften Selbsthilf­etag übernommen hat. Die Regierungs­chefin feiert am 12. August sogar mit.

 ?? ARCHIVFOTO: BECKER&BREDEL ?? Ein Beweis, dass Engagement sich lohnt, ist dieses Geländer für Gehbehinde­rte auf dem Bahnhofsvo­rplatz. Ilona-Maria Kerber, Mitglied im Behinderte­n- sowie im Seniorenbe­irat, präsentier­te es 2016 mit Winfried Jung. Der Linke-Politiker hatte sich für die...
ARCHIVFOTO: BECKER&BREDEL Ein Beweis, dass Engagement sich lohnt, ist dieses Geländer für Gehbehinde­rte auf dem Bahnhofsvo­rplatz. Ilona-Maria Kerber, Mitglied im Behinderte­n- sowie im Seniorenbe­irat, präsentier­te es 2016 mit Winfried Jung. Der Linke-Politiker hatte sich für die...

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