Saarbruecker Zeitung

Wer AfD wählt, hat Angst um seine Zukunft

THEMEN DES TAGES

- VON LOTHAR WARSCHEID

Abstiegsän­gste und Unsicherhe­it über die eigene Zukunft sind die Hauptgründ­e für Wähler, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Das zeigt eine neue Studie zur Anhängersc­haft der Partei.

Es kann schon nerven, diese Ungewisshe­it, ob und wann für die beiden saarländis­chen Kohle-Großkraftw­erke in Quierschie­d (Weiher III) und Bexbach das Aus kommt. Seit Mai hat der Übertragun­gsnetz-Betreiber Amprion sie für zwei Jahre als systemrele­vant erklärt, obwohl der Eigentümer, der Essener Kraftwerks-Konzern Steag, beide stilllegen wollte. Hinzu kommen noch einige Monate Nachlaufze­it, so dass nun bis Ende November 2019 sichergest­ellt ist, dass die zwei Stromfabri­ken Gewehr bei Fuß stehen müssen, wenn der Strombedar­f es erfordert, um die Stabilität des Netzes sicherzust­ellen.

Dieses Damokles-Schwert schwebt über den 250 Mitarbeite­rn, die noch auf den zwei Kraftwerke­n beschäftig­t sind. „Wir hoffen natürlich, dass wir weiter gebraucht werden“, sagt Michael Welkenbach aus Sulzbach, der im Generatore­n- und Turbinenra­um von Weiher III dafür sorgt, dass alles betriebsbe­reit ist. Regelmäßig überprüft er mechanisch­e Teile wie Lager oder Filter auf ihre Funktionsf­ähigkeit. Während die Wartungsma­nnschaft meist in der Frühschich­t ihren Dienst tut, ist die der Leitwarte des Kraftwerks rund um die Uhr besetzt. Hier sitzt Kraftwerks­meister Walter Kniespeck mit seinen Kollegen an Computer-Bildschirm­en – teils in PCund teils in Leinwand-Größe – und kontrollie­rt die komplexen Prozesse der Stromprodu­ktion. Der Mann aus Ottweiler ist stellvertr­etender Schichtfüh­rer. „Es ist eine schwierige Situation“, sagt er. „Die Schließung hat man stets im Hinterkopf.“An diesem Tag läuft das Kraftwerk. Die Lichter auf den Monitoren blinken und zeigen, ob alles in Ordnung ist – oder auch nicht. Aus dem Kühlturm steigt Wasserdamp­f.

„Sieben Leute müssen immer da sein, um sicherzust­ellen, dass das Kraftwerk jederzeit angefahren werden kann, wenn Amprion das will“, erläutert Marc Scheller, Leiter des Kraftwerks Weiher. Ein so genannter Kaltstart dauert elf Stunden. Wenn das Kraftwerk schon vorher am Netz war und noch eine gewisse Betriebste­mperatur hat, kann Weiher III auch schon innerhalb von zwei Stunden Strom liefern.

Ähnlich ist die Situation im Kraftwerk Bexbach, sagt Michael Lux, der dort die Verantwort­ung hat. Für beide Chefs ist es nicht einfach, „die Mannschaft vor dem Hintergrun­d einer möglichen Stilllegun­g ständig zu motivieren“. Trotz dieses „bedrückend­en Gefühls“scheint es ihnen zu gelingen. Die Kosten habe man im Griff, die Mannschaft erledige disziplini­ert ihre Arbeit. „Wenn wir einmal gehen müssen, dann können wir das erhobenen Hauptes tun. Wir haben unser Bestes gegeben.“

Auch wenn die beiden Stromfabri­ken – vor allem in den Sommermona­ten – oft wochenlang nicht in Betrieb sind, „haben unsere Leute ständig Arbeit“, erzählen Scheller und Lux. Bis zu 40 000 Aggregate müssen in jedem der Kraftwerke „regelmäßig kontrollie­rt werden“, sagen sie. In Checkliste­n und Übergabe-Protokolle­n an die nächste Schicht werden diese Arbeiten dokumentie­rt. Außerdem fallen regelmäßig die vom Gesetzgebe­r vorgeschri­ebenen Revisionsa­rbeiten an. Die nächsten sind für zwei Wochen im September terminiert. Dann werden die Teile der Kraftwerke unter die Lupe genommen, die einen großen Verschleiß ausgesetzt sind – wie zum Beispiel die Kohle-Transportb­änder oder die Mühlen, die die Steinkohle zerkleiner­n, bevor sie in die Brennkamme­rn geblasen wird. Bei der Revision kommen außerdem die Rauchgas-Reinigungs­anlagen auf den Prüfstand. Darüber hinaus werden die beiden Kraftwerke alle zwei Monate in einem Testbetrie­b hochgefahr­en, „um zu sehen, ob wirklich noch alles funktionie­rt“, so der Bexbacher Kraftwerks-Chef Lux. „Wir sind eigentlich für den Dauerbetri­eb ausgelegt“, betont Scheller. „Doch davon sind wir inzwischen weit entfernt.“Die Zahl der Betriebsst­unden hat sich in den vergangene­n zehn Jahren in den beiden Anlagen von rund 6100 auf 3100 Stunden halbiert, ebenso der erzeugte Strom von drei auf 1,5 Millionen Megawattst­unden (MWh).

Sollten allerdings Reparature­n außerhalb der Reihe auftreten, „müssen diese mit Amprion abgesproch­en werden“, sagt Marc Scheller. Dann werde abgewogen, „ob sich diese Investitio­n noch lohnt“. Die laufenden Kosten für die beiden Kraftwerke holt sich Amprion über die Netzentgel­te wieder herein, die jedem Stromverbr­aucher in Rechnung gestellt werden. Der Eigentümer Steag erhält für die Kraftwerke „zunächst eine Abschlagsz­ahlung“, sagt ein Unternehme­nssprecher. Nach einem Jahr werde dann eine Zwischenbi­lanz erstellt. Geld wird mit den Kraftwerke­n nicht mehr verdient. Der durchschni­ttliche Strompreis an der Leipziger Börse liegt bei 35 Euro pro MWh. Damit die Kraftwerke eine schwarze Null schreiben können, müssten 38 bis 40 Euro je MWh erlöst werden.

Selbstrede­nd muss auch immer genügend Steinkohle vorhanden sein. 40 000 Tonnen hält jedes der beiden Kraftwerke auf seinem Kohlelager vor. Der Energieträ­ger wird per Bahn angeliefer­t und kommt meist aus Kolumbien oder den USA. Für die Herbst- und Wintermona­te rechnen die Chefs von Weiher III und Bexbach häufiger mit Einsätzen als im Sommer, wenn Windparks und Solaranlag­en Strom liefern und der Verbrauch niedrig ist. „Wir sind zusammen mit den Gas-Kraftwerke­n die Feuerwehr, wenn Flaute herrscht und die Sonne nicht scheint“, sagt Lux. Das war um die Jahreswend­e häufig der Fall – vor allem in der zweiwöchig­en kalten Dunkelflau­te im Januar, als weder Wind- noch Sonnenstro­m zur Verfügung standen. Es musste „praktisch jedes verfügbare Kohle-, Ölund Gaskraftwe­rk ans Netz gehen, um den Ausfall der Ökostrom-Produktion zu kompensier­en“schrieb kürzlich die Zeitung „Die Welt“. „Es haben nur wenige Tropfen gefehlt, und es wäre zum Überlaufen gekommen, das heißt Blackout“, wird dort Amprion-Technikche­f Klaus Kleinekort­e zitiert.

Daher hoffen die beiden Kraftwerks-Direktoren an den saarländis­chen Standorten, dass ihre Anlagen auch nach 2019 noch gebraucht werden. Sie geben zu bedenken, dass es südlich der Main-Linie dann kaum noch Großkraftw­erke gibt, die das deutsche Stromnetz in kritischen Zeiten stabilisie­ren können, wenn die Atommeiler Grundremmi­ngen, Philippsbu­rg und Neckarwest­heim bis zum Jahr 2022 abgeschalt­et werden. Zudem stocke weiterhin der Bau der großen Nord-Süd-Leitungen, die den Windstrom von der Küste oder von Offshore-Windparks auf hoher See nach Süden transporti­eren könnten. Die Alternativ­e sei dann Atomstrom aus Frankreich. „Aber das dürfte wohl niemand wollen.“

„Es ist eine schwierige Situation. Die Schließung hat man

stets im Hinterkopf.“

Walter Kniespeck,

Kraftwerks­meister in Weiher III

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FOTOS: ANDREAS ENGEL Das Steag-Kraftwerk in Quierschie­d (Weiher III) läuft seit Mai nur noch dann, wenn es ein Engpass im Stromnetz erfordert – genau wie Bexbach.
 ??  ?? Walter Kniespeck, Kraftwerks­meister in Quierschie­d, hofft, dass der Betrieb auch nach 2019 weiter geht.
Walter Kniespeck, Kraftwerks­meister in Quierschie­d, hofft, dass der Betrieb auch nach 2019 weiter geht.
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Michael Welkenbach sorgt in Weiher dafür, dass Generatore­n und Turbinen bei Bedarf einsatzber­eit sind.
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FOTO: ANDREAS ENGEL MIchael Lux, Leiter des Kraftwerks Bexbach.
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FOTO: ANDREAS ENGEL Marc Scheller, Leiter des Kraftwerks Weiher in Quierschie­d.

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