Der wahre Monsieur Mercédès
Emil Jellinek gilt als der Erfinder des M arkennamens M ercedes. Im südfranzösischen Nizza lassen sich seine Spuren bis heute verfolgen.
NIZZA
Erfolgreiche Rennfahrer oder auch ein langjähriges Vorstandsmitglied werden schnell mal als „Mister Mercedes“tituliert. Vielleicht auch, weil einem die beiden großen M so flüssig von der Zunge gehen. Der Mann, dem dieser Titel gebührt und der ihn sogar amtlich an seinen Familiennamen anfügen ließ, war der 1853 geborene Emil Jellinek-Mercédès. Sein Vater wirkte als Rabbiner in Leipzig, die Familie zog nach Wien, als der kleine Emil drei Jahre alt war.
Eine Inschrift an seiner Grabstätte auf einem Friedhof über den Dächern von Nizza nennt ihn „pionnier d’automobile“, und man denkt sofort an Namen wie Benz, Daimler und Maybach. In der Tat haben sich Jellineks Wege mit denen von Gottlieb Daimler und vor allem Wilhelm Maybach um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gekreuzt.
Aber er war kein begnadeter Techniker, galt vielmehr als schwarzes Schaf seiner Familie, das nach einigen Irrungen und Wirrungen schließlich zum Namensgeber der Automobile aus Bad Cannstatt und später aus Stuttgart-Untertürkheim wurde.
Der Mann hatte einen ausgeprägten Geschäftssinn und war womöglich der Erfinder des Marketings, hätte es diesen Begriff damals schon gegeben. Er hatte sich in Nizza niedergelassen, im späten 19. Jahrhundert so etwas wie die Winterhauptstadt Europas. Dank des milden Klimas strömten Adel und Geldadel an die Côte d’Azur. Unweit des legendären Hotels Negresco, in dem man noch heute dem Zeitgeist der Belle Époque nachspüren kann, hatte sich Emil Jellinek in einer Villa angesiedelt, die ebenso wie seine Tochter den Namen Mercédès trug – in französischer Schreibweise.
In Sachen Tabak, Wollwaren und Versicherungspolicen hatte es Jellinek zu einigem Wohlstand gebracht und hielt ständig Ausschau nach weiteren Geschäftsfeldern. Da kam ihm das Automobil gerade recht. Nizza war der ideale Standort für einen Handel damit. Man muss dazu wissen, dass die Fortbewegung mit Hilfe eines Benzinmotors in jenen Tagen ein Privileg, um nicht zu sagen ein Spielzeug für reiche Leute war. Sie vertrieben sich die Zeit mit Aufenthalten im Casino, mit üppigen Bällen – und jedes Jahr im März mit der „Woche von Nizza“, bei der sieben Tage lang mit dem Auto um die Wette gefahren wurde. Es gab Meilenrennen mit stehendem und fliegendem Start an der Promenade des Anglais unmittelbar vor Jellineks Haustür. Man ging auf eine Fernfahrt von Nizza nach Salon in der Provence und zurück über 392 Kilometer und veranstaltete ein Bergrennen hinauf ins Dorf La Turbie.
Ein Gedenkstein am Fuße des Berges erinnert daran, dass hier im Jahre 1900 der Rennfahrer Wilhelm Bauer auf einem Phönix-Rennwagen der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) in der ersten Kurve gegen einen Felsen fuhr und tödlich verunglückte. In Bad Cannstatt überlegten sie, sich deshalb aus der gefährlichen Rennerei zurückzuziehen. Aber Jellinek, in dessen Auftrag Bauer an den Start gegangen war, erhob Einspruch und forderte das Gegenteil. Man möge einen Rennwagen mit mehr Leistung und tieferem Schwerpunkt entwickeln. Um seine Forderung zu untermauern, bestellte er insgesamt 72 Neuwagen in zwei Tranchen, zu diesem Zeitpunkt mehr als 60 Prozent der Daimler-Jahresproduktion.
Wilhelm Maybach machte sich an die Arbeit und entwickelte binnen Jahresfrist ein Auto mit vier Zylindern und 35 PS/27 kW aus 5,9 Litern Hubraum, mit einem gewaltigen Kühler und insgesamt tiefer gelegt. Der Wagen kam als Mercedes 35 PS auf den Markt und belegte beim Bergrennen 1901 nach La Turbie die ersten drei Plätze. Das bedeutete den Abschied von der motorisierten Pferdekutsche hin zum Automobil, wie wir es kennen.
Emil Jellinek nutzte die Gunst der Stunde. 1902 wurde das Warenzeichen Daimler-Mercedes amtlich geschützt. Sein Erfinder, der in den Aufsichtsrat der DMG gerückt war, beantragte ein Jahr später selbst diesen Namenszusatz und hieß fortan Jellinek-Mercédès. Seine Geschäfte in Nizza liefen glänzend – bis 1907. Da gerieten er und Maybach mit den übrigen Verantwortlichen in Untertürkheim über Kreuz. Beide zogen sich aus dem Unternehmen zurück. Jellinek wandte sich dem Schiffbau und sonstigen Geschäften zu. Seine Liaison mit Daimler hatte nicht länger als zehn Jahre gedauert.
Nach Kriegsbeginn wagte man in Frankreich nicht mehr, Deutsch zu sprechen. Jellineks Familie zog 1917 nach Genf, wo er im Jahr darauf im Alter von 64 Jahren starb.