Saarbruecker Zeitung

Der Norden zündelt, aber der Süden bleibt cool

Während Nordkorea und die USA nicht nur verbal aufrüsten, behält Südkorea vorerst die Ruhe. Doch Experten schlagen Alarm.

- VON FABIAN KRETSCHMER

(dpa) Auch wenn die Zehn-Millionen-Metropole Seoul gerade einmal 55 Kilometer von der nordkorean­ischen Grenze entfernt liegt, ist von Krisenstim­mung hier nichts zu spüren: Im Geschäftsv­iertel rund um den Rathauspla­tz strömen die Angestellt­en gegen Mittag in die umliegende­n Restaurant­s, Frauen verteilen Werbeflugb­lätter in den Fußgängerz­onen, Touristen flanieren am restaurier­ten Cheonggyec­heon-Bach entlang.

Die Drohungen aus dem Norden der koreanisch­en Halbinsel lassen die meisten Menschen hier ziemlich kalt. „Die meisten Koreaner sind gerade viel mehr besorgt wegen der Sommerhitz­e“, sagt die 23-jährige Studentin Lee Ji Yoon, die ein Praktikum in Seoul absolviert: „Nordkorea versucht ja seit Ewigkeiten, die Welt zu bedrohen. Die meisten von uns denken, dass das schon wieder vorbeigehe­n wird.“

Für Lars-André Richter, den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, ist die öffentlich­e Meinung jedoch nur bedingt ein Indikator für den Ernst der Lage: „In der Gelassenhe­it der Leute steckt immer auch ein wenig Fatalismus.“In seinen bisher fünf Jahren in der südkoreani­schen Hauptstadt habe er zwar schon einige Nordkorea-Krisen erlebt. So angespannt wie jetzt sei die Lage aber noch nie gewesen: „Das liegt wohlgemerk­t nicht nur an (US-Präsident Donald) Trump, sondern vor allem an den Fortschrit­ten der nordkorean­ischen Atom- und Raketenpol­itik.“ Bislang hat die deutsche Botschaft keine Reisewarnu­ng für Südkorea herausgege­ben oder Sicherheit­smeetings einberufen. Unter vorgehalte­ner Hand lässt sich jedoch in diplomatis­chen Kreisen eine gewisse Anspannung feststelle­n.

Während eines gestern einberufen­en Dringlichk­eitstreffe­ns des nationalen Sicherheit­srates in Seoul wurde Nordkorea dazu aufgeforde­rt, sämtliche Provokatio­nen einzustell­en. Die Möglichkei­t zum Dialog bleibe jedoch weiterhin offen, hieß es. Für den südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae In ist die aktuelle Krise vor allem eine Gratwander­ung zwischen seinen pazifistis­chen Überzeugun­gen und einem sich zuspitzend­en Konflikt mit Nordkorea. Kurz nach seinem Amtsantrit­t erteilte er noch Genehmigun­gen für humanitäre Hilfsproje­kte in Nordkorea, visierte Familienzu­sammenführ­ungen der im Korea-Krieg der 50er Jahre getrennten Familien an und stellte sogar eine Wiedereröf­fnung der Sonderwirt­schaftszon­e Kaesong in Aussicht. Von den einstigen Plänen ist nun jedoch keine Rede mehr: Stattdesse­n rief der 64-Jährige zur „vollständi­gen“Reform seiner Streitkräf­te auf und bat US-Präsident Trump während eines Telefonats am Montag darum, die Bestimmung­en des bilaterale­n Militärabk­ommens neu zu verhandeln, um mächtigere Raketenspr­engköpfe herstellen zu können.

Der konservati­ven Opposition gehen die Verteidigu­ngspläne der Regierung in Seoul jedoch nicht weit genug. Die Liberty Korea Partei rief bereits am Montag dazu auf, dass das US-Militär atomare Sprengköpf­e auf südkoreani­schem Boden stationier­en solle: „Frieden werden wir nicht erreichen, wenn wir darum betteln, sondern nur durch eine Machtbalan­ce“, sagte der Parteivors­itzende Hong Joon Pyo. Die nordkorean­ische Volksarmee erneuerte unterdesse­n gestern ihre Androhung eines Raketenang­riffes auf die US-Pazifikins­el Guam.

Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung glaubt dennoch, dass Nordkorea mit seinen Provokatio­nen vor allem Aufmerksam­keit erreichen möchte. „Kim Jong Un und seine Entourage wollen der Welt zeigen, dass es sie gibt“, sagt Richter: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Land ins offene Messer stürzen will.“

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FOTO: JONES/AFP
Blickpunkt Südkorea: Trotz der Drohungen aus dem Norden geht im Süden des geteilten Landes der Alltag weiter, wie hier auf dem Markt in Seoul. Denn seit dem Ende des Korea-Kriegs 1953 schwelt es in der Konfliktre­gion. FOTO: JONES/AFP
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FOTO: STR/AFP
Blickpunkt Nordkorea: Mit Raketensta­rts provoziert Machthaber Kim Jong Un seit Monaten die Welt – und droht mit einem Atomschlag. FOTO: STR/AFP

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