Deutschland droht riesige Fachkräftelücke
Forscher haben düstere Prognosen: Die Engpässe bei den Fachkräften wachsen, hinzu kommt die Digitalisierung der Arbeitswelt.
BERLIN (dpa) In Gesundheits, Pflegeund technischen Berufen droht eine immer größere Fachkräftelücke in Deutschland. In einigen Branchen und Regionen können Arbeitnehmer bereits heute offene Stellen kaum noch besetzen. Das zeigt ein gestern vom Bundeskabinett verabschiedeter Bericht des Arbeitsministeriums. Allein bis 2030 könnte sich die Zahl der fehlenden Facharbeiter, Techniker, Forscher und medizinischen Fachkräfte auf bis zu 3,0 Millionen belaufen und bis 2040 gar auf 3,3 Millionen, wie aus einer zeitgleich veröffentlichten Prognos-Studie hervorgeht.
Nach der Vorhersage der Prognos-Forscher werden viele Sicherungsund Überwachungstätigkeiten wegfallen. Auch Lastwagenfahrer und Packer müssten damit rechnen, dass ihre Arbeit künftig von Robotern und Automaten erledigt werde. Gleiches gelte für Buchhalter, Kreditsachbearbeiter und Immobilienmakler. Elektronische Systeme dürften solche Berufe langfristig ersetzen. Dagegen werde es schon 2020, stärker aber bis 2030 einen Mangel an Managern, Forschern, Ingenieuren, Ärzten, Pflegern und medizinischen Assistenten geben, in geringem Umfang auch an Kreativen und Journalisten.
Der Regierungsbericht zeigt: Die Anzahl der registrierten Arbeitslosen pro offener Stelle sank zuletzt deutlich. Die durchschnittlichen Vakanzzeiten nahmen zu, also die Dauer, während der eine Stelle unbesetzt ist. Im Schnitt stieg die Vakanzzeit innerhalb eines Jahres zuletzt um zehn auf 100 Tage. Zwar schwächt der Geburtenrückgang laut der Regierungsstudie das Angebot an Arbeitskräften. Doch bisher brachte es einen Ausgleich, dass immer mehr Frauen und Ältere im Beruf sind. „Künftig wird dieser Ausgleich jedoch nicht mehr im gleichen Umfang stattfinden können, da größere Potenziale bereits gehoben sind und bis Mitte der 2030er Jahre die geburtenstarken Jahrgänge schrittweise in den Ruhestand treten“, heißt es in dem Bericht. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte: „Der Fortschrittsbericht ist eine Mahnung zum Handeln.“
„Im Zuge des demografischen Wandels wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten zehn bis 20 Jahren erheblich verschärfen“, sagte Oliver Ehrentraut, Autor der Erhebung des Basler Forschungsinstituts Prognos. Auch wenn man inzwischen nicht mehr mit einem so starken Schrumpfen der Bevölkerung rechne, werde die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter dennoch weiter kräftig sinken – um gut zehn Prozent bis zum Jahr 2040.
Um die Fachkräftelücke zu verkleinern oder zu schließen, sprechen sich die Baseler Bevölkerungsforscher auch für eine „Bildungsoffensive“aus: Vor allem die berufliche Ausbildung müsse gezielt gefördert werden, um mehr jungen Menschen zu einem Berufsabschluss zu verhelfen. Für Menschen im Berufsleben sei eine „effektivere Weiterbildung“erforderlich, die sie auf neue Jobs vorbereiten, die mit dem Einzug des Internets in den Fabrikhallen entstünden. Zudem sollte Frauen und Männern nach einer Familienpause die Rückkehr in das Erwerbsleben erleichtert werden. Ältere sollten dazu motiviert werden, länger zu arbeiten. Mit beiden Maßnahmen könnte der drohende Arbeitskräftemangel langfristig um rund zwei Millionen Beschäftigte verringert werden. Schließlich sollten Teilzeitkräfte dafür gewonnen werden, ihre wöchentliche Arbeitszeit zu verlängern. In allen Szenarien ist bereits eine durchschnittliche jährliche Zuwanderung von 200 000 Migranten unterstellt.
Zum Fachkräftemangel kommt der digitale Strukturwandel. Er schüttelt den Arbeitsmarkt durch. Die Anforderungen an die Qualifikation steigen. Bis 2030 sei mit einer Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss um etwa 2,5 Millionen zu rechnen, so die Studie. Der Bedarf an Arbeitskräften ohne Berufsabschluss sinke um knapp zwei Millionen.