„Wir kämpfen um Platz Drei“
Trotz schlechter Umfragewerte ist der Grünen-Spitzenkandidat optimistisch: Seine Partei will nach der Bundestagswahl in jedem Fall mitregieren.
BERLIN Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir sieht seine Partei nach der Bundestagswahl in einer neuen Regierung. Aus seiner Präferenz für Schwarz-Grün macht er keinen Hehl.
Herr Özdemir, stellen Sie sich auf vier weitere Jahre Opposition im Bundestag ein?
ÖZDEMIR Nein. Das wäre auch nicht gut für Deutschland. Die Alternativen zu einer grünen Regierungsbeteiligung wären weitere vier Jahre Stillstand mit einer großen Koalition oder die Kombination rückwärtsgewandter Politik von Union und FDP. Nur ein Beispiel: FDP-Chef Lindner fordert jetzt die Absenkung der Grenzwerte bei Diesel-Schadstoffen, statt die Ursachen zu bekämpfen. Da hat man doch das Gefühl, dass die Liberalen die Fake-News der AfD kopieren.
Nach aktuellen Umfragen haben die Grünen eher geringe Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Macht Sie das nervös?
ÖZDEMIR
Wir kämpfen bis zum Wahlabend am 24. September. Und wir haben gute Argumente. Schauen Sie nach Texas, wo die Klimakrise aktuell auf schreckliche Weise zu spüren ist. Es braucht starke Grüne, damit Deutschland mit gutem Klima-Beispiel in der Welt vorangeht.
Wer Grün wählt, der weiß nicht, ob er am Ende Merkel oder Schulz als Kanzler bekommt. Wer ist Ihnen denn lieber?
ÖZDEMIR Wer auf Platz Eins kommt, entscheiden nicht die Grünen. Wir kämpfen um Platz Drei. Daran entscheidet sich eine künftige Koalition. Deshalb wird das eine Richtungsentscheidung. Frau Merkel ist gut in Überschriften. Zum Beispiel gibt sie den Grünen Recht, was das Ende des Verbrennungsmotors angeht. Aber mit ihren bisherigen Partnern SPD und FDP wird Merkel das nicht umsetzen können. Für die Umsetzung braucht es starke Grüne.
Präferenz für Schwarz-Grün?
ÖZDEMIR Die Grünen würden dafür sorgen, dass es zum wirksamen Klimaschutz kommt. Merkel unterschreibt zwar das Pariser Klimaabkommen, beschließt dann aber mit der SPD Milliardensubventionen für alte Kohlekraftwerke. Wir haben immer klar gesagt, dass wir nach der Wahl mit allen reden – aber wir reden nicht über alles. Nur mit der AfD nicht, weil die mit uns nicht das Menschenbild des Grundgesetzes teilen.
Haben die Grünen die Zuspitzung verlernt? Ihr Wahlkampf wirkt ziemlich brav.
ÖZDEMIR Finden Sie, dass es brav ist, als einzige Partei den Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung und den Kohleaussteig zu fordern? Oder wenn wir sagen, es braucht beim Diesel nicht nur ein paar Mausklicks, sondern eine überprüfbare Nachrüstung auf Kosten der Hersteller und auch Sammelklagen, um gegen Konzernchefs juristisch vorzugehen, die die Schweinerei zu verantworten haben?
Brav geht anders.
Die Grünen sagen, 2030 müsse Schluss sein mit der Zulassung von neuen Benzinoder Diesel-Autos. Ist das eine Grundbedingung für eine Regierungsbeteiligung?
ÖZDEMIR In einer Regierung mit grüner Beteiligung muss der Einstieg in den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor fixiert werden. Sonst unterschreibe ich
keinen Koalitionsvertrag.
Sind Sie für Diesel-Fahrverbote?
ÖZDEMIR Das haben nicht die Grünen zu entscheiden. Das entscheiden die Gerichte, weil Bundesverkehrsminister Dobrindt seit Jahren untätig ist. Aber wir wollen Fahrverbote verhindern, zum Beispiel mit einer wirksamen Nachrüstung bei der Hardware.
Union und SPD wollen ebenfalls Diesel-Verbote in Deutschland vermeiden. Früher wäre Ihre Partei da mutiger gewesen.
ÖZDEMIR Das sagen Union und SPD, aber sie tun alles dafür, dass sie kommen, weil sie viel zu nachsichtig mit der Autoindustrie umgehen. Dabei ist es auch eine sozialpolitische Sauerei, wenn der Diesel-Fahrer der Depp ist. Warum soll er dafür büßen, dass Dobrindt von der CSU sich in den letzten Jahren nur um seine irrsinnige Pkw-Maut gekümmert hat, anstatt um saubere Diesel? Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, nicht die Autobesitzer.
Union und SPD drohen Ankara mit einer Aussetzung der staatlichen Hermesbürgschaften zur Absicherung von Geschäften deutscher Firmen in der Türkei. Was halten Sie davon?
ÖZDEMIR Auch das ist mehr Schein als Wirklichkeit. Denn gleichzeitig wird vom Rüstungskonzern Rheinmetall eine Panzerfabrik in der Türkei gebaut. Von der Überprüfung der Hermesbürgschaften reden, aber den Bau einer Panzerfabrik in der Türkei absichern, das hat mit einer glaubwürdigen Türkei-Politik nichts zu tun. Wer den Kuschelkurs mit Erdogan abwählen will, der muss ebenfalls Grüne wählen.