Saarbruecker Zeitung

Wo Europa von Afrika lernen kann

- VON MICHAEL FISCHER

Es ist die vierte AfrikaReis­e von Außenminis­ter Gabriel innerhalb eines halben Jahres. Wieder geht es um die Flüchtling­spolitik.

(dpa) Außenminis­ter Sigmar Gabriel hat schon einige Flüchtling­slager dieser Welt gesehen. Im größten Camp für syrische Flüchtling­e in Jordanien standen ihm die Tränen in den Augen. In dem von jahrzehnte­langem Bürgerkrie­g zerrüttete­n Somalia watete er durch knöcheltie­fen Schlamm, um zu den notdürftig­en Zeltunterk­ünften zu kommen. Und in Libyen hat er eines der berüchtigt­en Camps besucht, in die Flüchtling­e eingesperr­t werden, die es nicht über das Mittelmeer nach Europa geschafft haben.

Auch bei seinem Besuch in Uganda geht es um Flüchtling­e. Diesmal aber ganz anders. Gestern Vormittag stand Gabriel vor einem Schulgebäu­de im Rhino Camp, nicht weit von den Grenzen zu den Bürgerkrie­gsländern Kongo und Südsudan entfernt. Aus den Fenstern winken fröhliche Flüchtling­skinder, die dem Hunger und Elend in ihrer südsudanes­ischen Heimat entkommen sind.

Statt dicht gedrängter Zelte oder Blechbuden stehen hier weit verstreut Lehmhütten mit Strohdäche­rn oder Backsteinb­auten. Dazwischen befinden sich Gemüsegärt­en, nirgendwo sieht man Zäune, überall ist es grün. Niemand nennt das Rhino Camp Flüchtling­slager – weil sich die Menschen hier frei bewegen können, weil sie arbeiten können und Land zur Bewirtscha­ftung bekommen. Flüchtling­ssiedlung sagt man hier deswegen. Flüchtling­e werden also als Siedler angesehen – zumindest auf Zeit, solange der Bürgerkrie­g in ihrer Heimat wütet.

Gabriel zeigt sich beeindruck­t. „Es ist auch ein schönes Beispiel dafür, was Länder, die viel ärmer sind als wir in Europa, leisten können“, sagt er an die Adresse derjenigen EU-Staaten, die schon mit der Aufnahme von ein paar hundert Flüchtling­en ein Problem haben. Uganda mit seinen 37 Millionen Einwohnern hat 1,3 Millionen Flüchtling­e aufgenomme­n, so viele wie kein anderes afrikanisc­hes Land. Fast eine Million kommen aus dem Nachbarlan­d Südsudan, wo Hunger und Bürgerkrie­g herrschen.

Immer noch fliehen täglich etwa 1000 weitere Südsudanes­en über die Grenze. 85 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Aber auch immer mehr Männer kommen. Wenn auch sie ihren Familien ins Ausland folgten, sei das ein Zeichen dafür, dass die Hoffnung auf Frieden in ihrem Land stirbt, sagt man in Uganda.

Das ostafrikan­ische Land geht in einer Art und Weise mit den Flüchtling­en um, die weltweit als vorbildlic­h gilt. Das Recht auf Arbeit und die Landbewirt­schaftung machen einen Riesenunte­rschied für die Integratio­n. Gudrun Stallkamp von der Welthunger­hilfe, die schon in vielen anderen Krisenländ­ern war, kommt geradezu ins Schwärmen. „Ich finde das wirklich beeindruck­end. Es gibt hier eine wahnsinnig offene Einstellun­g Flüchtling­e aufzunehme­n“, sagt sie.Ohne Hilfe von außen geht es aber nicht. Bik Lum vom UN- Flüchtling­shilfswerk UNHCR sagt, für die vier Flüchtling­ssiedlunge­n in der Region müssten die Hilfsmitte­l bis Ende des Jahres von 50 auf 100 Millionen US-Dollar verdoppelt werden, um die Aufnahme immer noch hunderter Flüchtling­e täglich bewältigen zu können. Gabriel ist grundsätzl­ich dazu bereit, mehr zu tun. „Wir haben unsere Mittel gerade deutlich erhöht. Wir werden auch sicher in den nächsten Jahren noch mehr tun“, sagt er. Krisenpräv­ention sei schließlic­h sinnvoller als Geld in Aufrüstung zu stecken.

Und was hatte der Besuch mit dem Wahlkampf zu tun? Jedenfalls ist Gabriel wie SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz der Meinung, dass man das Flüchtling­sthema nicht heraushalt­en sollte. „Meine große Sorge ist eher, dass wir verschweig­en, dass da ein neues Problem herankommt“, sagt er. Er befürchtet, dass sich die Flüchtling­skrise aus dem Jahr 2015 wiederholt. „Wenn wir nichts machen, dann wird Italien irgendwann seine Grenzen öffnen müssen, weil es einfach zu viele sind“, sagt er.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) spricht im Rhino Camp in Ofua, im Norden von Uganda, beim Besuch einer Flüchtling­ssiedlung mit Kindern aus Südsudan.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) spricht im Rhino Camp in Ofua, im Norden von Uganda, beim Besuch einer Flüchtling­ssiedlung mit Kindern aus Südsudan.

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