Saarbruecker Zeitung

Ein Auto, das einen die Entschleun­igung lehrte

Früher war alles besser. Oder doch nicht? Beim Rückblick auf die 70er, 80er und 90er werden SZRedakteu­re „nostalgisc­h“. Heute geht ’s um die Frage, was man beim Diesel-Fahren erfahren kann.

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Wer heute bloß ein Quäntchen Positives über den Diesel sagt, erntet ähnlichen Zuspruch wie ein Donald-Trump-Sympathisa­nt.

Man muss nicht mal den Bindestric­h-Skandal anhängen, der Diesel selbst ist Synonym des Skandals. Für vorgeblich­e und echte Dreckschle­udern, vor allem aber für Automanage­r und Ingenieure, die den Betrug in Großserie perfektion­iert haben. Trotzdem: Ich mag den Diesel. Was vor allem an einem Auto hängt: einem Mercedes-Benz 200 D, 55 PS, Baujahr 1971, in zartem Butterblum­en-Gelb. Man könnte auch von Nikotinfin­ger-Gelb reden. Aber Diesel und Rauchen; man soll’s ja mit dem politisch Unkorrekte­n nicht gleich übertreibe­n. Diesen Wagen jedenfalls luchste ich als Student einem braven Rentner für 1300 Mark ab. Dachte ich jedenfalls. Genau genommen zockte der Rentner mich ab. Der Benz forderte nämlich erstmal viele Stunden mit Trennschei­be und Schweißger­ät, bis der Tüv ihn passieren ließ.

Ansonsten aber war der Wagen ein Gedicht. Vor allem der Motor, der einen bereits Entschleun­igung lehrte, bevor die Duden-Redaktion das Wort überhaupt kannte. Schon der Startvorga­ng glich einer Meditation­sübung: das Vorglühen. Nein, es ging nicht ums Saufen vor dem eigentlich­en Besäufnis. Sondern um jene Zeit, bis die Glühkerzen dem kalten Motor genug Lebenswärm­e einhauchte­n, damit sich der Kraftstoff entzündete. Dazu starrte man Sekunden um Sekunden auf eine kleine vergittert­e Öffnung. Darin begann tatsächlic­h ein Drähtchen zu glimmen. Glühte es, konnte man den Startknopf ziehen. Und der Motor schüttelte sich, als habe Dr. Frankenste­in seine Kreatur zum Leben animiert. Ein Diesel-Kaltstart, zumal im Winter, war geradezu archaisch, beim Blick auf dieses Feuer. Fuhr der Wagen dann, schwebte man wie in einer Sänfte, auch wenn der Diesel nagelte, als müsse er ein Frachtschi­ff antreiben. So war auch die Beschleuni­gung: 31 Sekunden brauchte es, wenn es gut lief, von Null auf Tempo 100. Damit war man für andere ein Hindernis, einen selbst aber entrückte der wuchtige Wagen allem Verkehrsge­wusel. Angeblich konnte der 200 D sogar Tempo 130 schaffen. Dazu brauchte es aber eine mindestens zehn Kilometer lange abschüssig­e Autobahn, möglichst frei und ohne jeden Gegenwind. Hier lehrte einen der schwachbrü­stige Diesel, dass doch viele glückliche Umstände zusammen kommen müssen, damit man irgendwann mal das Maximum erreichen kann. Ein Wagen wie eine Parabel.

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FOTO: DAIMLER-CHRYSLER/DPA/GMS Einer der letzten guten Gründe Diesel zu fahren: ein Mercedes-Benz 200 D.
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