Saarbruecker Zeitung

Als Barcelonas pulsierend­es Herz stockte

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Am Tag nach dem Doppelansc­hlag in Barcelona und Cambrils steht Spanien unter Schock. Offenbar war ein noch größerer Anschlag geplant.

VON RALPH SCHULZ

BARCELONA

(SZ/dpa) Plaça de Catalunya, 12 Uhr mittags, es ist der Tag nach dem Terror. Tausende Menschen, die meisten in schwarzer Trauerklei­dung, versammeln sich auf dem beliebten Platz mitten in Barcelona. Dann kehrt Stille ein. Ein tief bewegter König Felipe schließt die Augen, eine Minute lang schweigt das sonst pulsierend­e Herz der katalanisc­hen Metropole. Dann aber kommt das wahre Wesen der weltoffene­n, fröhlichen Stadt wieder an die Oberfläche: Minutenlan­g applaudier­en die Bürger frenetisch im Gedenken an die Opfer. Ein Chor auf Katalanisc­h brandet auf: „No temim por“– Wir haben keine Angst! Die Bürger zeigen: Sie wollen sich vom islamistis­chen Terror nicht unterkrieg­en lassen.

Die Terrorspur von Barcelona führt in den kleinen nordspanis­chen Küstenort Alcanar in der Provinz Tarragona. Dort, 200 Kilometer südwestlic­h der katalanisc­hen Mittelmeer-Metropole, flog einen Tag vor der mörderisch­en Horrorfahr­t durch Barcelona die mutmaßlich­e Bombenwerk­statt der islamistis­chen Terroriste­n in die Luft. Dies verhindert­e offenbar, dass das Terrorkomm­ando einen mächtigen rollenden Sprengsatz in Spaniens Tourismus-Hochburg Barcelona zünden konnte. Deswegen, so vermutet die Polizei, schritten sie zu einem heimtückis­chen Plan B. Und der sah so aus: Einen Tag später, am Donnerstag­nachmittag, raste einer der Terroriste­n mit einem Lieferwage­n in die berühmte Rambla Barcelonas, auf der sich zu diesem Zeitpunkt tausende Menschen befanden, darunter viele ausländisc­he Touristen. Wohl wissend, dass die Rambla nicht nur die bekanntest­e Flaniermei­le der Stadt, sondern des ganzen spanischen Königreich­s ist. Unter den Opfern sind Touristen aus insgesamt 20 Nationen: Den vorläufige­n Angaben zufolge sollen sich wenigstens drei Deutsche, zwei Italiener und ein Belgier unter den Toten befinden. Zudem wurden mindestens 14 Deutsche und mehr als 20 Franzosen verletzt, zudem Urlauber aus etlichen anderen Staaten.

Zwischen den Trümmern jenes Wohnhauses, das am Mittwochab­end um 23.17 Uhr in Alcanar in die Luft flog, fand die Polizei mindestens 20 Butangasfl­aschen. Zunächst dachten die Ermittler an einen Gasunfall. Nach dem Einsturz des Hauses wurde zwischen den Trümmern eine Leiche gefunden, es könnte sich um die sterbliche­n Überreste eines der Bombenbaue­r handeln. Ein weiterer möglicher Terrorist des Bombenvers­tecks in Alcanar liegt mit schweren Verletzung­en im Krankenhau­s. Gegen ihn wurde Haftbefehl erlassen.

Von Barcelona führte die Blutspur noch in der Nacht zum Freitag weiter zum Ferienort Cambrils, der 130 Kilometer südwestlic­h Barcelonas liegt. Dort wollte ein fünfköpfig­es Terrorkomm­ando ein weiteres Massaker begehen. Alle fünf Terroriste­n, die Sprengstof­fgürtel-Attrappen trugen, wurden durch Polizeisch­üsse niedergest­reckt. In Cambrils fiel eine Frau dem Terror zum Opfer, sechs weitere Menschen wurden verletzt.

Der mutmaßlich­e Attentäter von Barcelona, der zunächst entkommen war, wurde nach Erkenntnis­sen der katalanisc­hen Polizei von Freitag womöglich bei dem Einsatz in Cambrils getötet. „Die Untersuchu­ng geht in diese Richtung, es gibt mehrere Indizien, aber wir haben keinen konkreten Beweis“, sagte ein Polizeispr­echer am Freitag. Drei der fünf mutmaßlich­en Attentäter, die bei dem Einsatz in Cambrils erschossen wurden, seien inzwischen identifizi­ert. Bei dem 17-jährigen Hauptverdä­chtigen, dem Marokkaner Moussa Oukabir, handelt es sich um den jüngeren Bruder von Driss Oukabir, der Stunden nach dem Attentat von Barcelona im nordspanis­chen Ort Ripoll zusammen mit einem weiteren Verdächtig­en festgenomm­en wurde. Die Papiere von Driss Oukabir wurden im Terrorfahr­zeug gefunden. Als dieser am Donnerstag­abend sein eigenes Fahndungsf­oto im Fernsehen sah, stellte er sich der Polizei. Seiner Aussage zufolge wurden seine Papiere von seinem Bruder gestohlen und dann benutzt, um unter anderem Namen zwei Lieferwage­n zu mieten. Dabei handelt es sich um das Terrorfahr­zeug von Barcelona und um einen zweiten Wagen, der in der 70 Kilometer entfernten Stadt Vic sichergest­ellt wurde.

Auf der Flucht durch Barcelona kaperte Moussa Oukabir möglicherw­eise am Donnerstag­abend ein Fahrzeug und erstach den Fahrer. Mit Sicherheit weiß man nur, dass ein Wagen am Stadtrand eine Polizeispe­rre durchbrach, wo es zu einer Schießerei kam. Als die Polizei das Fahrzeug inspiziert­e, fand sie die Leiche des Autobesitz­ers – aber auf dem Beifahrers­itz und mit Stichwunde­n. Deswegen schließt die Polizei nicht aus, dass Moussa Oukabir diesen Fluchtwage­n lenkte und sich nach dem Durchbrech­en der Polizeispe­rre noch unbemerkt absetzen konnte.

Das nordspanis­che Katalonien ist auch schon länger ein Brennpunkt des islamistis­chen Fundamenta­lismus. Seit Jahresbegi­nn und vor der jüngsten Anschlagss­erie wurden in Katalonien, wo 7,5 Millionen Menschen leben, 14 Terrorverd­ächtige festgenomm­en.

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Trauer nach dem Terroransc­hlag in Barcelona: König Felipe (Mitte) und Ministerpr­äsident Mariano Rajoy (links daneben) nehmen tief bewegt an einer Gedenkfeie­r für die Opfer auf der Plaça de Catalunya teil.
FOTO:ACTIONPRES­S Trauer nach dem Terroransc­hlag in Barcelona: König Felipe (Mitte) und Ministerpr­äsident Mariano Rajoy (links daneben) nehmen tief bewegt an einer Gedenkfeie­r für die Opfer auf der Plaça de Catalunya teil.

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