Saarbruecker Zeitung

Auf der Insel wächst der Protest für ein Ende des Brexit

Der Ausstieg der Briten aus der EU hat es schwer. Die Verhandlun­gen, die heute weitergehe­n, laufen äußerst zäh. Und daheim wächst der Widerstand.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Als Peter French sich kürzlich mit seinem Arzt unterhielt, fragte ihn dieser, was er denn beruflich mache. „Ich kämpfe gegen den Brexit“, antwortete der Brite und erntete ein spöttische­s Lächeln. Ob das ein Job sei? „Aber ja“, sagte French. „Ich versuche, den Brexit zu stoppen.“Allein die Worte können kaum das schiere Ausmaß der Aufgabe verdeutlic­hen. Heute gehen die Verhandlun­gen um die Scheidung Großbritan­niens von der EU in die dritte Runde. Im März hatte London Artikel 50 ausgelöst und damit den Austrittsp­rozess eingeleite­t. Damals schon hatte der 57-jährige Schotte French, seit mehr als 30 Jahren in London, den Protest vor dem Westminste­r-Palast angeführt, an dem nach eigenen Angaben mehr als 100 000 Menschen teilnahmen. Und er ist immer noch aktiv.

Nun organisier­t French eine Massendemo­nstration am 1. Oktober in Manchester am Rande des Parteitags der Konservati­ven. Zu seinem „#Stop Brexit“-Marsch, unterstütz­t von einer Crowdfundi­ng-Kampagne, werden Zehntausen­de erwartet. Sie wollen abermals öffentlich fordern, die Idee des Ausstiegs zu beerdigen. Mit dabei ein Mottowagen des deutschen Karnevalsw­agenkünstl­ers Jacques Tilly, der be- reits beim Rosenmonta­gsumzug in Düsseldorf mit einer Skulptur von Premiermin­isterin Theresa May mit Brexit-Pistole für Furore gesorgt hatte. French kann es kaum erwarten.

Für ihn, vor dem Referendum im vergangene­n Jahr nicht politisch aktiv, füllt der Widerstand gegen den EU-Ausstieg mittlerwei­le 18 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Seine Arbeit als Sänger und Künstler liegt auf Eis. „Ich habe realisiert, dass wir alle eine Verantwort­ung haben, diese Welt mitzugesta­lten“, sagt French. „Das Leben der jungen Menschen wird zerstört und wir wurden zu einem Land, in dem manche Menschen meinen, sie könnten ausländerf­eindlich, homophob oder rassistisc­h auftreten.“Das sei schlichtwe­g nicht akzeptabel und „keine Gesellscha­ft, in der ich leben will“.

Kippt im Königreich die Stimmung zugunsten eines Verbleibs in der EU? Die Umfragen seit dem Referendum am 23. Juni 2016 deuten noch immer auf eine gespaltene Nation hin. In einer Untersuchu­ng des Instituts Opinium von Anfang August gaben 47 Prozent der Befragten an, sie würden bei einem erneuten Referendum für den Verbleib stimmen, 44 Prozent favorisier­ten den Abschied. In den meisten Studien der vergangene­n Monate aber lagen die Brexiteers weiterhin vorn. Es bleibt knapp, ein wirklicher Meinungsum­schwung herrscht nicht auf der Insel – noch nicht, wie pro-europäisch­e Aktivisten hoffen. „Wir müssen mehr informiere­n, die Leute in Debatten außerhalb der sozialen Medien aufklären und zeigen, welche Auswirkung­en das Votum jetzt schon hat und ha- ben wird“, sagt French. Immerhin, bei der Studie gab ein Viertel der befragten Briten, die für den Brexit gestimmt haben, an, sie fühlten sich getäuscht – von den Verspreche­n, die vor der Abstimmung gemacht wurden und von denen die meisten bereits kassiert sind. Auf Twitter melden sich etliche Briten zu Wort, die ihr Votum bereuen – sowohl jenes für den Brexit, aber auch das für den Verbleib. Doch dass die Bevölkerun­g ihre Meinung geändert hat, kann Thomas Cole von der bekanntest­en pro-europäisch­en Organisati­on Open Britain ebenfalls nicht erkennen. Die Ressentime­nts gegen die EU sitzen tief. „Aber die Menschen beginnen, Fragen zu stellen.“Es setze mittlerwei­le die Erkenntnis ein, dass Kompromiss­e eingegange­n werden müssen. Die parteiüber­greifende Gruppe, in der auch einige Remain-Politiker engagiert sind, will das Ergebnis des Referendum­s respektier­en und setzt sich für den Weg eines weichen Brexit ein. Deren Fürspreche­r fordern deshalb, dass Großbritan­nien im Binnenmark­t und in der Zollunion bleibt sowie den EU-Bürgern ein Bleiberech­t garantiert. „Das Norwegen-Modell wäre die beste Lösung“, sagt Thomas Cole.

Der Brexit-Widerstand ist genauso vielfältig wie die Meinungen auf der Insel, findet Peter French. Und das sei gut. Im März nannte sich seine Kampagne noch „Unite for Europe“. Doch die Botschaft sei doch eigentlich eine andere, sagt French: „Stop Brexit. Ende der Geschichte.“

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FOTO: FLORES/DPA Bunter Widerstand: Eine Gruppe Brexit-Gegner machte Mitte August eine Protest-Bootstour auf der Themse. Ihr Ziel: Der Verbleib in der EU.

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