Saar-Kommunen fallen immer weiter zurück
Mehr Schulden, weniger Investitionen. Eine Studie sieht das Saarland als „Krisenregion der Kommunalfinanzen“. Politiker fordern Hilfe.
SAARBRÜCKEN/GÜTERSLOH (dpa/SZ/ epd) Angesichts neuer, alarmierenden Aussagen der Bertelsmann-Stiftung zur finanziellen Lage der 52 saarländischen Städte und Gemeinden hat Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) ihre Forderung nach einer Altschuldenlösung für die Kommunen bekräftigt. „Das Saarland und seine Kommunen werden die kommunale Verschuldung nicht alleine lösen können. Die Schere zwischen reichen und armen Kommunen in Deutschland öffnet sich immer weiter.“Die Finanznot der Kommunen müsse ein zentrales Thema der kommenden Bundesregierung und des Bundestages sein, erklärte Britz gestern. Auch der saarländische Städte- und Gemeindetag forderte ein Eingreifen des Bundes. „Die Kommunen müssen vom Bund soweit wie möglich von ihren Altschulden befreit werden“, sagte Barbara Beckmann-Roh, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied. „Ansonsten werden alle Anstrengungen vergeblich bleiben.“
Nach dem gestern veröffentlichten Kommunalfinanzreport der Bertelsmann-Stiftung ist das Saarland „die bundesdeutsche Krisenregion der Kommunalfinanzen“, fallen seine Kommunen bundesweit zurück. Im Durchschnitt standen die deutschen Städte und Gemeinden 2015 mit etwa 1750 Euro Gesamtverschuldung pro Einwohner in der Pflicht. Das Saarland lag deutlich darüber (3481 Euro pro Einwohner), vor Rheinland-Pfalz (3405 Euro). Baden-Württemberg kommt mit 571 Euro pro Einwohner auf die geringste Gesamtverschuldung.
Die Saar-Kommunen haben laut der Studie in Westdeutschland mit Abstand die geringste Steuerkraft. Saarbrücken als beste Kommune des Landes steht hier auf Platz 223 der 398 Kreise und kreisfreien Städte bundesweit. Zwar habe die Konjunktur die Einnahmen im vergangenen Jahr um fünf Prozent steigen lassen, gleichzeitig hätten aber auch die Ausgaben zugenommen. So seien die Sozialausgaben um neun Prozent gestiegen, hieß es weiter. Sie seien 2015 und 2016 zweieinhalb Mal höher als die Investitionen gewesen. Diese seien entgegen dem deutschen Trend beim Schlusslicht Saarland weiter gesunken. Pro Einwohner gaben die Saar-Kommunen 203 Euro für Investitionen in Schulen, Straßen und so weiter aus. Die bayerischen Kommunen als Spitzenreiter konnten 2015 und 2016 drei Mal so hohe Investitionen pro Einwohner vornehmen.
Nach Ansicht der Finanzexperten müssen Land und Kommunen an der Saar ihre Anstrengungen erhöhen. Sie schlagen die Umsetzung des Umschuldungsprogramms, eine effektive Kommunalaufsicht, die Ausschöpfung der Einnahmespielräume, die vollständige Weiterleitung der Bundesmittel und eine Zurückhaltung bei der Übertragung neuer Aufgaben vor.
„Die Finanznot der Kommunen muss ein zentrales Thema der kommenden Bundesregierung sein.“
Charlotte Britz (SPD)
Saarbrücker Oberbürgermeisterin
Man hat die Klage über die desaströse Finanzlage der saarländischen Kommunen schon oft genug gehört. Dass die Kassenkredite bundesweit nirgends so hoch sind wie im Saarland, ist allgemein bekannt. Welche neue Erkenntnis könnte also eine weitere Untersuchung bringen? Wer den gestern veröffentlichten Kommunalfinanzreport der Bertelsmann-Stiftung studiert, wird dennoch erschrocken sein. Denn die Untersuchung arbeitet eindrucksvoll heraus, wie stark die 52 saarländischen Städte und Gemeinden im Bundesvergleich inzwischen abgehängt sind.
Bundesweit haben die Kommunen 2016 zum fünften Mal einen Überschuss erzielt, mit 4,5 Milliarden Euro fiel er so hoch aus wie seit 2008 nicht. Es hat sich aber längst eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickelt. „Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück. Die Schere zwischen den armen und reichen Kommunen öffnet sich“, sagt Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann-Stiftung.
Wie dramatisch die Situation ist, zeigen die kommunalen Ausgaben für Investitionen, also beispielsweise für die Sanierung von Schulen und Straßen. Seit vielen Jahren schon weisen die Saar-Kommunen hier die niedrigsten Werte auf. Im vergangenen Jahr sind sie noch einmal deutlich gesunken. Pro Einwohner gaben die Saar-Kommunen 203 Euro für Investitionen aus, Bayerns Kommunen hingegen mehr als das Dreifache (siehe Grafik). Von dem im Grundgesetz formulierten Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse entfernt sich Deutschland also immer weiter. „Die Unterschiede in Infrastruktur und Standortqualität als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum werden größer“, sagt Kirsten Witte.
Zwar sind auch die Kommunen in Rheinland-Pfalz und in Teilen Nordrhein-Westfalens arm dran, aber das Saarland bleibt nach den Berechnungen der Bertelsmann-Experten „die Krisenregion der Kommunalfinanzen“. Die Ursachen für die Misere hat der Finanzgutachter Martin Junkernheinrich 2015 aufgedröselt. Kurz gesagt: Bürgermeister und Ratsmitglieder haben sich zu sehr an Kassenkredite gewöhnt, haben die Einnahmemöglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft (bundesweit niedrigste Grundsteuer-Hebesätze); das Land hat die Kommunen nicht genügend kontrolliert, ihnen Mittel entzogen und zusätzliche Aufgaben aufgebürdet; und der Bund hat ebenfalls Aufgaben und damit Kosten auf die Kommunen abgewälzt, vor allem Sozialkosten. Die Reaktionen der Parteien sind zum Ritual geworden: Die Linke fordert höhere Steuern für Vermögende, die Grünen eine Landkreis-Reform und eine strengere Kommunalaufsicht.
Alle hoffen auf den Bund. Die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) erklärte: „Die Zeit drängt. Die Finanznot der Kommunen muss ein zentrales Thema der kommenden Bundesregierung und des Bundestages sein.“
Das Besondere am Saarland ist, dass seine Kommunen es selbst in wirtschaftlich guten Zeiten nicht aus der Haushaltskrise geschafft haben. Seit 1993 ist den Kommunen in keinem einzigen Jahr ein positives Ergebnis gelungen. Bedingt durch die anhaltend gute Konjunktur seien die Einnahmen 2016 zwar um über fünf Prozent gestiegen. Gleichzeitig seien aber auch die Ausgaben gewachsen. Vor allem die Sozialausgaben stiegen ungebremst (plus neun Prozent). Die Bürgermeister fürchten, dass insbesondere der rasante Anstieg der Leistungen für alte Menschen, die sich aus eigenen Mitteln keinen Heimplatz leisten können (Hilfe zur Pflege), zum Sprengsatz für die Kommunalhaushalte wird.
Es ist nicht so, dass sich die saarländischen Kommunen mehr leisten als Städte und Gemeinden in anderen westdeutschen Flächenländern. Im Gegenteil: Die Pro-Kopf-Ausgaben der Saar-Kommunen betragen lediglich 78 Prozent dessen, was in anderen Teilen Westdeutschlands ausgegeben wird – der niedrigste Wert von allen Ländern. Allerdings nehmen die Saar-Kommunen auch nur 71 Prozent des westdeutschen Durchschnitts ein. Die niedrige Steuerkraft steht im krassen Widerspruch zur überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft des Landes (Rang fünf unter den Flächenländern). Dies ist ein altbekanntes Problem der Steuerverteilung in Deutschland: Viele Beschäftigte saarländischer Firmen sind Pendler und zahlen ihre Steuern in Rheinland-Pfalz oder Frankreich.
Saarbrücken als beste Kommune des Landes steht bei der Steuerkraft auf Platz 223 der 398 Kreise und kreisfreien Städte bundesweit. Kein einziger Kreis erreicht den bundesdeutschen Durchschnitt. Den Kommunen ist es auch im mittelfristigen Vergleich seit 2005 nicht gelungen, zum Durchschnitt aufzuholen.
Die Einnahmeschwäche ist zu kleineren Teilen auch hausgemacht. Die Kommunen haben zwar nahezu flächendeckend ihre Steuersätze bei der Grundsteuer B (Steuer auf Immobilienbesitz) erhöht. Im Bundesvergleich sind die Einnahmen aber weiterhin nur moderat. In Nordrhein-Westfalen liegen sie laut Bertelsmann-Stiftung pro Einwohner um die Hälfte höher.
„Das Saarland fällt bei Wirtschaftswachstum und damit Steuerkraft langfristig immer weiter zurück“, erklärt René Geißler, Mitautor des Kommunalfinanzreports. Zusätzlich wachsen die Risiken aus Sozialausgaben und Zinsen. Bereits kleine Eintrübungen der Konjunktur könnten viele Kommunen hart treffen.