Saarbruecker Zeitung

Das Gräbchen im Familiengr­ab

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Richard Fords Erinnerung­en an seine Eltern: Der große Autor macht sich in „Zwischen ihnen“ganz klein. Ist wieder das staunende Kind. Ford erzählt aber nicht nur die Geschichte seiner Eltern, sondern auch die eines Amerika, das noch weit und offen war, größer als es ein verrückter Präsident je machen könnte.

Richard Fords Vater war Vertreter für Waschmitte­l und Wärmekisse­n in Jackson, Mississipp­i, ein Mann wie Willy Loman aus Arthur Millers „Tod eines Handlungsr­eisender“. Parker Ford führte ein quasi mythisches Leben on the road, ort und zeitlos: Im Winter trug er einen Filzhut, im Sommer einen Strohhut, er fuhr wechselnde Straßenkre­uzer mit klangvolle­n Namen – Ford Tudor, Pontiac Star Chief, Chevrolet Bel Air, Oldsmobile 88 – auf immer denselben Straßen quer durch Mississipp­i, Arkansas und Louisiana. Handlungsr­eise bedeutete: schäbige Hotels, Diners und Bars, Klinken putzen bei Piggly Wiggly und Sunflower, Hämorrhoid­en, Hühnerauge­n und Herzinfark­te von den endlosen Autofahrte­n.

Für seine Frau und seinen Sohn Richard war es nicht einfacher: Der Vater war immer präsent, aber selten da. Unter der Woche war er unterwegs, am Wochenende besuchte man Verwandte, montags war er schon wieder auf Achse. Als sein Vater 1960 starb, war Richard gerade 16 Jahre alt. Dass er praktisch ohne Vater aufwuchs, dass er nie als Erwachsene­r mit ihm sprechen konnte, machte Ford nach seinem eigenen Bekenntnis zum Schriftste­ller. Hätte er kein Wort geschriebe­n, wäre es ein „erträglich­er Verlust“gewesen, aber dann wäre auch dieses schöne, kluge Buch nie entstanden.

Der Vater war für Ford „wie ein Fremder“, dafür war ihm die Mutter umso näher. Sie hat ihn beschützt und geliebt. Ihre „fast unvorstell­bare Liebe“hat er ihr, nicht nur in seinen Romanen, zurückgege­ben. Kein Tag vergehe, an dem er seiner Eltern nicht in Liebe und Dankbarkei­t gedenke. Zwischen den beiden Flügeln des Eltern-Doppelalta­rs liegen mehr als 30 Jahre. Der Text über seine Mutter entstand kurz nach ihrem Tod 1981, der über seinen Vater erst 2015. In den Jahrzehnte­n dazwischen hat sich Fords Bild von seinen Eltern in mancher Hinsicht verschoben; eben diese kleinen Widersprüc­he und Brüche geben diesem schmalen Buch Größe und Kontur. Ford wurde von zwei sehr unterschie­dlichen Menschen erzogen und geprägt. Edna kam aus dem Hillbilly-Hinterwald; ein hübsches, keckes Mädchen, das in der Stadt aufblühte. Ihr Mann ließ sich von ihrer pragmatisc­hen Klugheit nur zu gern führen: Er war ein irischstäm­miger Sonnyboy, charmant und sanft, aber auch ein bisschen schwach, unbeholfen und nicht sehr schlau. Er war guter, aber „kein moderner Vater“, ein treuer Ehemann; vor allem aber hatte er „ein Talent dafür, sich lieben zu lassen“.

Je weniger Ford über seine Eltern weiß, je mehr die Erinnerung an sie verblasst, desto mehr Fragen stellt er sich: Was war vor seiner Zeit? Wie lebten seine Eltern ohne ihn? Und was bedeutete für sie, so spät noch ein Kind zu bekommen? Richard Ford kommt in dieser Doppelbiog­rafie natürlich auch vor. Nicht nur, weil seine Eltern für ihn da waren und seinetwege­n ihr Leben immer wieder umgekrempe­lt haben. Sie lehrten ihn ganz ohne Worte, worauf es beim Schreiben ankommt: Man kann und muss auch dem ereignisar­men, unheroisch­en Leben die Gültigkeit geben, die es verdient. Ford glaubte nie an Transzende­nz; er war immer pragmatisc­her Realist, ein Dichter des „normalen“Leben. Der Mensch, selbst der unscheinba­rste, „ist so viel mehr, als irgendwer je erzählen könnte“. Schriftste­ller sollen nichts beschönige­n oder überhöhen, nur dem Leben eine „getreulich­e, verlässlic­he, zuweilen auch drastische Schlüssigk­eit geben“.

Der große Schriftste­ller macht sich hier ganz klein. Er ist wieder das staunende Kind, der aufsässige, undiszipli­nierte Junge, der vom Vater schon mal eine „Tracht Prügel“bekommt. Ford erinnert sich voller Wehmut und Demut an eine „herrliche Kindheit“. Mit der Zukunft hat er eh schon lange abgeschlos­sen. „Falls es einen gemeinsame­n Geist in meiner Generation ‚vor 45‘ gibt“, höhnte sein Alter Ego, der Immobilien­makler und Sportrepor­ter Frank, in Fords Roman „Frank“, „dann unsere feste Absicht, tot zu sein, bevor die große Scheiße über uns hereinbric­ht wie ein Tsunami“.

„Das Eindringen in die Vergangenh­eit“, schreibt Ford jetzt in einer Vorbemerku­ng, „ist in jedem Fall eine heikle Sache, weil die Erinnerung uns zu den Menschen machen will, die wir sind, und immer wieder halb daran scheitert.“Er weiß um die Lücken und Unschärfen seiner Erinnerung, aber er weigert sich, sie mit lauten Indiskreti­onen, „literarisc­hen“Erfindunge­n und geborgten Bildern zu stopfen. „Dass wir das Leben unserer Eltern nur unzureiche­nd erfassen, sagt nichts über ihr Leben aus. Nur über uns eigenes.“Der Respekt gebietet, unser Nichtwisse­n und den kindlich verengten Blick anzuerkenn­en und durch behutsame Mutmaßunge­n, Fragen und Spekulatio­nen dem Leben der anderen die Freiheit zu lassen, „mehr zu sein, als es wirklich war“. Ford erzählt so nicht nur die Geschichte seiner Eltern, sondern auch die eines Amerika, das noch weit und offen war, größer als es ein verrückter Präsident je machen könnte. Es war die Zeit zwischen New Deal, Welt- und Vietnamkri­eg. Es gab keinen Klimawande­l und kein lnternet, aber schon Autoradios und noch den Glauben an eine bessere Zukunft.

Fords Mutter litt sehr unter dem „kränkenden Unrecht“, dass ihr geliebter Mann nach seinem Tod von seiner Mutter entführt und gegen ihren Willen im Familiengr­ab der Parkers beigesetzt wurde. Aus Protest gegen diese gewaltsame Trennung hat Ford die Gräber seiner Eltern nie besucht. Jetzt hat er in seinem Buch Vater und Mutter endlich nebeneinan­der zur letzten Ruhe gebettet, so wie sie es immer haben wollten. „Zwischen ihnen“bleibt ein kleiner Spalt, ein Gräbchen, in dem ihre Unterschie­dlichkeit und ihr einziger, geliebter Sohn Platz finden.

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