„Vielleicht wachse ich über mich hinaus“
Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause nimmt den zweiten WM-Coup nach 2015 ins Visier. Heute bestreitet sie ihren Vorlauf.
LONDON
(dpa) Kein Akklimatisieren vor Ort, keine Atmosphäre aufsaugen. Lieber Abschotten bis zum letzten Moment. Ruhe, gezielte Vorbereitung, keine Ablenkung. Deutschlands größte Lauf-Hoffnung fliegt bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft direkt aus dem Trainingslager in Davos ein. Für Gesa Felicitas Krause startet das Unternehmen London heute Abend (20.05 Uhr/Eurosport) mit dem Vorlauf über 3000 Meter Hindernis, im Finale am Freitag (22.25 Uhr) hofft sie auf ein Déjà-vu.
Vor zwei Jahren bei der WM in Peking überraschte die schmächtige Athletin mit dem Gewinn von Bronze. Seither ist Krause ein Star in der deutschen Leichtathletik. Wo auch immer sie auftaucht, ist die Bewunderung riesig. Auch beim Pfingstsportfest in Rehlingen, wo Krause vor einem Jahr vorbeischaute. Hat die Europameisterin auch diesmal auf der Insel eine Medaillenchance? „Auf dem Papier nicht, aber...“, sagt Trainer Wolfgang Heinig.
Krause ist für die deutsche Leichtathletik der beste Beweis dafür, dass man auch jenseits von Afrika Erfolg haben kann. Ihr dritter Platz 2015 in Peking war nach einer langen Durststrecke die erste deutsche Einzel-Laufmedaille seit der Weltmeisterschaft 2001 in Edmonton, als Ingo Schultz über 400 Meter Silber gewann. Die 25-Jährige hofft „auf eine neue Bestzeit“, das heißt: auf einen deutschen Rekord. Den hat sie erst im Mai beim Diamond-League-Meeting in Doha auf 9:15,70 Minuten gedrückt.
Damit liegt Krause, die mit ihrem Freund Marc in Frankfurt lebt und seit diesem Jahr für den Verein Silvesterlauf Trier startet, in der Weltbestenliste auf Rang neun. Vor ihr stehen vor allem die Läuferinnen aus Kenia: Celliphine Chepteek Chespol mit 8:58,78 Minuten an der Spitze. Hinter zwei weiteren Kenianerinnen liegt Olympiasiegerin Ruth Jebet, die mittlerweile für Bahrain startet und mit 8:52,78 auch den Weltrekord hält. „Es ist nicht so, dass da vorne alle Weltrekord laufen. Aber unter neun Minuten – das kann Gesa nicht“, erklärt Heinig: „Wenn sie einen guten Tag erwischt, könnten es mal 9:10 oder 9:12 werden.“
Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro erlebte Krause „einen wirklich brutalen Tag“. Sie rannte in 9:18,41 Minuten deutschen Rekord, wurde aber nur Sechste. „In der Breite können wir die Afrikanerinnen niemals schlagen“, sagte sie damals. Aber in der Spitze ist sie bei dem begrenzten Feld bei einer WM immer für einen Coup gut. Das wissen alle, darauf hoffen alle. Der Respekt ihrer Kollegen und der Fans ist ihr längst sicher: Krause wurde 2015 und 2016 zur „Leichtathletin des Jahres“gewählt.
Etwa 5500 Kilometer läuft die Hindernisspezialistin im Jahr, bis zu 170 in einer normalen Woche – in Trainingslagern wie dieses Jahr in Südafrika oder Kenia noch mehr. „Ich hatte schon immer diesen gewissen Drang, erfolgreich zu sein“, sagt sie, „jeden Tag weiterzumachen“. Die Vorbereitung auf die WM, sagt Heinig, lief so, wie man sich das vorgestellt habe. Und für Krause gilt die Devise: „Vielleicht wachse ich bei der WM über mich hinaus.“
Das war auch 1500-Meter-Läuferin Konstanze Klosterhalfen, dem vielleicht größten deutschen Lauf-Talent, in London zugetraut worden. Doch Klosterhalfen ist erst 20 und weit weniger erfahren als Krause, die sich in großen Rennen pudelwohl fühlt. Nicht zuletzt in Peking hat sie das vor zwei Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt – auch wenn sie damals nach dem Rennen von sich selbst geschockt war und kaum glauben konnte, was sie da vollbracht hatte. Nicht weniger historisch wäre ein Medaillengewinn bei dieser Weltmeisterschaft.
„Ich hatte schon immer diesen gewissen Drang,
erfolgreich zu sein.“
Gesa Felicitas Krause
3000-Meter-Hindernisläuferin