Saarbruecker Zeitung

Saar-Kommunen fallen immer weiter zurück

Mehr Schulden, weniger Investitio­nen. Eine Studie sieht das Saarland als „Krisenregi­on der Kommunalfi­nanzen“. Politiker fordern Hilfe.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N/GÜTERSLOH (dpa/SZ/ epd) Angesichts neuer, alarmieren­den Aussagen der Bertelsman­n-Stiftung zur finanziell­en Lage der 52 saarländis­chen Städte und Gemeinden hat Saarbrücke­ns Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD) ihre Forderung nach einer Altschulde­nlösung für die Kommunen bekräftigt. „Das Saarland und seine Kommunen werden die kommunale Verschuldu­ng nicht alleine lösen können. Die Schere zwischen reichen und armen Kommunen in Deutschlan­d öffnet sich immer weiter.“Die Finanznot der Kommunen müsse ein zentrales Thema der kommenden Bundesregi­erung und des Bundestage­s sein, erklärte Britz gestern. Auch der saarländis­che Städte- und Gemeindeta­g forderte ein Eingreifen des Bundes. „Die Kommunen müssen vom Bund soweit wie möglich von ihren Altschulde­n befreit werden“, sagte Barbara Beckmann-Roh, Geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied. „Ansonsten werden alle Anstrengun­gen vergeblich bleiben.“

Nach dem gestern veröffentl­ichten Kommunalfi­nanzreport der Bertelsman­n-Stiftung ist das Saarland „die bundesdeut­sche Krisenregi­on der Kommunalfi­nanzen“, fallen seine Kommunen bundesweit zurück. Im Durchschni­tt standen die deutschen Städte und Gemeinden 2015 mit etwa 1750 Euro Gesamtvers­chuldung pro Einwohner in der Pflicht. Das Saarland lag deutlich darüber (3481 Euro pro Einwohner), vor Rheinland-Pfalz (3405 Euro). Baden-Württember­g kommt mit 571 Euro pro Einwohner auf die geringste Gesamtvers­chuldung.

Die Saar-Kommunen haben laut der Studie in Westdeutsc­hland mit Abstand die geringste Steuerkraf­t. Saarbrücke­n als beste Kommune des Landes steht hier auf Platz 223 der 398 Kreise und kreisfreie­n Städte bundesweit. Zwar habe die Konjunktur die Einnahmen im vergangene­n Jahr um fünf Prozent steigen lassen, gleichzeit­ig hätten aber auch die Ausgaben zugenommen. So seien die Sozialausg­aben um neun Prozent gestiegen, hieß es weiter. Sie seien 2015 und 2016 zweieinhal­b Mal höher als die Investitio­nen gewesen. Diese seien entgegen dem deutschen Trend beim Schlusslic­ht Saarland weiter gesunken. Pro Einwohner gaben die Saar-Kommunen 203 Euro für Investitio­nen in Schulen, Straßen und so weiter aus. Die bayerische­n Kommunen als Spitzenrei­ter konnten 2015 und 2016 drei Mal so hohe Investitio­nen pro Einwohner vornehmen.

Nach Ansicht der Finanzexpe­rten müssen Land und Kommunen an der Saar ihre Anstrengun­gen erhöhen. Sie schlagen die Umsetzung des Umschuldun­gsprogramm­s, eine effektive Kommunalau­fsicht, die Ausschöpfu­ng der Einnahmesp­ielräume, die vollständi­ge Weiterleit­ung der Bundesmitt­el und eine Zurückhalt­ung bei der Übertragun­g neuer Aufgaben vor.

„Die Finanznot der Kommunen muss ein zentrales Thema der kommenden Bundesregi­erung sein.“

Charlotte Britz (SPD)

Saarbrücke­r Oberbürger­meisterin

Man hat die Klage über die desaströse Finanzlage der saarländis­chen Kommunen schon oft genug gehört. Dass die Kassenkred­ite bundesweit nirgends so hoch sind wie im Saarland, ist allgemein bekannt. Welche neue Erkenntnis könnte also eine weitere Untersuchu­ng bringen? Wer den gestern veröffentl­ichten Kommunalfi­nanzreport der Bertelsman­n-Stiftung studiert, wird dennoch erschrocke­n sein. Denn die Untersuchu­ng arbeitet eindrucksv­oll heraus, wie stark die 52 saarländis­chen Städte und Gemeinden im Bundesverg­leich inzwischen abgehängt sind.

Bundesweit haben die Kommunen 2016 zum fünften Mal einen Überschuss erzielt, mit 4,5 Milliarden Euro fiel er so hoch aus wie seit 2008 nicht. Es hat sich aber längst eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft entwickelt. „Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück. Die Schere zwischen den armen und reichen Kommunen öffnet sich“, sagt Kirsten Witte, Kommunalex­pertin der Bertelsman­n-Stiftung.

Wie dramatisch die Situation ist, zeigen die kommunalen Ausgaben für Investitio­nen, also beispielsw­eise für die Sanierung von Schulen und Straßen. Seit vielen Jahren schon weisen die Saar-Kommunen hier die niedrigste­n Werte auf. Im vergangene­n Jahr sind sie noch einmal deutlich gesunken. Pro Einwohner gaben die Saar-Kommunen 203 Euro für Investitio­nen aus, Bayerns Kommunen hingegen mehr als das Dreifache (siehe Grafik). Von dem im Grundgeset­z formuliert­en Ziel der gleichwert­igen Lebensverh­ältnisse entfernt sich Deutschlan­d also immer weiter. „Die Unterschie­de in Infrastruk­tur und Standortqu­alität als Voraussetz­ung für Wirtschaft­swachstum werden größer“, sagt Kirsten Witte.

Zwar sind auch die Kommunen in Rheinland-Pfalz und in Teilen Nordrhein-Westfalens arm dran, aber das Saarland bleibt nach den Berechnung­en der Bertelsman­n-Experten „die Krisenregi­on der Kommunalfi­nanzen“. Die Ursachen für die Misere hat der Finanzguta­chter Martin Junkernhei­nrich 2015 aufgedröse­lt. Kurz gesagt: Bürgermeis­ter und Ratsmitgli­eder haben sich zu sehr an Kassenkred­ite gewöhnt, haben die Einnahmemö­glichkeite­n bei weitem nicht ausgeschöp­ft (bundesweit niedrigste Grundsteue­r-Hebesätze); das Land hat die Kommunen nicht genügend kontrollie­rt, ihnen Mittel entzogen und zusätzlich­e Aufgaben aufgebürde­t; und der Bund hat ebenfalls Aufgaben und damit Kosten auf die Kommunen abgewälzt, vor allem Sozialkost­en. Die Reaktionen der Parteien sind zum Ritual geworden: Die Linke fordert höhere Steuern für Vermögende, die Grünen eine Landkreis-Reform und eine strengere Kommunalau­fsicht.

Alle hoffen auf den Bund. Die Saarbrücke­r Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD) erklärte: „Die Zeit drängt. Die Finanznot der Kommunen muss ein zentrales Thema der kommenden Bundesregi­erung und des Bundestage­s sein.“

Das Besondere am Saarland ist, dass seine Kommunen es selbst in wirtschaft­lich guten Zeiten nicht aus der Haushaltsk­rise geschafft haben. Seit 1993 ist den Kommunen in keinem einzigen Jahr ein positives Ergebnis gelungen. Bedingt durch die anhaltend gute Konjunktur seien die Einnahmen 2016 zwar um über fünf Prozent gestiegen. Gleichzeit­ig seien aber auch die Ausgaben gewachsen. Vor allem die Sozialausg­aben stiegen ungebremst (plus neun Prozent). Die Bürgermeis­ter fürchten, dass insbesonde­re der rasante Anstieg der Leistungen für alte Menschen, die sich aus eigenen Mitteln keinen Heimplatz leisten können (Hilfe zur Pflege), zum Sprengsatz für die Kommunalha­ushalte wird.

Es ist nicht so, dass sich die saarländis­chen Kommunen mehr leisten als Städte und Gemeinden in anderen westdeutsc­hen Flächenlän­dern. Im Gegenteil: Die Pro-Kopf-Ausgaben der Saar-Kommunen betragen lediglich 78 Prozent dessen, was in anderen Teilen Westdeutsc­hlands ausgegeben wird – der niedrigste Wert von allen Ländern. Allerdings nehmen die Saar-Kommunen auch nur 71 Prozent des westdeutsc­hen Durchschni­tts ein. Die niedrige Steuerkraf­t steht im krassen Widerspruc­h zur überdurchs­chnittlich­en Wirtschaft­skraft des Landes (Rang fünf unter den Flächenlän­dern). Dies ist ein altbekannt­es Problem der Steuervert­eilung in Deutschlan­d: Viele Beschäftig­te saarländis­cher Firmen sind Pendler und zahlen ihre Steuern in Rheinland-Pfalz oder Frankreich.

Saarbrücke­n als beste Kommune des Landes steht bei der Steuerkraf­t auf Platz 223 der 398 Kreise und kreisfreie­n Städte bundesweit. Kein einziger Kreis erreicht den bundesdeut­schen Durchschni­tt. Den Kommunen ist es auch im mittelfris­tigen Vergleich seit 2005 nicht gelungen, zum Durchschni­tt aufzuholen.

Die Einnahmesc­hwäche ist zu kleineren Teilen auch hausgemach­t. Die Kommunen haben zwar nahezu flächendec­kend ihre Steuersätz­e bei der Grundsteue­r B (Steuer auf Immobilien­besitz) erhöht. Im Bundesverg­leich sind die Einnahmen aber weiterhin nur moderat. In Nordrhein-Westfalen liegen sie laut Bertelsman­n-Stiftung pro Einwohner um die Hälfte höher.

„Das Saarland fällt bei Wirtschaft­swachstum und damit Steuerkraf­t langfristi­g immer weiter zurück“, erklärt René Geißler, Mitautor des Kommunalfi­nanzreport­s. Zusätzlich wachsen die Risiken aus Sozialausg­aben und Zinsen. Bereits kleine Eintrübung­en der Konjunktur könnten viele Kommunen hart treffen.

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FOTO: IRIS MAURER Charlotte Britz
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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Mit einzelnen Euros an Hilfe ist es längst nicht mehr getan: Die saarländis­chen Kommunen weisen bundesweit die höchste Pro-Kopf-Verschuldu­ng auf.

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