Saarbruecker Zeitung

Kammer: Überstunde­n in Saar-Firmen ufern aus

Die Arbeitskam­mer fordert eine Zeiterfass­ung in allen Betrieben. Nur so seien gerechtere Arbeitsbed­ingungen möglich.

- VON THOMAS SPONTICCIA

SAARBRÜCKE­N

In immer mehr saarländis­chen Unternehme­n leisten Beschäftig­ten zunehmend unbezahlte Überstunde­n. Auch steigt die Belastung durch Schichtdie­nste und höhere Krankenstä­nde stark an. Zu diesem Ergebnis kommt das „Betriebsba­rometer 2017“der Arbeitskam­mer des Saarlandes. Hierzu wurden die Angaben von 231 Arbeitnehm­ervertretu­ngen landesweit ausgewerte­t, die nach Angaben der Kammer rund 117 000 sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te repräsenti­eren. Alarmieren­d sei vor allem, dass mittlerwei­le rund 90 Prozent der abhängig Beschäftig­ten Überstunde­n leisten, aber selbst in Firmen, die einen Betriebsra­t haben, meist keinen Ausgleich für Mehrarbeit bekommen. Nur in 23 Prozent der Unternehme­n mit einer betrieblic­hen Interessen­vertretung gebe es für Überstunde­n mehr Geld oder Freizeit, sagte gestern Kammer-Vorstandsc­hef Hans Peter Kurtz.

„Die im Saarland ausufernde Zahl an Überstunde­n kann nur durch eine funktionie­rende Arbeitszei­terfassung begrenzt werden“, forderte er. Nur so könnten die Beschäftig­ten wieder „mehr Arbeitszei­tsouveräni­tät“erlangen. „Unbezahlte Arbeit und der Verfall von Urlaub sind selbst in mitbestimm­ten Betrieben ein weit verbreitet­es Problem“, beklagte Kurtz. „Tatsächlic­h gibt es an der Saar in fast jedem zehnten Betrieb entweder gar keine Arbeitszei­terfassung oder nur für weniger als die Hälfte der Beschäftig­ten.“

Nach Ansicht des Arbeitskam­mer-Chefs bringt das ungeregelt­e Prinzip der Vertrauens­arbeitszei­t zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern nichts. In der Realität steige die Zahl der Überstunde­n immer weiter an, und es verstärke sich auch die Leistungsv­erdichtung, beispielsw­eise durch die Verkürzung von Taktzeiten an Bändern in Industrieb­etrieben. Besonders ältere Mitarbeite­r hielten diese Leistungsv­erdichtung immer seltener aus, ohne krank zu werden. Beklagensw­ert seien die Zustände in saarländis­chen Unternehme­n auch, wenn Beschäftig­te, die Angehörige pflegen oder sich um Kinder kümmern müssen, flexiblere Lösungen bei der Arbeitszei­t brauchen. Die Firmen würden ihren Mitarbeite­rn viel zu wenig entgegenko­mmen.

Im Betriebsba­rometer der Arbeitskam­mer beurteilen jedoch gleichzeit­ig über die Hälfte der Befragten die Zukunftsau­ssichten der Betriebe und Dienststel­len an der Saar als gut bis sehr gut. Sie erwarten zudem wegen der guten Wirtschaft­slage weitere Neueinstel­lungen. Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) fordert von den Firmen, stärker auf die veränderte­n Ansprüche der Beschäftig­ten einzugehen und flexiblere Arbeitszei­ten zur Chefsache zu machen. Variable Arbeitszei­ten seien sinnvoll, aber nur, wenn sie auch den Beschäftig­ten etwas brächten.

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