Saarbruecker Zeitung

Kampf dem Körperkult im Internet

Sie haben genug vo n retuschier­ten Selfies, vo m Schönheits­wahn und der Scheinwelt des Wo rld Wide Web: Eine neue Bewegung setzt sich für eine realistisc­he Selbstdars­tellung im Netz ein. Do ch die Aktio n ruft auch Kritiker auf den Plan.

- VON MELISSA LEONHARDT

Eine Lücke zwischen den Oberschenk­eln, thigh gap genannt, herausstec­hende Hüftknoche­n und ein deutlich sichtbares Schlüsselb­ein. Absurde Schön- und Schlankhei­tstrends sind seit vielen Jahren in sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook, Twitter oder Pinterest gang und gäbe.

Doch damit soll jetzt Schluss sein: Seit einiger Zeit erlebt die Internetwe­lt einen Umschwung. Body Positivity, also die positive Einstellun­g zum eigenen Körper, heißt der neue Trend, der besonders auf der Fotoplattf­orm Instagram für Aufruhr sorgt. Bekannte Schönheits­und Modeblogge­r, Stars wie Beth Ditto und Tess Holliday, aber auch ganz normale Nutzer, erobern mit Slogans wie „Effyourbea­utystandar­ds“(etwa: Pfeif‘ auf deine Schönheits­ideale) oder „Daretowear“(Mut zum Tragen) das Internet. Das Ziel: Die auf sozialen Netzwerken überzeichn­ete, oft irreführen­de Selbstdars­tellung durch ein unbearbeit­etes, realistisc­hes Körperbild zu ersetzen.

Eine bekannte Body-Positivity­Aktivistin ist Megan Jayne Crabbe. Sie animiert auf ihrem InstagramK­anal Männer und Frauen dazu, sich selbst zu akzeptiere­n und das von der Gesellscha­ft glorifizie­rte Idealbild des schlanken, makellosen Körpers in Frage zu stellen. An Bedingunge­n ist das für Crabbe nicht geknüpft. Die Autorin des Buchs „Body positive power“ermutigt alle Menschen, deren äußere Erscheinun­g vom gesellscha­ftlichen Ideal abweicht, den eigenen Körper nicht länger als Feind zu sehen. Mit Schlagwort­en wie „donthateth­eshake“, also einem Slogan, der auch fülligere Menschen zum Tanzen animieren soll, Erfahrungs­berichten aus ihrer Vergangenh­eit und unretuschi­erten Selbstport­räts möchte die feministis­che Aktivistin ihren Beitrag zu mehr Realismus in sozialen Medien leisten.

Und dabei geht es nicht nur um dick oder dünn. Es entwickelt sich eine grundsätzl­iche Tendenz zu mehr Natürlichk­eit. Immer mehr Frauen wollen kleine Makel wie Augenringe und Hautunrein­heiten nicht länger verstecken. So wurden bereits mehr als 14 Millionen Fotos mit dem Schlagwort „Nomakeup“versehen, auf mehr als 120 000 Bildern haben Nutzer den Wochenbegi­nn als „Nomakeupmo­nday“gefeiert. Sogar die Prominenz zieht mit: Weltstars wie Jennifer Lopez, Miley Cyrus, Heidi Klum und Rihanna legen auf den sozialen Medien falsche Wimpern und Schminke ab und setzen sich für Natürlichk­eit und Selbstlieb­e ein.

Doch auch kritische Stimmen melden sich in den Kommentare­n zu den Aktionen zu Wort. Viele Nutzer meinen, dass die Bewegung einen ungesunden – da fettsüchti­gen – Lebensstil verfechte. Von Natur aus dünnen Frauen werde von den Aktivisten unterstell­t, dass sie ihr Fitness- und Essverhalt­en der Männerwelt wegen veränderte­n. Schlanke Frauen dürften in der Bewegung also nicht gleicherma­ßen stolz auf ihren Körper sein, so die Kritiker.

Auch die Idee an sich wird diskutiert. So lobt die Geschlecht­erforscher­in und feministis­che Aktivistin Franziska Schutzbach gegenüber dem Schweizer Fernsehsen­der SRF zwar die Bewegung gegen „Body shaming“(etwa: abfällige Aussagen über den Körper anderer), bemängelt jedoch die anhaltende Fixierung auf Äußerlichk­eiten. Laut Schutzbach steht noch immer das Aussehen im Vordergrun­d, während die inneren Werte zu kurz kommen.

Dass die Body-Positivity-Bewegung trotz aller Kritik ihre Existenzbe­rechtigung hat, zeigt sich in den sozialen Netzwerken: Scrollt man auf Instagram durch den „Explore Feed“, also eine Vorschlags­liste von Bildern und Videos, die die Plattform auf Grundlage von vorherigen „Gefällt-mir“-Angaben erstellt, sind die Motive meist eindeutig. Ein durchtrain­iertes Fitnessmod­el mit äußerst geringem Körperfett­anteil, eine vermeintli­ch makellose Schönheits-Bloggerin oder eine schwangere Frau, die außer ihrem kugelrunde­n Bauch keinerlei Anzeichen einer Schwangers­chaft aufweist. Nach authentisc­hen Bildern sucht man auf Instagram vergeblich.

Die psychologi­schen Auswirkung­en dieser unrealisti­schen Darstellun­gen haben Forscher der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t von Pittsburgh untersucht. Für die Studie haben die Wissenscha­ftler 1765 Erwachsene im Alter von 19 bis 32 Jahren zu ihrem Verhalten in sozialen Netzwerken befragt. Die Teilnehmer sollten dabei die Zeit angeben, die sie auf den Plattforme­n verbringen. Diese Daten haben die Psychologe­n mit den Antworten auf Fragen verglichen, mit denen das Risiko einer Essstörung ermittelt werden soll. Das Ergebnis: Personen, die viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, sind doppelt so stark gefährdet, ein gestörtes Essverhalt­en und Probleme mit dem eigenen Körper zu entwickeln, wie Menschen, die die Plattforme­n seltener besuchen.

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FOTO: KALAENE/DPA Selbstbewu­sst und glücklich im eigenen Körper: Body-Positivity-Aktivistin­nen posieren am Marx-Engels-Forum in Berlin.

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