Saarbruecker Zeitung

Wenn das Risiko eine Abschiebun­g rechtferti­gt

Auch in Deutschlan­d geborene islamistis­che Gefährder sind nicht vor einer Ausweisung sicher. Das entschied das Bundesgeri­cht in Leipzig.

- VON MICHAEL EVERS

(dpa/afp) Harte Kante zeigen gegen Islamisten: Angesichts von Terrordroh­ungen und Anschlägen steht das Thema Innere Sicherheit im Bundestags­wahlkampf hoch im Kurs. Doch abseits von Slogans erweist sich der Umgang mit Gefährdern, denen die Polizei einen Terrorakt zutraut, in der Praxis aber zäher als gedacht. So mancher Betroffene zieht gar vor Gericht, um sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. In zwei Grundsatzu­rteilen hat das Bundesverw­altungsger­icht gestern aber dem Land Niedersach­sen recht gegeben: Die Abschiebun­g von zwei Gefährdern nach Algerien und Nigeria sei in Ordnung gewesen.

Die beiden Männer, 27 und 22 Jahre alt, waren vor sechs Monaten bei einer Razzia in Göttingen festgenomm­en worden. Die Behörden entschloss­en sich dazu, weil sie Anzeichen für einen womöglich unmittelba­r bevorstehe­nden Anschlag sahen. Für ein Strafverfa­hren reichten die Beweise der Staatsanwa­ltschaft allerdings nicht. Daher machte Niedersach­sen von einer 2005 ins Aufenthalt­sgesetz eingefügte­n Vorschrift Gebrauch, wonach die Länder die Abschiebun­g eines Ausländers anordnen können, um terroristi­schen oder anderen Sicherheit­sgefahren vorzubeuge­n. Das Bundesverw­altungsger­icht bestätigte dieses Vorgehen nun im Hauptverfa­hren. Beiden Männern habe keine unmenschli­che Behandlung gedroht.

Eine Bestätigun­g ist das Urteil für Niedersach­sens SPD-Innenminis­ter Boris Pistorius. Nach der Abschiebun­g hatte er weiteren Gefährdern im Frühjahr bereits „jederzeit mit der vollen Härte der uns zur Verfügung stehenden Mittel“gedroht. Weitere Abschiebun­gen aber gab es aber zunächst nicht, weil die beiden jungen Männer, die zwischenze­itlich bereits nach Nigeria und Algerien ausgefloge­n wurden, vor das Bundesgeri­cht zogen.

Trotz der Bestätigun­g der Leipziger Richter sind Abschiebun­gen kein Allheilmit­tel im Kampf gegen gefährlich­e Islamisten, die nicht wegen einer konkreten Straftat verurteilt werden können. Denn sie kommen nur bei einem kleineren Teil der bundesweit knapp 700 Gefährder in Betracht. Wer Deutscher ist oder die deutsche Staatsange­hörigkeit neben einer ausländisc­hen besitzt, ist vor Abschiebun­g geschützt. Dazu kommt, dass das Aufenthalt­sgesetz unter Paragraph 58a klare Voraussetz­ungen für eine Abschiebun­g formuliert. Diese ist nur möglich „auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d oder einer terroristi­schen Gefahr (...)“. Ein vager Verdacht oder ein Bauchgefüh­l alleine reicht also nicht. Niedersach­sen nutzte diese 2005 geschaffen­e Vorschrift als erstes Land und betrat damit bundesweit Neuland.

Große Nachahmung hat der harte Schritt gegen die in Göttingen geborenen Gefährder bislang nicht gefunden. Möglicherw­eise auch, weil das Leipziger Gericht im Fall des Algeriers in einem ersten Eilentsche­id vom Frühjahr die Abschiebun­g von der Zusicherun­g der algerische­n Regierung abhängig machte, dass dem Betroffene­n keine Folter oder unmenschli­che Behandlung droht. Etliche Monate verstriche­n, bis eine solche Zusage eintraf. Andere Zielländer mit schwierige­r Menschenre­chtslage dürften kaum schneller reagieren.

Ein langes juristisch­es Hickhack gibt es auch um weitere Gefährder, etwa den Tunesier Haikel S.. Das Verwaltung­sgericht Frankfurt hatte die Abschiebun­g mit dem Hinweis untersagt, dass dem Mann in seiner Heimat die Todesstraf­e drohe. Nun müssen auch hier die Leipziger Richter entscheide­n. Im Fall eines Bremer Gefährders wurde die Abschiebun­g Anfang August auf dem Weg zum Flughafen gestoppt: Der 18-Jährige hatte Beschwerde beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte eingelegt.

Um Gefährder zumindest an der Ausreise in die Kampfgebie­te der Terrormili­z Islamische­r Staat zu hindern, können deutsche Behörden die Reisepässe der Betroffene­n einziehen. Erfolg verspreche­n sie sich auch von einem Verbot von Rekrutieru­ngsorten radikaler Islamisten. Im März etwa verbot Niedersach­sen den Deutschspr­achigen Islamkreis Hildesheim. Wenige Wochen zuvor wurde in Berlin der umstritten­e Moschee-Verein Fussilet 33 geschlosse­n, in dem auch der Berlin-Attentäter Anis Amri verkehrte.

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FOTO:BALK/DPA Nicht nur abgelehnte Asylbewerb­er dürfen aus Deutschlan­d abgeschobe­n werden (unser Bild), sondern auch sogenannte islamistis­che Gefährder.

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