Schönheitsklinik für alte Katzen
Nahe der Firmenzentrale hat Jaguar Land Rover (JLR) im englischen Coventry ein Gebäude zur Pflege seiner Oldtimer eröffnet. Dort werden alte Fahrzeuge gesammelt, bei Bedarf auch repariert, und einige Raritäten werden nachgebaut.
Weltweit existieren noch rund 1,5 Millionen betagte Jaguarund Land-Rover-Modelle. Viele von ihnen sind Ikonen, und manch einer der Besitzer hat sicherlich Interesse daran, sein Prachtstück zur umfangreichen Aufarbeitung ins neue Oldtimer-Zentrum von Jaguar und Land Rover nach England zu schicken. Doch „unsere Auftragsbücher haben erst wieder in einem Jahr freie Kapazitäten“, erläutert Tim Hannig. Er ist Direktor von JLR Classic Works, einem großen Projekt, das sich um das Erbe der beiden traditionsreichen britischen Autohersteller kümmern soll.
„Endlich!“, entfährt es manchem begeisterten Oldtimer-Fan, unter ihnen auch Norman Dewis, ehemaliger Jaguar-Chefwerksfahrer und -Entwickler, der im Alter von 96 Jahren bei der Eröffnung einen ebenso fitten Eindruck macht wie die schon auf Vordermann gebrachten vierrädrigen Schätze.
Tatsächlich sind andere Hersteller mit Historie wie zum Beispiel Mercedes-Benz viel früher auf die Idee gekommen, die entsprechenden Arbeitsbereiche unter einem Dach zu bündeln – und sie vor allem in die eigenen Hände zu nehmen, statt zahlreichen anderen Aufbereitern das lukrative Geschäft zu überlassen. „Ab September führen wir hier auch Besichtigungstouren durch“, sagt Hannig und weist in Richtung der weiträumig angelegten Abteilungen im Erdgeschoss seiner Schmiede.
Beim Gang durch die Hallen, in die rund sieben Millionen Pfund (7,9 Millionen Euro) investiert wurden und in denen sich bis zum Jahresende 120 Mitarbeiter tummeln werden, bemerkt nicht nur Hannig: „Hier werden Träume wahr.“Wer seinen Scheunen-Fund, sein Oldtimerrallye-Schätzchen oder einfach nur ein Spekulationsobjekt vorfährt, erlebt von der ersten Sekunde an Hand- und Augenarbeit erster Klasse. Nach einem 121-PunktePlan sichten die Fachleute den Klassiker bis in die letzte Verwinkelung. Danach richtet sich, wie weit er zerlegt, aufgefrischt und wieder aufgebaut wird. „Wir haben rund 30 000 historische Teile verfügbar“, erklärt der langjährige JLR-Mitarbeiter Greg King, „manchmal verlässt den Autohänger ein Fahrzeug, das schon seit den 70er Jahren nur gestanden hat. Ein bisschen Öl, etwas Batterieaufladen, und nach 20 Minuten läuft es wieder.“
Natürlich sind alle Oldies irgendwie einzigartig und haben ihre Eigenheiten – oftmals von Menschen verschuldet. „Bei einem Serie-1Land Rover, der jahrelang unter einem australischen Baum geparkt war, müssen wir erst einmal die grüne Dschungel-Patina ablösen.“ Auch aufwändigere Wünsche werden mit größter Selbstverständlichkeit berücksichtigt. Eine Kundin möchte ihren linksgelenkten EType nach der Generalüberholung als Rechtslenker abholen.
Wie nahe die Restauratoren an der Historie sind, aber auch selbst überrascht werden, kann man bei Greg Kings Plaudereien aus dem Nähkästchen erfahren: „Kürzlich hatten wir zwei Serie-1-Land Rover zur gleichen Zeit zerlegt. Sie kamen aus unterschiedlichen Erdteilen zur Restaurierung. Und dann stellten wir fest, dass sie in der Originalfertigung nur fünf Chassisnummern voneinander entfernt waren. Das ist Geschichte, bei der es einem wohlig wird.“Auch die Besitzer von Youngtimern finden ein offenes Ohr in Coventry. Der Supersportwagen XJ220 wurde in den frühen 1990er Jahren nur 300 Mal gefertigt. Sechs davon stehen derzeit bei JLR Classic Works zur Frischekur. Neben der gründlichen Pflege gibt es auf Wunsch auch einen neuen Satz Reifen. Die Pirelli-Pneus sind erst kürzlich eigens für den XJ220 entwickelt worden – für seine Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h. Damit taucht der XJ220 künftig sicherlich wieder aktiv auf manchen Rennstrecken auf.
Hinter dem Begriff „Fortgeführte Legenden“steckt ein besonderes Schmankerl. Vom HochleistungsSportwagens XKSS waren 1957 bei einem Brand im Werk Browns Lane neun Exemplare unmittelbar vor der Auslieferung zerstört worden. Anhand der Fahrgestellnummern konstruieren die Meister nun neun neue Versionen. Der Preis in Höhe von 1,5 Millionen Euro pro Stück hat offenbar einige Liebhaber nicht abschrecken können. Alle neune sind bereits verkauft.
Weiche Knie bekommt man unweigerlich im Bereich der Kollektion. Buchstäblich gestapelt sind dort mehrere 100 Jaguar- und Land-Rover-Modelle, die sich in Firmenbesitz befinden und nicht verkauft werden, darunter der Swallow Sidecar von 1920, den der Jaguar-Gründer Sir William Lyons als ersten der mittlerweile unbezahlbaren Schätze produziert hat.
Geschäftstüchtig schlägt Tim Hannig den Bogen in die Zukunft, wenn er am Classic-Works-Eröffnungstag auf den soeben enthüllten Neuwagen XF Sportbreak verweist: „Ich lade Sie heute schon ein, in 50 Jahren diesen Kombi hier mit uns als erfolgreichen Klassiker zu feiern.“