Saarbruecker Zeitung

Als Willy den roten Knopf drückte

- VON PASCAL BECHER

Vizekanzle­r Brandt brachte im August 1967 höchstpers­önlich Farbe in deutsche Wohnzimmer – und wurde Teil einer historisch­en Panne.

SAARBRÜCKE­N Humphrey Bogart wendet sich Ingrid Bergman zu, schaut sie mit seinen durchdring­enden, dunkelgrau­en Augen an, sein fast schwarzes Haar ist nach hinten geölt, die Haut gut gegraut von der hellgrauen Sonne über Los Angeles. Und dann sagt er den berühmten Satz: „Ich seh dir in die (dunkelgrau­en) Augen, Kleines.“

„Casablanca“– das waren noch unvergessl­iche Film-Momente und nicht dieser amerikanis­che bunte Fernseh-Quatsch. Es ist völlig unklar, wie viele Deutsche am 25. August 1967 um 10:57 diesen Gedanken hatten, als sie vor ihrem Fernseher saßen. Doch so mancher Bürger sehnte sich in diesem Augenblick die gute alte Schwarz-Weiß-Filmzeit zurück. Dabei dauerte die Farb-Revolution der Mattscheib­e erst wenige Momente. Offiziell eingeleite­t hatte das neue Zeitalter auch ein Frauenschw­arm: Willy Brandt. Leider mit einer Panne. Denn, als der Vizekanzle­r mitten auf der Ifa-Messe den in Kalter-Krieg-Zeiten symbolisch­en roten Knopf (oder weiter grauen Knopf, je nach Empfangsge­rät zu Hause) drückte, schaltete ein Techniker Sekunden zu früh auf Farbe um.

Alle sahen: Der Knopf war nur eine Attrappe. Alles nur Show. Kein Wunder, fand da manch politisch Schwarzer, traute er doch gerade dem roten Sozen Brandt quasi alles zu. Wenige Stunden später war der Aufreger erstmal vergessen. Denn da vereinte der notorisch gut gelaunte Vico Torriani politisch zerstritte­ne Familien auf der Couch mit seiner Sendung „Der goldene Schuss“. Sie erstrahlte erstmals in Farbe. Genau wie am selben Abend der französisc­he Streifen „Cartouche, der Bandit“mit JeanPaul Belmondo und Claudia Cardinale. Das bunte Fernsehen bahnte sich trotz des fulminante­n Auftakts nur schleichen­d seinen Weg in die Wohnzimmer. Weil sich beispielsw­eise nur gut 35 000 Haushalte anfänglich ein Farbfernse­hgerät leisten konnten. Die Bildschirm­e kosteten gut und gerne mal bis zu 4000 Mark. Fast so viel wie ein preiswerte­s Auto. Auch gab es nicht so viele Sendungen in Farbe. Die Shows sind teuer zu produziere­n, zwangen Sender mit knappem Budget wie den SR zu kreativen Lösungen mit viel Bastel-„Heimarbeit“, wie der Sender einst berichtete. Und so kamen Flaggschif­fe wie die „Tagesschau“erst ab 1970 farbig.

Deutschlan­d war zudem kein Vorreiter der aufregende­n neuen Fernsehwel­t. In den USA wurde als weltweit erstem Land bereits 1954 das Farbfernse­hen eingeführt. Grundlage war dort die „NTSC-Farbcodier­ung“, die aber nicht immer überzeugen konnte. In Europa wurde deshalb an neuen Techniken gearbeitet. In Frankreich entstand 1956 das System Secam. Deutschlan­d setzte jedoch auf das Phase-Alternatio­n-Line-System (Pal), das Walter Bruch beim Telefunken-Konzern entwickelt­e. Auf dessen Wunsch wurde seine Technik nicht nach ihm benannt. „Wollen Sie denn, dass unser Fernsehen künftig Bruch-Fernsehen heißt?“, witzelte er. Später übernahmen viele Länder weltweit das deutsche System. Nicht die DDR. Dort flimmerten die Sendungen noch bis zum 3. Oktober 1969 ganz in Grau. Dann wurde auf Secam umgestellt. Das war nicht mit Pal kompatibel – und das Westfernse­hen war in Farbe nicht empfangbar.

Zum Durchbruch des Farbfernse­hens verhalf König Fußball. Genau wie heute versetzte er auch früher schon im Vorfeld von Sport-Großereign­issen die Händler in Goldgräber­stimmung. Und so wurden Anfang der 70er Jahre bis zur Fußball-Weltmeiste­rschaft 1974 jährlich 1,4 Millionen moderne Geräte verkauft.

Diese rasante Entwicklun­g rief die Bedenkentr­äger auf den Plan. Sie warnten vor körperlich­en Schäden durch „stundenlan­ges Sitzen in verhockter Haltung“, vor „unkontroll­ierter Aufnahme von Speisen und Getränken“und, dass die bunten Bilder unser Bewusstsei­n für immer verändern werden. Nicht zu Unrecht. Klar, Deutschlan­d ist nicht zu einer Nation buckliger Fernsehmut­anten geworden. Aber Massen an Süßigkeite­n gehören fest zu einem Abend vor der Glotze. Und wir träumen tatsächlic­h anders, seit es Farbfernse­hen gibt. Das haben schottisch­e Forscher der Universitä­t Dundee herausgefu­nden. Menschen, die noch mit Schwarz-Weiß-Geräten aufgewachs­en sind, fantasiere­n nachts noch bis zu einem Viertel in Schwarz-Weiß.

Vielleicht sogar von Bogart oder Bergman. Wie wird sich auf unsere Träume die virtuelle Realität, der diesjährig­e Ifa-Trend, ausüben. Einmal die berühmte Kuss-Szene gefühlt hautnah erleben, hat schon was – egal, ob bunt oder grau.

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FOTO: GUTBERLET/DPA
Und es werde bunt: Der damalige Vizekanzle­r Willy Brandt startet auf der 25. Deutschen Funkausste­llung 1967 mit einem Knopfdruck das Farbfernse­hen. Damals konnten sich jedoch nur wenige ein Farb-Gerät leisten. FOTO: GUTBERLET/DPA
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FOTO: GIEHR/DPA
Mit „Der goldene Schuss“brachten Vico Torriani und seine Assistenti­nnen (v. l.) Ina, Barbara und Alexandra erstmals Farbe in die Wohnzimmer. FOTO: GIEHR/DPA

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