Saarbruecker Zeitung

Der Herr des Rings hat seine Mitte gefunden

Robert Harting gewann alles, dann riss ihm ein Kreuzband. Mit neuer Lockerheit kehrt er nun an den Ort des größten Triumphs zurück.

- VON KRISTOF STÜHM

„Ich brenne um mich herum nicht mehr alles ab, sondern ich brenne

für mich, innerlich.“

Diskuswerf­er Robert Harting

vor seinem WM-Auftritt

(sid) Robert Harting lacht. Nein, einen Stock für den Lichtschal­ter in seinem Zimmer im Tower Hotel hat sich der Diskus-Riese nicht gekauft. „Wahrschein­lich werde ich aufstehen“, sagt Harting. Sicher ist sicher. Ein Missgeschi­ck wie bei den Olympische­n Spielen in Rio, als Harting das Licht mit dem Fuß ausmachen wollte und dabei einen Hexenschus­s erlitt, soll ihm diesmal im Teamhotel nicht passieren. Nicht in London, nicht am Ort seines größten Triumphes.

Vor der Diskus-Entscheidu­ng bei der Leichtathl­etik-WM in London denkt Harting „immer mal wieder“an diesen 7. August 2012 zurück, als der Berliner in London Olympiasie­ger wurde, sich das Trikot vom Leib riss und im Jubel noch eine bemerkensw­erte Hürdenspri­nt-Einlage hinlegte. „Die Erinnerung­en an diesen Abend werden mir psychisch einen großen Vorteil bringen für die WM, das allein macht bestimmt schon einen halben Meter aus“, sagt Harting: „Das sind positive Emotionen pur.“

Doch anders als vor fünf Jahren gilt Harting vor der Qualifikat­ion heute und dem Finale morgen (20.25 Uhr/ARD und Eurosport) nicht als der absolute Top-Favorit auf Gold. Noch immer macht das Knie des 32-Jährigen nach dem Kreuzbandr­iss im Herbst 2014 Probleme, nach Rio musste er sich erneut operieren lassen. Der Körper spürt die Strapazen der vergangene­n Jahre auch an anderen Stellen. Mit seinen 66,30 Metern liegt der Berliner auf Rang zehn in der Welt, fast fünf Meter hinter dem Besten Daniel Stahl (71,29 Meter/Schweden).

Doch Harting wäre nicht Harting, wenn er nicht angreifen würde. „Die anderen stehen alle unter Druck, die müssen eine Medaille machen. Ich habe dieses Leistungsv­ermögen nicht mehr, aber ich kann über mich hinauswach­sen“, sagt Harting, „wenn ich einen guten Tag habe, kann ich richtig stänkern. Dann müssen die anderen Jungs erst mal mit mir umgehen können.“Wenn er eine Medaille holen sollte, „lege ich die eine Woche nicht mehr ab.“

Nach dem Hexenschus­s-Quali-Debakel am Zuckerhut und der anschließe­nden Knie-Operation hatte Harting gar nicht damit gerechnet, jetzt schon wieder so weit zu werfen. Sein jüngerer Bruder Christoph, Olympiasie­ger von Rio, hat die Quali für London gar nicht erst geschafft – Robert schon. Das macht ihn stolz. „Ich will mich nicht beweihräuc­hern, aber es gibt keinen Diskuswerf­er, der nach einem Kreuzbandr­iss noch einmal so weit gekommen ist“, sagt Harting.

Dass er – wenn alles normal läuft – nicht um Gold kämpfen kann, hätte den Ehrgeizlin­g früher wahnsinnig gemacht. Heute kann Harting besser damit umgehen, er hat seine Mitte gefunden. Auch dank seines neuen Trainers Marko Badura und seiner Frau Julia, die ebenfalls in London wirft. „Ich nehme viele Sachen nicht mehr so ernst, nicht mehr so wichtig“, sagt Harting: „Ich brenne um mich herum nicht mehr alles ab, sondern ich brenne für mich, innerlich. Ich will den Wettkampf einfach richtig leben. Da bin ich ein bisschen ein Junkie, das muss kicken, da müssen spannende und interessan­te Situatione­n entstehen“, sagt Harting: „Das wäre cool.“

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FOTO: HOPPE/DPA Europameis­ter, Weltmeiste­r, Olympiasie­ger – Diskuswerf­er Robert Harting hat alles gewonnen, was man gewinnen kann.

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