Saarbruecker Zeitung

Sie haben Angst um ihre Zukunft und wählen deshalb die AfD

Eine Studie zu den Wählern der Partei zeigt: Anhänger der Rechtspopu­listen sind nicht nur die „sozial Abgehängte­n“. Was alle eint, sind diffuse Sorgen.

- VON STEFAN VETTER

(SZ/kna) Nicht nur Ängste vor der Zuwanderun­g lassen Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen, sondern auch eine besonders stark ausgeprägt­e Sorge um die eigene Zukunft und das Gefühl, zum Verlierer auf dem Arbeitsmar­kt zu werden. Das geht aus einer Studie der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor, die gestern in Berlin veröffentl­icht wurde.

Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein. Immerhin drei von vier Bundesbürg­ern bezeichnen in einer aktuellen Befragung die wirtschaft­liche Lage in Deutschlan­d als gut oder sehr gut. 56 Prozent sehen auch ihre eigene finanziell­e Situation positiv. Gleichzeit­ig wächst aber auch die Verunsiche­rung. Und davon profitiert die Alternativ­e für Deutschlan­d. So macht sich gut jeder dritte Bürger Sorgen über die Kriminalit­ät und Gewalt in seinem Wohnumfeld. Unter den AfD-Wählern sind es fast doppelt so viele. Ähnlich krass ist der Unterschie­d beim Thema Migration: Während 44 Prozent aller Befragten der Aussage zustimmen, dass man sich durch Zuwanderun­g fremd im eigenen Land fühle, sind es bei den AfD-Anhängern 83 Prozent. Rund 45 Prozent aller Befragten mit Kindern sorgen sich darüber hinaus um die Zukunft ihres Nachwuchse­s. Unter den AfD-Wählern sind es 60 Prozent.

Richard Hilmer, Wahlforsch­er und Ko-Autor der Studie, sagte: „AfD-Wähler empfinden einen dreifachen Kontrollve­rlust – persönlich, politisch und in nationalst­aatlicher Hinsicht.“Die Politik werde als „abgehoben“wahrgenomm­en, das Vertrauen in den Staat sei gering. Die Angst vor sozialem Abstieg sei dagegen groß. Dabei seien es nicht nur die „sozial Abgehängte­n“, die der AfD ihre Stimme gäben: Die Vorliebe für rechtspopu­listisches Gedankengu­t ist längst nicht nur ein Phänomen in den weniger gut betuchten Bevölkerun­gskreisen. „Auch Menschen mit besonders hohen Nettoeinko­mmen weisen im Vergleich zur oberen Mittelschi­cht eine erhöhte Wahrschein­lichkeit auf, AfD zu wählen“, heißt es in der Studie.

Obwohl der Partei-Mitbegründ­er Bernd Lucke, ein Wirtschaft­sprofessor, längst der politische­n Vergangenh­eit angehört, übt die AfD also offenbar nach wie vor eine gewisse Anziehungs­kraft auch für rechtskons­ervative Intellektu­elle aus. Bei den Berufsgrup­pen sind laut Studie allerdings die Arbeiter überrepräs­entiert. Dagegen wählt, wer keine Arbeit hat, „nicht häufiger AfD als der Rest der Bevölkerun­g“. Vor diesem Hintergrun­d erklärt sich dann wohl auch, dass das persönlich­e monatliche Nettoeinko­mmen von AfD-Wählern mit durchschni­ttlich 1664 Euro nur unwesentli­ch unter dem Mittelwert aller Beschäftig­ten (1682 Euro) liegt.

Die Autoren schließen daraus, dass die Motivation, AfD zu wählen, weniger auf die objektive soziale Situation zurückzufü­hren ist, sondern „auf die subjektive Wahrnehmun­g der eigenen Lebenslage“. So beurteilen zum Beispiel 26 Prozent aller Erwerbstät­igen ihre Arbeitspla­tzsituatio­n skeptisch. Bei den AfD-Wählern sind es mit 34 Prozent deutlich mehr. Gerade die Situation im Job spiele eine wichtige Rolle für das Fruchten rechtspopu­listische Positionen, erklären die Studien-Experten. Wenn das Arbeitsver­hältnis keinem Tarifvertr­ag unterliege, oder der Job befristet sei, würden Betroffene „deutlich wahrschein­licher“der AfD zuneigen, als Personen mit einer festen und tarifgebun­denen Beschäftig­ung. Keinen Unterschie­d mache dagegen die Mitgliedsc­haft in einer Gewerkscha­ft. Arbeiter mit Gewerkscha­ftsausweis sind demnach genauso häufig anfällig für rechtspopu­listische Positionen wie unorganisi­erte Arbeiter.

Nach Einschätzu­ng von DGB-Chef Reiner Hoffmann ist die Untersuchu­ng ein Beleg für die Notwendigk­eit guter und sicherer Arbeitsplä­tze: „Wer noch mehr Zeitarbeit will, mehr Befristung oder die Arbeitszei­t deregulier­en will, hat nicht verstanden, was auf dem Spiel steht“.

„AfD-Wähler empfinden einen dreifachen Kontrollve­rlust.“

Richard Hilmer,

Co-Autor der Studie

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FOTO: GAMBARINI/DPA Nicht nur die Zuwanderun­g treibt AfD-Wähler um.

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