Saarbruecker Zeitung

Genossen wittern CDU-Kampagne

Niedersach­sens Ministerpr­äsident droht vor den Neuwahlen am 15. Oktober erneut Ärger. Die SPD wittert einen perfiden CDU-Schachzug.

- VON STEFAN VETTER

HANNOVER Knapp sieben Wochen vor der Bundestags­wahl steckt die SPD in schwerem Fahrwasser. Nach dem Verlust der rot-grünen Mehrheit in Niedersach­sen wegen einer abtrünnige­n Grünen-Abgeordnet­en ist Ministerpr­äsident Stephan Weil auch mit einem brisanten Aspekt der Diesel-Affäre konfrontie­rt. Die Union forderte den Rücktritt des SPD-Regierungs­chefs.

Stephan Weil versuchte schon am Sonntagabe­nd in die Offensive zu kommen. Um den Vorwurf einer massiven Einflussna­hme des VW-Konzerns auf eine bereits im Oktober 2015 gehaltene Landtagsre­de zu entkräften, ließ der SPD-Spitzenpol­itiker einen Vergleich seines ursprüngli­chen Redeentwur­fs mit dem seinerzeit tatsächlic­h gehaltenen Vortrag veröffentl­ichen. Daraus ergeben sich zahlreiche Änderungen, die Weil aber lediglich als unbedeuten­de Korrektur im Detail verstanden wissen will. Im Kern sei der Redetext unveränder­t geblieben. Tatsächlic­h blieb die Schlüsselp­assage von Weils VW-Kritik erhalten. Sie lautet: Alle seien tief betroffen und entsetzt, „dass bei Volkswagen über etliche Jahre hinweg Abgaswerte manipulier­t worden sind. Dieses Vorgehen ist unverantwo­rtlich, völlig inakzeptab­el und durch nichts zu rechtferti­gen“. Andere Stellen wurden allerdings auch abgeschwäc­ht. Statt der ursprüngli­ch im Manuskript enthaltene­n Passage „Volkswagen hat damit gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbrauch­t“sagte Weil am Rednerpult: „Damit ist gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbrauch­t worden“. Im September 2015, also kurz vor der Rede, war in den USA der Skandal um manipulier­te Abgaswerte durch VW aufgedeckt worden.

Formal betrachtet sind sämtliche Änderungen in Weils Rede wenig spektakulä­r. Das umso mehr, als sie bereits im vergangene­n Jahr Thema im Wirtschaft­sausschuss des niedersäch­sischen Parlaments war und es zwischen der Staatskanz­lei in Hannover und VW auch schon unter der schwarz-gelben Vorgänger-Regierung eine enge Abstimmung gab. Das Land Niedersach­sen ist Anteilseig­ner von VW. Deshalb sitzt Weil auch im Aufsichtsr­at des Konzerns.

Dass seine damalige Regierungs­erklärung ausgerechn­et jetzt wie ein Skandal behandelt wird, da Weil vor Neuwahlen steht, beflügelt Spekulatio­nen, wonach die Union dabei kräftig nachgeholf­en haben könnte. Die CDU in Niedersach­sen fahre eine Kampagne gegen Weil, meinte gestern SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil. Er könne sich auch vorstellen, dass die Union hinter der Veröffentl­ichung stecke. Zuerst hatte die „Bild am Sonntag“darüber berichtet.

Nach Einschätzu­ng von CDU-Generalsek­retär Peter Tauber habe Weil die Vorwürfe gegen ihn bislang nicht entkräften können. Der Ministerpr­äsident solle daher einem Neuanfang nicht länger im Weg stehen. Noch deutlicher wurde Taubers CSU-Amtskolleg­e Andreas Scheuer: „Das Gemauschel bei der Regierungs­erklärung in Niedersach­sen ist eine handfeste Affäre und muss definitiv Weils Rücktritt bedeuten“.

Auch die Bundes-Grünen sind dem bedrängten Regierungs­chef keine Hilfe. Ihr Spitzenkan­didat, Cem Özdemir, hatte schon am Sonntag erklärt: Wenn Weil eine Regierungs­erklärung von VW „abnicken lässt, ist das Fundament unserer Marktwirts­chaft bedroht“. Etwas milder im Ton klang es bei Co-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt: „Ich denke, das wird er beim nächsten Mal auch anders machen“, sagte sie mit Blick auf Weil. Als eine erste Konsequenz hatte der niedersäch­siche Regierungs­chef die „Praxis der Vorprüfung“, also das Gegenlesen von politische­n Reden durch VW, für beendet erklärt.

Nach Einschätzu­ng des Berliner Parteienfo­rschers Oskar Niedermaye­r könnten die jüngsten Vorgänge um Weil der SPD im Wahlkampf noch schwer zu schaffen machen. „Im Falle der zur CDU übergelauf­enen Grünen-Politikeri­n Elke Twesten gibt es für die Sozialdemo­kraten eine Verteidigu­ngsstrateg­ie“, sagte Niedermaye­r unserer Zeitung. „Aber die Diesel-Affäre funktionie­rt nach der Devise, etwas bleibt immer hängen“. Die Neuwahl in Niedersach­sen soll am 15. Oktober stattfinde­n und damit drei Wochen nach der Bundestags­wahl.

„Das Gemauschel bei der Regierungs­erklärung in Niedersach­sen ist eine

handfeste Affäre.“

Andreas Scheuer

CSU-Generalsek­retär

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FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA
Nach dem Verlust seiner rot-grünen Koalitions­mehrheit muss sich Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD, rechts) gegen weitere Vorwürfe im VW-Dieselskan­dal im Landtag in Hannover verteidige­n. FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA

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