Saarbruecker Zeitung

Nur das Rauschen der Wellen in den Ohren

Im Ostseebad Boltenhage­n zwischen Lübeck und Wismar können Reisende am kilometerl­angen Strand die Seele baumeln lassen.

- VON LOTHAR WARSCHEID

BOLTENHAGE­N/KLÜTZ Uwe Wetzke wirft schon am Nachmittag die Angeln auf der Seebrücke von Boltenhage­n aus, die 290 Meter ins Meer ragt. Am Abend wäre es besser, denn die Touristen, die sich um diese Zeit eine sanfte Ostseebris­e um die Nase wehen lassen, verjagen die scheuen Meerestier­e. Fette Beute verspricht sich Wetzke daher nicht, wenn er auf Dorsch oder Scholle fischt. „Aber ich kann dabei prima entspannen.“

Runterkomm­en, abschalten, die Seele baumeln lassen. Dafür ist das Ostseebad Boltenhage­n zwischen den Hansestädt­en Lübeck und Wismar als Teil der Touristenr­egion Klützer Winkel wie geschaffen. Alles ist auf Entschleun­igung ausgericht­et. Fünf Kilometer lang ist der feinsandig helle Ostseestra­nd, der zum Wandern ohne Schuhe und Strümpfe einlädt.

Satt gluckern die Ostseewell­en an den Strand. Der Horizont ist offen und weit. Landeinwär­ts steigt ein sanfter Deich auf, dahinter parallel zum Strand ein schmaler Promenaden­weg – bestens geeignet für Radtourist­en. Danach taucht der Besucher in einen weitläufig­en Waldgürtel. Zwischen den geduckten Bäumen stehen, beinahe versteckt und in gebührende­m Abstand voneinande­r, stattliche Häuser. Selten überragen deren Giebel die grüne Umgebung.

Endpunkt des Boltenhage­ner Meerespano­ramas ist im Westen eine 35 Meter hohe Steilküste, deren Nase forsch in die Ostsee ragt. Sie belohnt den Besucher mit einem grandiosen Blick über die Bucht bis hin zur Insel Ploel und hinüber zum Marktfleck­en Klütz, der diesem Landstrich seinen Namen gibt. Im Osten ist es die Weiße Wiek mit Yacht- und Fischereih­afen. Vier Fischer fahren mit ihren Kuttern von dort regelmäßig hinaus, um die Boltenhage­ner Restaurant­s mit frischem Dorsch, Steinbutt oder Scholle zu versorgen.

Uwe Dunkelmann ist einer von ihnen. Er nimmt als einziger Gäste mit, wenn er in See sticht und die Netze auswirft. Abends landet der Fang auf dem Teller in seinem Fischereih­of Kamerun. Ansonsten starten vom Marina-Hafen Weiße Wiek Touristens­chiffe wie die MS Seebär hinaus zu einer SeehundSan­dbank und zur Insel Poel.

Wie es sich für das zweitältes­te deutsche Ostseebad nach Heiligenda­mm gehört, hat Boltenhage­n selbstrede­nd einen Kurpark – inklusive Wandelgäng­en, Konzertpav­illon und Trinkkur-Halle. Begründet wurde die Boltenhage­ner Badetradit­ion vom Reichsgraf­en-Geschlecht derer von Bothmer, die im Jahr 1803 einen Badewagen an den Strand schieben ließen, diesem züchtig gekleidet entstiegen und in der Ostsee plätschert­en.

Der Begründer dieser Adelssippe, Reichsgraf Hans Caspar von Bothmer (1656 bis 1732), gab sich allerdings nicht mit Geplätsche­r und Klein-Klein ab. Unweit von Boltenhage­n ließ er im Klützer Winkel Anfang des 18. Jahrhunder­ts in nur sechs Jahren Schloss Bothmer erbauen, das heute wieder als Juwel barocker Backsteina­rchitektur an der Ostsee gilt. Das SchlossEns­emble umfasst 14 Gebäude und Anbauten. Ein Wassergrab­en und ein System aus Lindenalle­en umschließe­n noch immer die sieben Hektar große Schlossins­el. Der Park, der weite Teile dieser Fläche ausfüllt, wird bis heute so bepflanzt und gepflegt, dass er wie selbstvers­tändlich als grüne Fortsetzun­g des Barockschl­osses wahrgenomm­en wird. Dennoch hat die Fassade des Haupthause­s etwas von einem englischen Landsitz.

Kein Wunder, denn der Schlossher­r und Erbauer war Diplomat und stand als solcher mehr als 20 Jahre in Diensten des hannoversc­hen Kurfürsten Georg Ludwig – und zwar in London. Dort waren seine Strippenzi­eher-Qualitäten gefragt, denn sein Dienstherr war nicht nur Kurfürst von Braunschwe­ig-Lüneburg, sondern ab 1714 zusätzlich König Georg I von Großbritan­nien. Dieser entlohnte von Bothmer fürstlich, sodass sich der Reichsgraf den Bau des Schlosses

Boltenhage­n ist das zweitältes­te Ostseebad in Mecklenbur­g. Es wurde 1803 zum Baden entdeckt.

für seine Familie leisten konnte. Er selbst hatte wenig davon, bekam das fertige Ensemble nie zu Gesicht. Vor zehn Jahren war Schloss Bothmer noch in einem beklagensw­erten Zustand. In einem Kraftakt wurde die 37 Millionen Euro teure Sanierung gestemmt, sodass die Anlage seit 2015 wieder in altem Glanz erstrahlt. Heute können Touristen dort Musikkonze­rten lauschen oder während einer Führung noch einmal in die Welt des 18. Jahrhunder­ts eintauchen.

Sehenswert ist auch das Städtchen Klütz. Als Verwaltung­seinheit umfasst der Klützer Winkel sieben Gemeinden. Doch die Einheimisc­hen sehen das nicht so eng. „Zum Klützer Winkel zählt alles, was man von der Spitze des Kirchturms von St. Marien aus sehen kann“, sagt Anja-Franziska Scharsich. Die Marienkirc­he stammt aus dem 13. Jahrhunder­t und steht auf der einzigen Erhebung der Stadt, der als Hügel gerade so durchgeht. Immerhin ist der Turm des gedrungene­n Gotteshaus­es 56 Meter hoch. Scharsich ist eigentlich promoviert­e Literaturw­issenschaf­tlerin und verwaltet als solche im „Literaturh­aus Uwe Johnson“den Nachlass des Schriftste­llers, der 1984 starb und keine 50 Jahre alt geworden ist.

Inzwischen zählt Johnson, der nach dem Krieg in beiden Teilen Deutschlan­ds lebte und in England starb, zu den bedeutends­ten deutschen Autoren der jüngeren Zeit. Zwei Etagen des Hauses, das einmal ein Getreidesp­eicher war, sind dem Verfasser der „Jahrestage“gewidmet. Entspreche­nd wird das Haus regelmäßig für Lesungen genutzt oder ist Anlaufstel­le des Klützer Literatur-Sommers. Besucher, die solche offizielle­n Sachen nicht so sehr mögen, können sich in die Bibliothek des Hauses zurückzieh­en und nach Herzenslus­t drei Dinge tun: Lesen, Lesen, Lesen.

Wer sich unter lebenden Künstlern wohler fühlt, ist im Kunst- und Kulturhaus „Alte Molkerei Klütz“bestens aufgehoben. 20 Frauen und Männer entwerfen und fertigen hier Ledertasch­en, Mäntel, Bilder, Skulpturen und vieles mehr. Martina Peters verarbeite­t zum Beispiel die Wolle ihrer eigenen Schafe zu Socken, Hausschuhe­n oder knuddelwei­chen Lämmern. „Man nennt mich hier nur die Spinnerin“, erzählt sie lächelnd.

Für geistige Getränke ist Johannes Volk zuständig. In seiner Destilleri­e brennt er Hochprozen­tiges vom feinsten, hat aber auch Säfte und Marmelade verschiede­ner Geschmacks­richtungen im Angebot. Mit dem nötigen Obst versorgt ihn der Küchengart­en von Schloss Bothmer, den er gepachtet hat. Der Klützer Winkel hat also weit mehr zu bieten als Baden und Bummeln. Auch Schöngeist­er und Gourmets kommen hier auf ihre Kosten.

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FOTO: ECKARD RAFF/OSTSEEBAD BOLTENHAGE­N Am malerische­n Fischereih­afen in Boltenhage­n werden morgendlic­he Ausflüge mit einem Fischkutte­r angeboten.

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