Saarbruecker Zeitung

Warum Angela Merkel trotz allem die Nummer eins ist

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Die Kanzlerin schnipst mit den Fingern, und schon ist der Saal der Bundespres­sekonferen­z voll. Wie gut die Kanzlerin doch wieder drauf war, wie locker sie ist. Vorbei der bleierne Streit mit der CSU, vergessen, wie lustlos sie ihre vierte Kandidatur im letzten Winter verkündete. Der Nimbus Angela Merkels wächst und wächst. Von wegen Zenit überschrit­ten, wie man dachte. Hinter dem Horizont geht es weiter. Scheinbar endlos.

Dabei hat die Kanzlerin und CDU-Vorsitzend­e schon viel Mist gebaut in ihren zwölf Jahren. Politische Sprunghaft­igkeit? Kann sie auch, siehe das Hin und Her bei der Atomkraft. Themenhopp­ing? Man schaue sich nur an, mit welcher Inkonseque­nz sie den Bildungsbe­reich beackert oder den Klimaschut­z. Kommunikat­ionsmängel? Darüber klagt seit der Grenzöffnu­ng für die Flüchtling­e nicht nur Horst Seehofer, darüber klagt halb Europa. Vision? Wenig. Risikobere­itschaft erst recht nicht. Diese Politikeri­n ist keineswegs eine Überfrau, nicht fehlerfrei und auch nicht alternativ­los. Was ist Merkels Geheimnis?

Sie hat zweifellos ihre persönlich­en Qualitäten. Eigenschaf­ten, an denen andere Politiker scheitern – Eitelkeit, Geltungssu­cht, zwanghafte Profilieru­ng – gehen ihr ziemlich ab. Keine Skandale, kaum verunglück­te Sprüche. Zudem ist sie, obwohl Parteivors­itzende, parteipoli­tisch recht ideologief­rei. Keine Feindbilde­r, keine Wagenburgm­entalität. Merkel ist eine Liberal-Bürgerlich­e. Von so einer fühlt sich eine Mehrheit der Deutschen gut repräsenti­ert. Sogar viele Sozialdemo­kraten, Grüne und Linke.

Aber diese persönlich­en Eigenschaf­ten sind nicht der Kern ihres Erfolges. Auch andere sind starke Persönlich­keiten, man denke nur an Frank-Walter Steinmeier, der jetzt Bundespräs­ident ist. Das Problem aller Herausford­erer, auch von Martin Schulz, und Merkels eigentlich­es Geheimnis ist, dass das Volk keine Experiment­e will, so lange alles halbwegs gut läuft. Und genau dieses Gefühl bedient Merkel perfekt. Mit ihrem Wahlkampf. Mit der Vermeidung kontrovers­er Themen. Mit ihrer Geduld in Konflikten. Mit ihrer Sachlichke­it. Sie wirkt lösungsori­entiert, gut informiert und konzentrie­rt. Auch gestern wieder, in ihrer Sommerpres­sekonferen­z.

Aus diesem Wunsch der Wähler nach Sicherheit und Kontinuitä­t lässt sich die derzeitige politische Stimmung viel besser erklären als aus krampfhaft­en Versuchen, Merkel zu überhöhen oder Herausford­erer herunterzu­schreiben. Aber diese politische Großwetter­lage hält nicht ewig. Wenn Merkel abtritt oder dies auch nur ankündigt, ändert sie sich schlagarti­g. Schon Mitte der nächsten Legislatur­periode könnte es soweit sein. Keiner von Merkels möglichen Nachfolger­n, ob von der Leyen, Kramp-Karrenbaue­r oder Spahn, genießt ähnliches Vertrauen. Und der Übergang in der Union wird nicht reibungslo­s verlaufen. Dann werden die politische­n Verhältnis­se in Deutschlan­d wieder ins „Tanzen“geraten. Bis dahin aber beherrscht Angela Merkel das Parkett. So wie gestern wieder: Allein und ziemlich souverän.

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