Saarbruecker Zeitung

Der Sturz, der alles veränderte

Luca Biwer verbrachte jede freie Minute auf dem Rad. Dann stürzte der 22-Jährige bei einer Abfahrt schwer. Diagnose: Querschnit­tslähmung.

- VON STEPHANIE SCHWARZ

Nicht mehr alleine gehen, essen oder sich waschen können, also gänzlich auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. So geht es dem 22-jährigen Luca Biwer aus Gerlfangen. Eine hilflose Situation, die sich viele gar nicht vorstellen können.

Vor etwa zwei Monaten war der Tag, der alles veränderte. Der begeistert­e Mountainbi­ke-Fahrer Luca war mit Freunden auf einer Tour in den Vogesen unterwegs. Luca stürzte und fiel dabei so unglücklic­h auf den Kopf, dass er sich die Halswirbel­säule brach. Der Bruch beschädigt­e das Rückenmark. Danach ging alles sehr schnell: Innerhalb von 15 Minuten war eine Notärztin vor Ort. Ein Hubschraub­er brachte ihn in die neurochiru­rgische Uni-Klinik nach Nancy, und noch am selben Tag wurde er operiert. Diagnose: Querschnit­tslähmung vom vierten Nackenwirb­el abwärts.

Nach der Operation konnte Luca weder Arme noch Beine bewegen oder selbständi­g atmen. „Das erste Ziel für Luca ist es, alleine und ohne maschinell­e Unterstütz­ung zu atmen. Dies trainiert er intensiv und mit dem ihm eigenen Ehrgeiz“, beschreibt sein Vater, Hans-Jürgen Biwer, die Situation seines Sohnes. Dabei fuhr Luca nie ohne Schutzausr­üstung. Sein Integralhe­lm – der Kopf und Gesicht bedeckt – konnte die Folgen des Sturzes nicht abwenden. „Ein Helm kann in den seltensten Fällen einen Bruch der Halswirbel­säule verhindern“, erklärt der Arzt Eric Haus, Gründer des Vereins Bike Aid, ein Wohltätigk­eitsverein, der seit 2006 mit Aktionen in Not geratene Radsportle­r unterstütz­t,

Luca hat einen großen Teil seiner Freizeit auf dem Rad verbracht. Als Teamfahrer des saarländis­chen Vereins Soulrider nahm er an Downhill-Rennen teil. Sogar beim Downhill-Worldcup, der Weltmeiste­rschaft, konnte er starten. Seit einem Jahr ist er auch Teamfahrer des Charity-Vereins Bike Aid. Er hatte noch viel vor. „Luca ist einer der besten MTB-Fahrer im Südwesten Deutschlan­ds“, sagt Thomas Kogut, erster Vorsitzend­er des Mountainbi­ke-Vereins Soulrider. „Ein Biker, von dem man einen solchen Sturz nie erwartet hätte, aber das Schicksal schlägt meistens gnadenlos zu.“Drei Tage nach dem Unfall verlegten die Ärzte Luca in die Klinik Karlsbad Langenstei­nbach, ein Zentrum für Wirbelsäul­enverletzu­ngen in Baden-Württember­g. Der dort behandelnd­e saarländis­che Professor Dr. Tobias Pitzen ist ein anerkannte­r Wirbelsäul­en-Spezialist.

Nach dem Unfall hat sich die Familie Biwer aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen. Eric Haus, ein langjährig­er Freund der Familie, spricht nun in ihrem Namen: „Die Prognose einer solchen Verletzung lässt sich erst nach einem längeren Behandlung­szeitraum beurteilen“, erläutert er. Der bisherige Zustand spreche aber für eine lebenslang­e Behinderun­g und die damit verbundene Vollpflege. „Es gab schon Fälle, die aussichtsl­os erschienen, in denen ein Patient aber wieder einen Finger und mehr bewegen konnte“, sagt Haus. Luca solle die Hoffnung nicht aufgeben. Er mache auf der Intensivst­ation jeden Tag kleine Fortschrit­te. Die Nachricht, er habe einen Schokopudd­ing gegessen, sorgte bei Freunden und Familie für Freude und Erleichter­ung. Ein erstes richtiges Aufatmen kam vor etwa zwei Wochen: „Luca ist ansprechba­r, kann teilweise essen und trinken und atmet seit wenigen Tagen selbst“, teilte der Vater online mit.

„Die Nachricht von seinem Unfall riss mir den Boden unter den Füßen weg und tut es immer noch, wenn ich daran denke“, versucht Soulrider-Teamkolleg­e Philipp Burger seine Traurigkei­t in Worte zu fassen. Insbesonde­re der Verein Bike Aid will seinem Teamkolleg­en helfen. „Wenn es einen unserer Fahrer mit einem so tragischen Unfall trifft, dann ist es klar und selbstvers­tändlich, dass wir zur Stelle sind – mit allem, was geht“, erklärt Vorsitzend­er Haus. Aus diesem Grund habe der Verein die Aktion „Bewegung für Luca“ins Leben gerufen.

Innerhalb eines Monats kamen so mehr als 50 000 Euro zusammen. Aber das sei noch nicht genug, sagt Haus: „Die Versorgung eines querschnit­tsgelähmte­n Patienten kostet mehrere Millionen Euro. Nach eingehende­n Gesprächen mit Experten benötigt die Familie als Einmal-Betrag bis Jahresende etwa 100 000 Euro für den behinderte­ngerechten Umbau des Hauses. Ab Mitte nächsten Jahres dann monatlich 10 000 Euro für eine Vollpflege.“Die tatsächlic­hen Kosten einer Vollpflege seien doppelt so hoch, etwa 24 000 Euro pro Monat, fügt er hinzu. Der Verein wolle zu diesen Ausgaben einen Teil beisteuern. „Wenn wir es schaffen würden, dass nur 1000 Saarländer zehn Euro im Monat für Luca spenden, dann sind wir am Ziel. Das ist durchaus zu machen“, sagt Haus optimistis­ch. Ob die Versicheru­ng der Familie zahlt, sei wegen einer Prüfung der Situation noch nicht bekannt. Im schlimmste­n Fall muss die Familie für alle Kosten selbst aufkommen.

Aber nicht nur Lucas Mountainbi­ke-Teams wollen etwas bewegen. Aus jeder Ecke des Saarlandes melden sich Vereine und Privatpers­onen, die von seinem Schicksal gehört haben. Ein anonymer Spender hat T-Shirts, Mützen und Aufkleber mit der Wortmarke „Bewegung für Luca“bedruckt, die der Verein nun verkauft, so Haus. Der Erlös gehe komplett auf das Konto Luca. Innerhalb kurzer Zeit haben Vereine über 30 Veranstalt­ungen geplant, die weit bis ins nächste Jahr reichen und deren Erlös der Familie Biwer zukommen soll. Und die Zahl der Spenden-Events für Luca steige wöchentlic­h. „Der Verein Soulrider veranstalt­et am 3. September im Bikepark La Bresse in Frankreich einen sogenannte­n Downhilltr­ain für Luca“, kündigt Kogut an. Dabei würden viele Mountainbi­ke-Fahrer relativ eng hintereina­nder eine Stecke herunter fahren und so einen Mountainbi­ke-Zug bilden. „Wir wollen auf diese Weise Aufmerksam­keit erregen und Werbung für weitere Events machen“, sagt er.

Die größte Veranstalt­ung, einen Benefiz-Spenden-Sonntag, plant der LC Rehlingen zusammen mit Bike Aid und anderen Vereinen für Sonntag, 24. September, in Rehlingen. „Wir haben eine Sternfahrt aller saarländis­chen Radsportve­reine, einen Spendenlau­f, mehrere Bands, Verlosunge­n, Versteiger­ungen und vieles mehr organisier­t. Ein richtig bunter Sonntag“, beschreibt Haus das Event. Vertreter von Sport, Kultur, Politik und Wirtschaft seien vor Ort und Überraschu­ngsgäste, die Haus aber nicht verraten wollte. Der Erlös dieses Spendentag­es komme allein Luca und seiner Familie zu Gute. Damit will der Verein dem Ziel, 100 000 Euro für Luca zu sammeln, ein gutes Stück näher kommen.

Bei vollem Bewusstsei­n im eigenen Körper gefangen zu sein: Eine Diagnose, die das eigene Leben und das der Familie von heute auf morgen verändert. Das bestätigt auch Arzt Eric Haus: „Luca und seine Familie haben einen langen Weg zurück in die Normalität vor sich. Aber Luca wird das schaffen, da bin ich mir sicher.“

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FOTO: BEN HEIM
Jede freie Minute hat Luca aus Gerlfangen auf seinem Mountainbi­ke verbracht. Mit seinem Bike war er in ganz Europa unterwegs und startete sogar bei Weltmeiste­rschaften. Bis der schwere Unfall kam. FOTO: BEN HEIM
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FOTO: BEN HEIM
Luca war als Teamfahrer des Vereins Soulrider bekannt. FOTO: BEN HEIM

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