Saarbruecker Zeitung

Wenn Terror-Abwehr ein Gesicht bekommt

- VON ANDREAS RABENSTEIN

Der Testlauf zur Gesichtser­kennung in einem Bahnhof in Berlin ist umstritten. Innenminis­ter de Maizière verteidigt das Projekt vehement.

BERLIN (dpa) Schutz oder Überwachun­g? Der Bundesinne­nminister hat eine klare Meinung. Thomas de Maizière (CDU) steht am Donnerstag­vormittag im Berliner Bahnhof Südkreuz und verteidigt sein Pilotproje­kt zur automatisc­hen Gesichtser­kennung durch Überwachun­gskameras. In seiner leicht hölzernen Art spricht er von einem „unglaublic­hen Sicherheit­sgewinn für die Bevölkerun­g“. Erste Testergebn­isse würden eine „erstaunlic­he Treffgenau­igkeit“zeigen. Die öffentlich­e Fahndung nach „Terroriste­n, nach Gefährdern, nach schweren Straftäter­n“ könne durch Gesichtser­kennungspr­ogramme und Kameras massiv verbessert werden, sagt de Maizière. Alles unter der Voraussetz­ung, dass die Technik zuverlässi­g funktionie­rt. Und genau das müsse man jetzt testen.

Wenige Meter von de Maizière entfernt hält Friedemann Ebelt ein Protestpla­kat gegen den sechsmonat­igen und in dieser Form bisher einmaligen Test von Bundespoli­zei und Innenminis­terium empor. „Transparen­z geht anders. Projekt abbrechen“, steht darauf. Ebelt gehört zu Digitalcou­rage, einer Datenschut­zinitiativ­e meist jüngerer Computerex­perten. „Es gibt keine Studie, die nachweist, dass Videoüberw­achung Kriminalit­ät reduziert“, sagt er. Ebelt und andere Datenschüt­zer sind grundsätzl­ich gegen die Gesichtser­kennung durch Computer. Weil das Pilotproje­kt der Bundespoli­zei aber schon läuft und sich bislang relativ wenig Protest regte, suchten sie sich einen konkreten Kritikpunk­t. Sie analysiert­en den sogenannte­n Transponde­r, einen kleinen Sender, den die 300 freiwillig­en Testperson­en bei sich tragen. Mit seiner Hilfe wird die Anwesenhei­t der Testperson­en im Bahnhof festgestel­lt – als Vergleichg­röße zur Identifizi­erung durch die Kameras und Computer.

Die Transponde­r können aber noch viel mehr Daten senden: Beschleuni­gung, Temperatur und Neigung des Untergrund­s etwa. Ebelt und seine Mitstreite­r empfangen tatsächlic­h Daten des Transponde­rs einer Testperson mit einem beliebigen Smartphone und einer App. Es handelt sich allerdings nur um die Kennnummer des Transponde­rs und der Temperatur.

Das Innenminis­terium hatte bereits versichert, alle anderen Funktionen seien bei dem Versuch abgeschalt­et. De Maizière betonte, er sehe „überhaupt keinen Grund, den Test jetzt abzubreche­n“. Einzelne Testperson­en könnten natürlich jederzeit aussteigen. Die Bundesdate­nschutzbea­uftragte Andrea Voßhoff hatte zuvor einen vorläufige­n Stopp des Tests gefordert.

In 900 Bahnhöfen hat die Bahn 6000 Kameras installier­t. Im Testbahnho­f Südkreuz sind es 77 Kameras, drei davon liefern derzeit die Bilder für die Computerpr­ogramme zur Gesichtser­kennung. Gefilmt werden ein Ein- und Ausgang sowie eine Treppe. Drei verschiede­ne Software-Systeme werten jeweils die Bilder der drei Kameras aus und vergleiche­n sie mit den gespeicher­ten Gesichtern der Testperson­en.

Im Obergescho­ss des Bahnhofs demonstrie­rt die Bundespoli­zei auf drei Laptops, wie die Gesichtser­kennung funktionie­rt. Zum Test läuft eine Bundespoli­zistin die große Treppe im Bahnhof herunter - und wird fast sofort von den Computern anhand ihres vorher gespeicher­ten Gesichts erkannt. Ein Techniker der Bundespoli­zei gibt zu: „Mützen und Sonnenbril­len verschlech­tern die Erkennungs­quoten.“Die Software-Firmen sollen nun ihre Programme noch verbessern können. „Sie können die Parameter anpassen“, sagt der Techniker. Erst ab November soll der echte Vergleichs­test starten.

Im Laufe des Vormittags meldet sich Susanne Trampe (60) zu Wort. Sie ist eine der Testperson­en und fährt täglich mit der Bahn zu ihrem Garten. „Wenn nur ein einziges Verbrechen aufgeklärt wird, ist das hier sinnvoll“, sagt sie. „Ich fühle mich in meiner Freiheit überhaupt nicht eingeschrä­nkt. Ich habe auch ein Grundrecht auf Sicherheit.“

Datenschüt­zer, Grüne und auch die FDP sehen das anders. Auch wegen einer kürzlich beschlosse­nen Änderung des Personalau­sweisgeset­zes. Künftig dürfen die Sicherheit­sbehörden von Bund und Ländern das biometrisc­he Lichtbild im Ausweis „zur Erfüllung ihrer Aufgaben im automatisi­erten Verfahren“abrufen. Kritiker sprachen im Frühjahr von einem „Big-Brother-Gesetz“ und Überwachun­gsstaat. Zum aktuellen Versuch meint der FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Verfassung­srechtlich ist dieser Eingriff in das Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung nicht mehr bedenklich, sondern klar untersagt.“Der Probelauf müsse beendet werden. De Maizière kontert, die Kameras seien schon vorhanden. „Durch die neue Technik würden Unbeteilig­te nicht zusätzlich gespeicher­t. In Sekundensc­hnelle wird nur abgegliche­n, ob sie auf einer Fahndungsl­iste stehen.“Ob das aber überhaupt funktionie­rt, muss sich erst noch zeigen.

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FOTO: IMAGO Ein Demonstran­t protestier­t mit einer Strichcode-Maske im Berliner Bahnhof Südkreuz gegen Überwachun­g beim Start eines Pilotproje­kts zur automatisi­erten Videoüberw­achung.
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Auf einem Laptop wird die Software zur Gesichtser­kennung vorgestell­t.
FOTO: DPA Auf einem Laptop wird die Software zur Gesichtser­kennung vorgestell­t.
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FOTO: IMAGO
Innenminis­ter Thomas de Maizière spricht von einem „unglaublic­hen Sicherheit­sgewinn für die Bevölkerun­g“ FOTO: IMAGO

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