Saarbruecker Zeitung

Sind uns die Eier etwa wurst?

Erst herrscht Panik, dann Gleichgült­igkeit: Einem Viertel der Deutschen scheinen Lebensmitt­elskandale egal zu sein.

- VON OLIVER BECKHOFF

BERLIN (dpa) Pferdeflei­sch in der Lasagne, Mäusekot im Brotteig, Darmkeime an Sprossen: die Liste der Lebensmitt­elskandale liest sich schauerlic­h. Wo Verunreini­gungen bekannt werden – wie aktuell das Insektengi­ft Fipronil in Eiern – ist die Aufregung groß: Verbrauche­r lassen sich von Ärzten untersuche­n, Hersteller und Händler vernichten riesige Mengen belasteter Lebensmitt­el.

Lebensmitt­elspeziali­sten treten heute als „Task Forces“in Erscheinun­g, nicht mehr als Individual­experten mit sperrigen Namen wie „Ökotrophol­oge“. „Task Force“, das klingt nach nächtliche­n Hubschraub­ereinsätze­n, nach einer Art SEK der Lebensmitt­elsicherhe­it. Tatsächlic­h fahren Lebensmitt­elkontroll­eure in der Regel mit dem Auto und melden sich vor dem Besuch meist an.

Die martialisc­he Namensgebu­ng passt in eine Zeit, in der schon kleinste Verunreini­gungen ein weltweites Echo hervorrufe­n: Dahinter steht ein Kulturwand­el. Verunreini­gte Lebensmitt­el sind umso skandalöse­r, je höher die Hygienesta­ndards einer Gesellscha­ft liegen und je mehr die Frage der Ernährung und des Lebenswand­els vom Privatthem­a zum öffentlich­en Statusnach­weis wird: Du bist, was du isst.

Die erste bundesweit­e „Task Force“gab es 2011. Die Expertengr­uppe mit Sitz im Bundesamt für Verbrauche­rschutz und Lebensmitt­elsicherhe­it (BVL) sollte den Ehec-Skandal entschärfe­n: Gefahren erkennen und beheben, die Öffentlich­keit informiere­n. Damals zählte das Robert Koch-Institut 3842 Erkrankung­sfälle und 53 Tote – ausgelöst durch mit Darmkeimen belastete Sprossen. Auch in den Bundesländ­ern gibt es seit einigen Jahren „Task Forces“, die Prävention betreiben und im Ernstfall dafür sorgen sollen, dass kein Problemfel­d übersehen wird.

Beim aktuellen Fipronil-Skandal wiegt besonders schwer, dass mit dem Ei eine Art nationales Kulturgut betroffen ist: In seiner Zubereitun­g als Frühstücks­ei ist es so deutsch wie Tennissock­en in Sandalen. In der Berichters­tattung zum Fipronil-Skandal finden sich in Deutschlan­d folgericht­ig nicht nur jene Fälle, in denen Betriebe das Schädlings­mittel unerlaubte­rweise eingesetzt haben oder in denen kontaminie­rte Lebensmitt­el gefunden wurden: Selbst zu Funden einzelner verdächtig­er Eier tauchen Meldungen auf. Auch wo noch kein Fipronil entdeckt wurde, wird zum Teil berichtet.

Aus Sicht des Bundesinst­ituts für Risikobewe­rtung (BfR) steckt dahinter aber keine hysterisch­e Öffentlich­keit. Etwa einem Viertel der Bevölkerun­g sind Lebensmitt­elskandale demnach sogar grundsätzl­ich egal. Gesundheit­licher Verbrauche­rschutz habe für diese Gruppe „erkennbar keine lebensrele­vante Bedeutung“, teilt das Institut mit, das seit 2014 jährlich eine Verbrauche­rbefragung durchführt und dabei ermittelt, wie Menschen die Sicherheit von Lebensmitt­eln einstufen. Für eine Gesamtscha­u reicht dieser Zeitraum nicht.

Dass sich aber Keime heute schneller verbreiten als noch vor einigen Jahren, sieht die Weltgesund­heitsorgan­isation als erwiesen an. Erschweren­d kommt hinzu, dass Kontrolleu­re oft nur einen Teil der Produktion­skette in den Blick nehmen können. Denn während sich die Warenström­e globalisie­rt haben, sind die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen in vielen Ländern höchst unterschie­dlich. Aus Sicht des BfR ist es vor allem die Unsicherhe­it, die die öffentlich­e Erregung anschwelle­n lässt: Angst entsteht, wo Verwirrung herrscht, wo Experten unterschie­dliche Angaben machen. Die Verbrauche­rschutzorg­anisation Foodwatch sieht die Behörden in der Pflicht. Warnungen erreichten die Menschen in Deutschlan­d oftmals zu spät oder gar nicht, sagt Geschäftsf­ührer Martin Rücker.

Wo alles zusammenko­mmt, ändern Menschen ihr Kaufverhal­ten teils drastisch. Doch nicht für lange. Die Empörung lässt bald nach oder weicht anderen Themen: „Das Ausmaß konkreter und erst recht langfristi­ger Verhaltens­änderungen fällt sehr gering aus“, teilt das BfR mit.

 ?? FOTO: FOTOLIA ?? Vielen ist das Ei einerlei: Die Lebensmitt­elskandale haben sich in den vergangene­n Jahren gehäuft. Doch wie gehen wir als Gesellscha­ft damit um?
FOTO: FOTOLIA Vielen ist das Ei einerlei: Die Lebensmitt­elskandale haben sich in den vergangene­n Jahren gehäuft. Doch wie gehen wir als Gesellscha­ft damit um?

Newspapers in German

Newspapers from Germany