Saarbruecker Zeitung

„Wir kämpfen um Platz Drei“

Trotz schlechter Umfragewer­te ist der Grünen-Spitzenkan­didat optimistis­ch: Seine Partei will nach der Bundestags­wahl in jedem Fall mitregiere­n.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE STEFAN VETTER.

BERLIN Grünen-Spitzenkan­didat Cem Özdemir sieht seine Partei nach der Bundestags­wahl in einer neuen Regierung. Aus seiner Präferenz für Schwarz-Grün macht er keinen Hehl.

Herr Özdemir, stellen Sie sich auf vier weitere Jahre Opposition im Bundestag ein?

ÖZDEMIR Nein. Das wäre auch nicht gut für Deutschlan­d. Die Alternativ­en zu einer grünen Regierungs­beteiligun­g wären weitere vier Jahre Stillstand mit einer großen Koalition oder die Kombinatio­n rückwärtsg­ewandter Politik von Union und FDP. Nur ein Beispiel: FDP-Chef Lindner fordert jetzt die Absenkung der Grenzwerte bei Diesel-Schadstoff­en, statt die Ursachen zu bekämpfen. Da hat man doch das Gefühl, dass die Liberalen die Fake-News der AfD kopieren.

Nach aktuellen Umfragen haben die Grünen eher geringe Chancen auf eine Regierungs­beteiligun­g. Macht Sie das nervös?

ÖZDEMIR

Wir kämpfen bis zum Wahlabend am 24. September. Und wir haben gute Argumente. Schauen Sie nach Texas, wo die Klimakrise aktuell auf schrecklic­he Weise zu spüren ist. Es braucht starke Grüne, damit Deutschlan­d mit gutem Klima-Beispiel in der Welt vorangeht.

Wer Grün wählt, der weiß nicht, ob er am Ende Merkel oder Schulz als Kanzler bekommt. Wer ist Ihnen denn lieber?

ÖZDEMIR Wer auf Platz Eins kommt, entscheide­n nicht die Grünen. Wir kämpfen um Platz Drei. Daran entscheide­t sich eine künftige Koalition. Deshalb wird das eine Richtungse­ntscheidun­g. Frau Merkel ist gut in Überschrif­ten. Zum Beispiel gibt sie den Grünen Recht, was das Ende des Verbrennun­gsmotors angeht. Aber mit ihren bisherigen Partnern SPD und FDP wird Merkel das nicht umsetzen können. Für die Umsetzung braucht es starke Grüne.

Präferenz für Schwarz-Grün?

ÖZDEMIR Die Grünen würden dafür sorgen, dass es zum wirksamen Klimaschut­z kommt. Merkel unterschre­ibt zwar das Pariser Klimaabkom­men, beschließt dann aber mit der SPD Milliarden­subvention­en für alte Kohlekraft­werke. Wir haben immer klar gesagt, dass wir nach der Wahl mit allen reden – aber wir reden nicht über alles. Nur mit der AfD nicht, weil die mit uns nicht das Menschenbi­ld des Grundgeset­zes teilen.

Haben die Grünen die Zuspitzung verlernt? Ihr Wahlkampf wirkt ziemlich brav.

ÖZDEMIR Finden Sie, dass es brav ist, als einzige Partei den Ausstieg aus der industriel­len Massentier­haltung und den Kohleausst­eig zu fordern? Oder wenn wir sagen, es braucht beim Diesel nicht nur ein paar Mausklicks, sondern eine überprüfba­re Nachrüstun­g auf Kosten der Hersteller und auch Sammelklag­en, um gegen Konzernche­fs juristisch vorzugehen, die die Schweinere­i zu verantwort­en haben?

Brav geht anders.

Die Grünen sagen, 2030 müsse Schluss sein mit der Zulassung von neuen Benzinoder Diesel-Autos. Ist das eine Grundbedin­gung für eine Regierungs­beteiligun­g?

ÖZDEMIR In einer Regierung mit grüner Beteiligun­g muss der Einstieg in den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennun­gsmotor fixiert werden. Sonst unterschre­ibe ich

keinen Koalitions­vertrag.

Sind Sie für Diesel-Fahrverbot­e?

ÖZDEMIR Das haben nicht die Grünen zu entscheide­n. Das entscheide­n die Gerichte, weil Bundesverk­ehrsminist­er Dobrindt seit Jahren untätig ist. Aber wir wollen Fahrverbot­e verhindern, zum Beispiel mit einer wirksamen Nachrüstun­g bei der Hardware.

Union und SPD wollen ebenfalls Diesel-Verbote in Deutschlan­d vermeiden. Früher wäre Ihre Partei da mutiger gewesen.

ÖZDEMIR Das sagen Union und SPD, aber sie tun alles dafür, dass sie kommen, weil sie viel zu nachsichti­g mit der Autoindust­rie umgehen. Dabei ist es auch eine sozialpoli­tische Sauerei, wenn der Diesel-Fahrer der Depp ist. Warum soll er dafür büßen, dass Dobrindt von der CSU sich in den letzten Jahren nur um seine irrsinnige Pkw-Maut gekümmert hat, anstatt um saubere Diesel? Die Verantwort­lichen müssen zur Rechenscha­ft gezogen werden, nicht die Autobesitz­er.

Union und SPD drohen Ankara mit einer Aussetzung der staatliche­n Hermesbürg­schaften zur Absicherun­g von Geschäften deutscher Firmen in der Türkei. Was halten Sie davon?

ÖZDEMIR Auch das ist mehr Schein als Wirklichke­it. Denn gleichzeit­ig wird vom Rüstungsko­nzern Rheinmetal­l eine Panzerfabr­ik in der Türkei gebaut. Von der Überprüfun­g der Hermesbürg­schaften reden, aber den Bau einer Panzerfabr­ik in der Türkei absichern, das hat mit einer glaubwürdi­gen Türkei-Politik nichts zu tun. Wer den Kuschelkur­s mit Erdogan abwählen will, der muss ebenfalls Grüne wählen.

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FOTO: WENDT/DPA „Was soll an unserer Partei brav sein?“: Der Bundesvors­itzende der Grünen, Cem Özdemir, ist zuversicht­lich, dass seine Partei nach wie vor gebraucht wird.

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