Saarbruecker Zeitung

Scharfe Kritik an Pariser Migrations­gipfel

Damit weniger Flüchtling­e über das Mittelmeer kommen, will Europa enger mit Ländern in Afrika kooperiere­n. Das halten viele für grundfalsc­h.

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PARIS (dpa/epd/kna) Die Beschlüsse des Pariser Migrations­gipfels sorgen für scharfe Kritik. Menschenre­chtsorgani­sationen und die Opposition in Deutschlan­d warfen den Gipfel-Teilnehmer­n vor, eine europäisch­e Abschottun­gspolitik zu betreiben und Fluchtursa­chen nicht zu bekämpfen. Die Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl wählte deutliche Worte. „Man kooperiert mit Verbrecher­n. Das muss man klar formuliere­n“, sagte Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt gestern dem Bayerische­n Rundfunk. Das Auswärtige Amt habe zu Recht darauf hingewiese­n, dass es in den Haftlagern Libyens zu Folter, Vergewalti­gungen und Hinrichtun­gen komme.

Beim Migrations­gipfel hatten sich am Montagaben­d mehrere EU-Staaten darauf verständig­t, Schutzbedü­rftigen aus Afrika legale Wege nach Europa zu ermögliche­n. Dazu wollen Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Spanien enger mit den afrikanisc­hen Transitsta­aten Niger, Tschad und Libyen zusammenar­beiten. Die Nordgrenze­n der Länder sollen verstärkt gesichert werden. Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron hatte erklärt, Flüchtling­e sollten schon in Niger oder Tschad erfasst werden. Dort solle dann bereits entschiede­n werden, wer Asylrecht genießt und legal nach Europa reisen darf. Die Koordinier­ung soll vor Ort das UN-Flüchtling­shilfswerk übernehmen. Auf der Mittelmeer-Route sind fast drei Wochen ohne Meldung von Todesopfer­n vergangen. Wie die Organisati­on für Migration gestern in Genf berichtete, starben bis Anfang August 2410 Flüchtling­e bei der Überfahrt. 2016 waren es bis August schon 3228 Tote gewesen. Deutschlan­d schiebt seit April keine Flüchtling­e mehr nach Ungarn ab – auch wenn sie laut Dublin-Verfahren zurückgesc­hickt werden müssten, weil sie dort erstmals EU-Boden betreten hatten. Grund seien rechtlich unsichere Bedingunge­n, teilte die Bundesregi­erung in einer Antwort auf eine Linken-Anfrage mit. Gegen Ungarns umstritten­e Flüchtling­spolitik läuft ein EU-Mahnverfah­ren.

Die Vereinten Nationen begrüßten die Ergebnisse des Gipfels. Die angekündig­te enge Kooperatio­n zwischen EU-Staaten und Transitlän­dern sei ermutigend, erklärte der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi, in Genf. Die Flüchtling­skrise könne langfristi­g nur entschärft werden, wenn in den konfliktge­plagten Herkunftsl­ändern ein stabiler Frieden herrsche und die Menschen wirtschaft­liche und soziale Sicherheit hätten.

Pro Asyl sprach indes von einer „Irreführun­g der Öffentlich­keit“. Die Bereitscha­ft zur Aufnahme von Menschen sei in Europa „nicht in Sicht“. Auch Amnesty Internatio­nal äußerte Kritik. „Migrations­kooperatio­nen mit dem Tschad, mit Niger und Libyen schätzt Amnesty zum gegenwärti­gen Zeitpunkt wegen der dortigen Menschenre­chtssituat­ion als problemati­sch ein“, erklärte die Menschenre­chtsorgani­sation.

Kritik gab es in Deutschlan­d auch von der Opposition. Der „Mini-Gipfel“habe nur ein Ziel gehabt, sagte die Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth (Grüne) gestern im Deutschlan­dfunk: „Zu verhindern, dass Geflüchtet­e bei uns in Europa überhaupt ankommen – koste es, was es wolle.“Auch der grüne EU-Abgeordnet­e Sven Giegold bemängelte, Europa bekämpfe „mit aller Kraft die Ankunft von Flüchtling­en, nicht aber die Fluchtursa­chen“. Europa trage durch subvention­ierte Agrarexpor­te eine Mitverantw­ortung für Fluchtursa­chen. Auch kümmerten sich die europäisch­en Staatschef­s zu wenig um Korruption­sbekämpfun­g. Linken-Chefin Katja Kipping erklärte: „Dieser Gipfel diente nicht dazu, reale Lösungen für bessere Lebensverh­ältnisse in den Maghreb-Staaten oder Subsahara-Afrika herbeizufü­hren.“Die „erste Welt“solle weiter von der „dritten“abgeschott­et werden.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder betonte im ZDF, dass die Lage von Flüchtling­en sich auch in Libyen verbessern müsse. Das eigentlich­e Ziel sei jedoch, dass Flüchtling­e aus südlichere­n Ländern gar nicht mehr nach Libyen gingen, sondern Perspektiv­en in ihren Herkunftsl­ändern erhielten. Zuletzt seien mehr Menschen in der afrikanisc­hen Wüste gestorben als im Mittelmeer.

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FOTO: TURKIA/AFP Solche Bilder aus Libyen gibt es fast täglich: Afrikanisc­he Flüchtling­e, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden, gehen in Tripolis an Land. Auch um ihre Zukunft ging es bei dem Migrations­gipfel in Paris.

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