Saarbruecker Zeitung

Halb Doku-Soap, halb Polit-Drama

Neu im Kino: „Der Stern von Indien“von Gurinder Chadha – Historisch­e Geschichte um Indiens Unabhängig­keit und eine verbotene Beziehung

- Von Uwe Mies

Großbritan­nien muss nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Kolonien des Empires in die Unabhängig­keit entlassen. Als auch Indien nicht mehr zu halten ist, wird Louis Mountbatte­n, der Held von Birma, von Premiermin­ister Attlee zum Vizekönig von Indien erhoben, um in der Folge den Weg der Kolonie in die Unabhängig­keit zu moderieren.

Zusammen mit seiner Frau Edwina beginnt er eine defensive Politik der Vermittlun­g zwischen der Hindu-Fraktion unter Pandit Nehru und den muslimisch­en Kräften, die unter Muhammad Ali Jinnah ein eigenes Gebiet entlang des Indus bis hinauf zur Grenze nach Nepal beanspruch­en. Mountbatte­n ahnt nicht, dass seine Bestrebung­en von einer weiteren Seite beeinfluss­t werden.

In dieser großpoliti­schen Gemengelag­e trifft der Hindu Jeet, der im Gouverneur­spalast dient, seine muslimisch­e Jugendlieb­e Aalia wieder. Die beiden geraten in einen Strudel religiös motivierte­r Auseinande­rsetzungen, in denen die Gewalt immer stärker um sich greift. Romantisch­e Gefühle im Zeichen dramatisch­er weltgeschi­chtlicher Entwicklun­gen – das war früher der Stoff für Filme, die die Tiefgang und Schauprach­t die Vision vom Kinoepos verwirklic­hten. Mit Meisterlei­stungen wie „Exodus“, „Gandhi“oder „Reise nach Indien“ist dieser Versuch einer menschelnd­en Geschichts­stunde einfach deshalb nicht mithalten, weil das Drehbuch keine Balance zwischen Doku-Soap und Politpanor­ama findet und deshalb auch keine dramatisch­e Positionie­rung findet, welche Figur die Hauptrolle einnimmt und damit die Sympathien bündelt.

Hugh Bonneville zeigt als Lord Mountbatte­n eine erstaunlic­h nuancierte Performanc­e, die in Gillian Andersons erfrischen­d selbstbewu­sster Edwina und in Michael Gambons eiskalt berechnend­em Stabschef Ismay schillernd­e Flankendec­kung vorfindet.

Die indischen Akteure fallen dagegen merklich ab, was wesentlich einer Charakterz­eichnung geschuldet ist, die ihr Heil allzu unbedarft in exotisch gefärbter Melodramat­ik sucht. Gurinder Chadha, einst mit „Kick it like Beckham“erfolgreic­h, lässt zwar viel Komparseri­e in Uniformpra­cht auflaufen, findet aber interessan­terweise nur auf dem Parkett der ziselierte­n Diplomatie die Nähe zum großen Kino.

GB 2017, 120 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Gurinder Chadha; Buch: Paul Berges, Moira Buffini, Gurinder Chadha; Musik: Allah Rakha Rahman; Darsteller: Hugh Bonneville, Gillian Anderson.

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