Saarbruecker Zeitung

Die fremde Welt im Mittelmeer

Obwohl die Insel seit dem 18. Jahrhunder­t zu Frankreich gehört, gelten auf Korsika noch immer ganz eigene Regeln.

- VON SABINE GLAUBITZ

(dpa) Rechts blanke Felsen und massive Granitvors­prünge, links eine kleine Mauer, die vor dem Abgrund schützt. Haltepunkt­e gibt es auf der engen und kurvigen Straße kaum, die sich hoch nach Casamaccio­li im Norden Korsikas schlängelt. Auf einer Länge von etwas mehr als zehn Kilometern überwindet die Straße 500 Höhenmeter. Die Strecke durch die Scala di Santa Regina, die Treppe der Heiligen Königin, ist nicht ganz ungefährli­ch. Dafür gehört die Schlucht zu den schönsten der Insel.

Casamaccio­li liegt in der Region Niolu, einem Hochplatea­u im Landesinne­rn, umrahmt vom Monte Cintu und der Paglia Orba, den höchsten Bergen Korsikas. Rund 30 Kilometer sind es von der früheren Inselhaupt­stadt Corte hier hinauf. Lange war die Scala di Santa Regina, einst ein Maultierpf­ad, der einzige Zugang zu Niolu. Heute gelangen Reisende auch über den auf 1664 Metern gelegenen Col de Vergio – den höchsten Pass Korsikas – nach Casamaccio­li.

An manchen Tagen sind Besucher auf ihrem Weg dorthin nicht allein. So zum Beispiel am 8. September, an dem die Geburt der Jungfrau Maria gefeiert wird. Der Ehrentag lockt alljährlic­h Tausende von Menschen in das Bergdorf. Denn dann wird Korsikas berühmtest­es Marienfest gefeiert: A Santa di u Niolu. Maria ist die Schutzpatr­onin Korsikas. Die Einheimisc­hen danken ihr vor allem für den Schutz vor der Pest, die mehrmals auf der Mittelmeer­insel wütete.

Ankunft in Casamaccio­li. Auf dem Vorplatz der gelb getünchten Kirche herrscht bereits rege Betriebsam­keit. Der Prozession­szug setzt sich in Bewegung. Der Bischof geht voran, es folgt die Madonna aus Holz und dahinter mehrere Bruder- und Schwestern­schaften. Die Prozession zieht an Verkaufsst­änden mit korsischen Spezialitä­ten vorbei, wie dem butterweic­hen Schinken Prisutu, der luftgetroc­kneten Lonzu, einer Wurst aus halbwilden Schweinen, und dem Calenzana, einem milchigen Ziegenkäse mit pikantem Aroma. Korsika, das keine 90 Kilometer vom italienisc­hen Festland entfernt ist, wurde fünf Jahrhunder­te von den Genuesen beherrscht. Spuren davon sind auch in der korsischen Küche zu finden, die in meisterhaf­ter Vollendung Französisc­hes mit Italienisc­hem mischt. Korsische Nudelgeric­hte scheuen keinen Vergleich mit italienisc­her Pasta.

Aus der korsischen Küche nicht mehr wegzudenke­n ist auch der weiche Frischkäse Brocciu aus Ziegenoder Schafsmilc­h. Die Bauern und Händler in Casamaccio­li verkaufen ihn in allen Formen und Variatione­n, denn man kann ihn zu jeder Mahlzeit servieren: morgens als Brotaufsch­nitt, mittags oder abends im Omelette und nachmittag­s in jedem Fiadone (Käsekuchen). Am besten sei der Brocciu zwischen Ostern und Allerheili­gen, sagen die Einheimisc­hen. Denn durch die jungen Gräser und Kräuter, die die Tiere zu dieser Zeit fressen, bekomme die Milch ein besonders würziges Aroma.

Apropos Aroma: Die Korsen würzen gern und reichlich. Die Macchia, wie der immergrüne Buschwald auf der Insel heißt, bedeckt die Hälfte des Eilands und verströmt den Duft von Thymian, Majoran, Rosmarin, Basilikum und Myrte. Napoleon Bonaparte, französisc­her Kaiser und wohl der bekanntest­e Korse, soll gesagt haben, dass er die Insel mit verbundene­n Augen allein am Duft erkenne.

Die Migliacci, Pfannkuche­n aus dem Backofen mit frischem Brocciu-Käse, sind ein Hochgenuss. Und das kühle Pietra, Korsikas süßlich schmeckend­es Kastanienb­ier, ein willkommen­er Durstlösch­er an heißen Tagen.

Kastanienm­ehl dient den Inselbewoh­nern als Grundlage zahlreiche­r Gerichte und Produkte. Seit einigen Jahren wird sogar Whisky aus ihm destillier­t. Reisende erfahren bei einem Besuch der Domaine Mavela bei Aléria an der Ostküste, dass eine Flasche Pietra Mavela neben Weizen und Mais rund 500 Kastanien enthält. Das in Eichenfäss­ern gelagerte Getränk können Besucher gleich probieren.

Die A Santa di u Niolu ist purer Ausdruck korsischer Lebensart. Die Insel liegt nur rund 180 Kilometer vom französisc­hen Festland entfernt, dennoch scheinen Welten dazwischen zu liegen. Nirgendwo in Frankreich, wo Staat und Religion spätestens seit 1905 streng getrennt sind, bleiben religiöse Bräuche so lebendig wie hier. Vor allem aber spricht man hier Korsisch, das nicht nur die Älteren beherrsche­n.

Am späten Nachmittag ist es Zeit, Casamaccio­li zu verlassen. Das nächste Etappenzie­l liegt bei Ghisonacci­a an der Ostküste und heißt Costa Serena, die ruhige Küste. Dort warten weite lange Sandstränd­e – und ein Glas Patrimonio auf den Besucher. Der Wein gilt als der edelste Tropfen der Insel. Er wird vorwiegend aus Trauben gewonnen, die auf dem französisc­hen Festland nicht wachsen. Korsika ist eben eine Welt für sich.

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FOTO: ATOUT FRANCE Besonders bei Sonnensche­in laden die weiten Strände und historisch­en Bauwerke zum Erkunden des Inselparad­ieses ein. Und zu entdecken gibt es viel.

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