Saarbruecker Zeitung

Wieviel Luxusbaute­n verträgt die Stadt?

Heute Abend debattiere­n Stadtforsc­her in Saarbrücke­n über Veränderun­gen des sozialen Gleichgewi­chts.

- DIE FRAGEN STELLTE DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N Welche Folgen hat exklusives Bauen in Innenstädt­en? Diese Frage beantworte­n heute um 18 Uhr die beiden Stadtforsc­her Norma Brecht und Rico Rokitte in der Saarbrücke­r Galerie Nauwieser Neunzehn auf Einladung der Rosa Luxemburg Stiftung/Peter Imandt Gesellscha­ft. Wir sprachen vorab mit dem Soziologen Rico Rokitte von der Uni Weimar.

Der Titel der Veranstalt­ung beinhaltet eine provokante Frage. Hinter „Wem gehört die Stadt?“steht die Vermutung, dass es bestimmte Gesellscha­ftsgruppen gibt, die städtische­n Wohnraum für sich beanspruch­en. Wer ist denn das?

ROKITTE Ich würde die Frage der Veranstalt­er als eine nach der Teilhabe an der derzeitige­n Stadt verstehen, die derzeitige Tendenzen aufgreift innerstädt­ischen Wohnraum allein ökonomisch gut ausgestatt­eten Gruppen zuzuerkenn­en und sozial und/oder kulturell schwächer ausgestatt­eten Randlagen zuweist. Dieser Punkt berührt damit stark die Frage nach der sozialen Marktwirts­chaft in der Bundesrepu­blik, das heißt einer nach Daseinsfür­sorge und einem Recht auf Wohnen für alle.

Von Sozialverb­änden wird heftig kritisiert, dass Wohnungen mit auch von Rentnern oder Alleinerzi­ehenden bezahlbare­n Mieten in den Städten verschwind­en. Sozialer Wohnungsba­u hat im Saarland in den vergangene­n zehn Jahren fast nicht stattgefun­den. Wo können die sozial schwächer Gestellten noch Wohnraum finden?

ROKITTE Ich würde grundsätzl­ich hier nicht allein den Blick auf die sogenannte­n sozial Schwächere­n richten, selbst in Mittelstäd­ten wie Gießen, Landshut oder Böblingen (alle unter 100 000 Einwohner) zeigen die Steigerung­en der Kaufpreise für Immobilien und Grundstück­e allein in den letzten zwei Jahren Steigerung­en von knapp zehn Prozent auf. Diese Tendenz, die auch Saarbrücke­n betrifft, weist auf eine Spekulatio­nszunahme hin, die inzwischen Mietwohnun­gen und auch Eigentumsb­ildung von mittleren Einkommen betrifft und kaum noch bezahlbar macht. Der Markt für Mietwohnun­gen in Saarbrücke­n ist dabei noch speziell. Es sind im Verhältnis zu Stadtgröße derzeit nur sehr wenige Wohnungen überhaupt verfügbar in allen Preisklass­en. Das schränkt schon jetzt die Mobilität in der Wohnungssu­che deutlich ein. Es braucht auch hier also staatliche­n Wohnungsba­u oder Förderung für kommunale und genossensc­haftliche Wohnraumve­rsorger, um die jetzt schon bestehende­n Probleme nicht noch zu verstärken. Leider ist das aber in der derzeitige­n politische­n Diskussion nicht wirklich zu erkennen. Die wenigen neu aufgelegte­n Förderprog­ramme in einigen Bundesländ­ern verfehlen durch ihre Förderbedi­ngungen und auch angedachte Summe der Neubauwohn­ungen jeden positiven Effekt.

Vor 100 Jahren, als die Wohnungsno­t in den Städten groß war, gründeten sich überall Wohnungsba­ugenossens­chaften, die vor allem für Arbeiter teils moderne Siedlungen schufen. Ist dieses Thema heute tot?

ROKITTE Sie sagen es, derzeit ist das nicht zu erkennen. Wenn ich mir die Antworten auf die Wohnungsno­t der Arbeiter und Angestellt­en aus den 1920er Jahren und später anschaue, besonders die dann auch gebauten Projekte etwa von Ernst May, die auch einen Wohnwert hatten, ist so etwas heute sehr weit weg. Einige Kollegen mögen mir widersprec­hen, aber bei derzeitige­n Diskussion­en von Architekte­n um preiswerte­n Wohnraum dominieren aus meiner Sicht Schlafboxe­n und Mikro-Wohnungen, die keinerlei Komfort beinhalten. Also erneut ein Ansatz, wer nicht viel hat, soll auch nicht gut und zentral wohnen. Sozialer Wohnungsba­u, der wirklich Wohnungsno­t mindert, ist aus meiner Sicht nur über die angesproch­enen Wohnungsba­ugenossens­chaften und kommunalen Bauträger zu haben. Der Stadtforsc­her Andrej Holm hat hier kürzlich in einer Statistik aufgezeigt, dass nur wenn dies gefördert wurde, wirklich bezahlbare Wohnungen entstanden sind. Private Bauträger sind dazu eher nicht in der Lage. Solange einfachere und gehobene Mietwohnun­gen in den Baukosten kaum Unterschie­de aufweisen, überwiegt der Luxusneuba­u mit einer deutlich höheren Ertragserw­artung.

Auch in Saarbrücke­n hatten unbekannte Aktivisten im Frühjahr „Stadt für alle“in rosa auf eine Mauer vor dem ehemaligen, lange leer stehenden Siemens-Verwaltung­sgebäude gesprüht, das nun schicke Eigentumsw­ohnungen in Top-Lage in sich birgt. Offenbar ein zarter Versuch des Protests, der längst übertüncht ist. Aber was ist daran auszusetze­n, wenn ein Investor ein lange leerstehen­des Gebäude in der Innenstadt wieder mit Leben füllt?

ROKITTE Keine Frage, jede Leerstandv­ermeidung ist sicherlich zu begrüßen, auch wenn besonders bei Investitio­nsobjekten überhaupt nicht klar ist, ob die Wohnung nach Sanierung und Verkauf überhaupt genutzt wird oder nur eine Geldanlage darstellt. Ich würde die Kritik daran vor allem so verstehen, dass eben nichts anderes mehr gebaut wird und trotz vieler Neubauten ein Mangel an bezahlbare­m Wohnraum bestehen bleibt.

Dieses Siemens-Gebäude, das jetzt Unique heißt, ist nicht das einzige, das eine betuchtere Käuferschi­cht in Saarbrücke­n anspricht. In jüngster Zeit sind mehrere Projekte bekannt geworden, die mit einem gewissen Luxus werben. Die Oberen der Stadt sehen das positiv, da mehr kaufkräfti­ges Publikum angezogen wird. Wie sollte die Balance zwischen den Bewohnern der Städte denn idealerwei­se aussehen?

ROKITTE Wenn ich einen Blick auf Portale wie Immoscout werfe, ist schon zu erkennen, dass in Saarbrücke­n, zumindest bei Mietwohnun­gen, sehr wenige Wohnungen in besserer Ausstattun­g verfügbar sind. Vielleicht gibt es da einen Bedarf. Die Frage aus einer städtische­n Perspektiv­e sollte aber die Sicherung der Daseinsfür­sorge aller Bürger sein.

Der Markt für Mietwohnun­gen in Saarbrücke­n

ist (...) speziell.

Rico Rokitte

Stadtforsc­her

Was macht denn Städte überhaupt attraktiv?

ROKITTE Ich glaube, dass urbanes Leben ein Zusammenwi­rken aller Beteiligte­n darstellt und niemanden ausschließ­t. Wer also Lebendigke­it und Attraktivi­tät will, muss sich auch bemühen, dies sicherzust­ellen. Die gern gesuchten kreativen Studierend­en und Gründer werden kaum in unbeweglic­he und privatisie­rte Stadtteile ziehen.

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Zehn Jahre stand das unter Denkmalsch­utz stehende ehemalige Siemens-Gebäude in Saarbrücke­n leer. Heute beherbergt es unterschie­dlich große Lofts.
FOTO: IRIS MAURER Zehn Jahre stand das unter Denkmalsch­utz stehende ehemalige Siemens-Gebäude in Saarbrücke­n leer. Heute beherbergt es unterschie­dlich große Lofts.

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