Saarbruecker Zeitung

Mörderisch­es Spiel mit Patienten

Ermittler legen Ex-Krankenpfl­eger Niels H. eine ganze Tötungsser­ie zu Last. Die Verantwort­lichen schauten lange weg.

- VON IRENA GÜTTEL

OLDENBURG (dpa) Jahrelang arbeitete der Serienmörd­er Niels H. Seite an Seite mit Ärzten und Pflegern. Wegen zweier Morde ist er bereits verurteilt, nun liegt eine neue Bilanz seiner Taten vor: 84 weitere Patienten soll der Krankenhau­spfleger an zwei niedersäch­sischen Kliniken zu Tode gespritzt haben. Ein Muster bei der Auswahl der Opfer hatte er nicht: Mal waren es Männer, mal Frauen, mal junge Menschen, mal alte. Wahllos schien er zuzuschlag­en, wenn sich die Gelegenhei­t bot – und das war oft. Seine Opfer waren ihm auf der Intensivst­ation hilflos ausgeliefe­rt. Und obwohl Kollegen Verdacht schöpften, stoppte ihn lange Zeit niemand. So konnte Niels H. die wohl größte Mordserie in der deutschen Nachkriegs­geschichte begehen.

Niels H. sitzt bereits wegen sechs Taten lebenslang in Haft. 2015 wurde er wegen zweifachen Mordes, zweifachen Mordversuc­hs und gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt. Doch das ganze Ausmaß seiner Verbrechen an den Kliniken in Delmenhors­t und Oldenburg kommt erst nach und nach ans Licht. Seit drei Jahren versucht eine Sonderkomm­ission (Soko) der Polizei, die Taten aufzukläre­n. Hunderte Patientena­kten wurden ausgewerte­t, mehr als 130 Leichen ausgegrabe­n und auf Rückstände todbringen­der Medikament­e untersucht. Was die Ermittler dabei herausfand­en, bringt selbst die erfahrenen Profis an den Rand der Sprachlosi­gkeit.

„Das ist eine Situation, die einfach unfassbar ist“, sagt Oldenburgs Polizeiprä­sident Johann Kühme, als er die Ergebnisse vorstellt. „Es ist uns allen sehr, sehr schwer gefallen, die Gefühle zurückzust­ellen.“

Die Ermittler gehen davon aus, dass Niels H. erstmals im Februar 2000 einen Patienten am Klinikum Oldenburg ermordete. Jahrelang trieb er danach mit seinen Opfern ein tödliches Spiel: Er spritzte ihnen eine Medikament­en-Überdosis, die Herzversag­en oder einen Kreislaufk­ollaps auslöste. Dann belebte er die Patienten wieder – weil es ihm einen Kick gab und weil er vor seinen Kollegen als Held dastehen wollte, wie er später vor Gericht aussagt. Viele Patienten kamen dabei um.

Manche Patienten vergiftete er auch mehrmals. Einmal hätten während einer Nachtschic­ht von Niels H. am Klinikum Oldenburg fünf Patienten 14 Mal reanimiert werden müssen, sagt Soko-Leiter Arne

„Es ist uns allen sehr, sehr schwer gefallen, die Gefühle zurückzust­ellen.“Johann Kühme Polizeiprä­sident

Schmidt. Die Vorgesetzt­en ahnten damals nicht nur, dass etwas nicht stimmte. Es gab nach Angaben der Ermittler auch konkrete Beweise: Laut einer Klinik-Statistik stiegen im Jahr 2001 die Sterbefäll­e auf der Intensivst­ation um 58 Prozent, als der Pfleger im Dienst war.

Wieso das Oldenburge­r Klinikum nicht die Polizei informiert hat, können die Ermittler nicht nachvollzi­ehen. Stattdesse­n wechselte Niels H. 2003 mit einem guten Arbeitszeu­gnis nach Delmenhors­t. „Nur sieben Tage nach Dienstantr­itt hat er dort seinen ersten Mord begangen.“Und auch dort schauten die Verantwort­lichen weg. Erst als ihn im Juni 2005 eine Krankensch­wester auf frischer Tat ertappte, nahm das Morden ein Ende.

In ein paar Monaten will die Staatsanwa­ltschaft erneut Anklage gegen Niels H. erheben. Bis dahin könnte sich die Zahl der Taten, die ihm zugeschrie­ben werden, noch erhöhen.

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FOTO: WAGNER/DPA 84 weitere Patienten soll er zu Tode gespritzt haben: Der ehemalige Krankenpfl­eger Niels H. versteckt sein Gesicht hinter einem Aktendecke­l, während er auf der Anklageban­k des Landgerich­ts in Oldenburg sitzt.

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