Der Sturz, der alles veränderte
Luca Biwer verbrachte jede freie Minute auf dem Rad. Dann stürzte der 22-Jährige bei einer Abfahrt schwer. Diagnose: Querschnittslähmung.
Nicht mehr alleine gehen, essen oder sich waschen können, also gänzlich auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. So geht es dem 22-jährigen Luca Biwer aus Gerlfangen. Eine hilflose Situation, die sich viele gar nicht vorstellen können.
Vor etwa zwei Monaten war der Tag, der alles veränderte. Der begeisterte Mountainbike-Fahrer Luca war mit Freunden auf einer Tour in den Vogesen unterwegs. Luca stürzte und fiel dabei so unglücklich auf den Kopf, dass er sich die Halswirbelsäule brach. Der Bruch beschädigte das Rückenmark. Danach ging alles sehr schnell: Innerhalb von 15 Minuten war eine Notärztin vor Ort. Ein Hubschrauber brachte ihn in die neurochirurgische Uni-Klinik nach Nancy, und noch am selben Tag wurde er operiert. Diagnose: Querschnittslähmung vom vierten Nackenwirbel abwärts.
Nach der Operation konnte Luca weder Arme noch Beine bewegen oder selbständig atmen. „Das erste Ziel für Luca ist es, alleine und ohne maschinelle Unterstützung zu atmen. Dies trainiert er intensiv und mit dem ihm eigenen Ehrgeiz“, beschreibt sein Vater, Hans-Jürgen Biwer, die Situation seines Sohnes. Dabei fuhr Luca nie ohne Schutzausrüstung. Sein Integralhelm – der Kopf und Gesicht bedeckt – konnte die Folgen des Sturzes nicht abwenden. „Ein Helm kann in den seltensten Fällen einen Bruch der Halswirbelsäule verhindern“, erklärt der Arzt Eric Haus, Gründer des Vereins Bike Aid, ein Wohltätigkeitsverein, der seit 2006 mit Aktionen in Not geratene Radsportler unterstützt,
Luca hat einen großen Teil seiner Freizeit auf dem Rad verbracht. Als Teamfahrer des saarländischen Vereins Soulrider nahm er an Downhill-Rennen teil. Sogar beim Downhill-Worldcup, der Weltmeisterschaft, konnte er starten. Seit einem Jahr ist er auch Teamfahrer des Charity-Vereins Bike Aid. Er hatte noch viel vor. „Luca ist einer der besten MTB-Fahrer im Südwesten Deutschlands“, sagt Thomas Kogut, erster Vorsitzender des Mountainbike-Vereins Soulrider. „Ein Biker, von dem man einen solchen Sturz nie erwartet hätte, aber das Schicksal schlägt meistens gnadenlos zu.“Drei Tage nach dem Unfall verlegten die Ärzte Luca in die Klinik Karlsbad Langensteinbach, ein Zentrum für Wirbelsäulenverletzungen in Baden-Württemberg. Der dort behandelnde saarländische Professor Dr. Tobias Pitzen ist ein anerkannter Wirbelsäulen-Spezialist.
Nach dem Unfall hat sich die Familie Biwer aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Eric Haus, ein langjähriger Freund der Familie, spricht nun in ihrem Namen: „Die Prognose einer solchen Verletzung lässt sich erst nach einem längeren Behandlungszeitraum beurteilen“, erläutert er. Der bisherige Zustand spreche aber für eine lebenslange Behinderung und die damit verbundene Vollpflege. „Es gab schon Fälle, die aussichtslos erschienen, in denen ein Patient aber wieder einen Finger und mehr bewegen konnte“, sagt Haus. Luca solle die Hoffnung nicht aufgeben. Er mache auf der Intensivstation jeden Tag kleine Fortschritte. Die Nachricht, er habe einen Schokopudding gegessen, sorgte bei Freunden und Familie für Freude und Erleichterung. Ein erstes richtiges Aufatmen kam vor etwa zwei Wochen: „Luca ist ansprechbar, kann teilweise essen und trinken und atmet seit wenigen Tagen selbst“, teilte der Vater online mit.
„Die Nachricht von seinem Unfall riss mir den Boden unter den Füßen weg und tut es immer noch, wenn ich daran denke“, versucht Soulrider-Teamkollege Philipp Burger seine Traurigkeit in Worte zu fassen. Insbesondere der Verein Bike Aid will seinem Teamkollegen helfen. „Wenn es einen unserer Fahrer mit einem so tragischen Unfall trifft, dann ist es klar und selbstverständlich, dass wir zur Stelle sind – mit allem, was geht“, erklärt Vorsitzender Haus. Aus diesem Grund habe der Verein die Aktion „Bewegung für Luca“ins Leben gerufen.
Innerhalb eines Monats kamen so mehr als 50 000 Euro zusammen. Aber das sei noch nicht genug, sagt Haus: „Die Versorgung eines querschnittsgelähmten Patienten kostet mehrere Millionen Euro. Nach eingehenden Gesprächen mit Experten benötigt die Familie als Einmal-Betrag bis Jahresende etwa 100 000 Euro für den behindertengerechten Umbau des Hauses. Ab Mitte nächsten Jahres dann monatlich 10 000 Euro für eine Vollpflege.“Die tatsächlichen Kosten einer Vollpflege seien doppelt so hoch, etwa 24 000 Euro pro Monat, fügt er hinzu. Der Verein wolle zu diesen Ausgaben einen Teil beisteuern. „Wenn wir es schaffen würden, dass nur 1000 Saarländer zehn Euro im Monat für Luca spenden, dann sind wir am Ziel. Das ist durchaus zu machen“, sagt Haus optimistisch. Ob die Versicherung der Familie zahlt, sei wegen einer Prüfung der Situation noch nicht bekannt. Im schlimmsten Fall muss die Familie für alle Kosten selbst aufkommen.
Aber nicht nur Lucas Mountainbike-Teams wollen etwas bewegen. Aus jeder Ecke des Saarlandes melden sich Vereine und Privatpersonen, die von seinem Schicksal gehört haben. Ein anonymer Spender hat T-Shirts, Mützen und Aufkleber mit der Wortmarke „Bewegung für Luca“bedruckt, die der Verein nun verkauft, so Haus. Der Erlös gehe komplett auf das Konto Luca. Innerhalb kurzer Zeit haben Vereine über 30 Veranstaltungen geplant, die weit bis ins nächste Jahr reichen und deren Erlös der Familie Biwer zukommen soll. Und die Zahl der Spenden-Events für Luca steige wöchentlich. „Der Verein Soulrider veranstaltet am 3. September im Bikepark La Bresse in Frankreich einen sogenannten Downhilltrain für Luca“, kündigt Kogut an. Dabei würden viele Mountainbike-Fahrer relativ eng hintereinander eine Stecke herunter fahren und so einen Mountainbike-Zug bilden. „Wir wollen auf diese Weise Aufmerksamkeit erregen und Werbung für weitere Events machen“, sagt er.
Die größte Veranstaltung, einen Benefiz-Spenden-Sonntag, plant der LC Rehlingen zusammen mit Bike Aid und anderen Vereinen für Sonntag, 24. September, in Rehlingen. „Wir haben eine Sternfahrt aller saarländischen Radsportvereine, einen Spendenlauf, mehrere Bands, Verlosungen, Versteigerungen und vieles mehr organisiert. Ein richtig bunter Sonntag“, beschreibt Haus das Event. Vertreter von Sport, Kultur, Politik und Wirtschaft seien vor Ort und Überraschungsgäste, die Haus aber nicht verraten wollte. Der Erlös dieses Spendentages komme allein Luca und seiner Familie zu Gute. Damit will der Verein dem Ziel, 100 000 Euro für Luca zu sammeln, ein gutes Stück näher kommen.
Bei vollem Bewusstsein im eigenen Körper gefangen zu sein: Eine Diagnose, die das eigene Leben und das der Familie von heute auf morgen verändert. Das bestätigt auch Arzt Eric Haus: „Luca und seine Familie haben einen langen Weg zurück in die Normalität vor sich. Aber Luca wird das schaffen, da bin ich mir sicher.“