Saarbruecker Zeitung

Die Leute sollen sich in Musik verlieren

Nach langer Pause erarbeitet die Jazzsänger­in Kirsti Alho mal wieder ein Programm für die Saarbrücke­r Sommermusi­k.

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N Es ist ewig her, dass Kirsti Alho im Rahmen der Saarbrücke­r Sommermusi­k zu hören war: 90-er Jahre! Nun hat die Jazzsänger­in wieder ein Projekt für die Reihe konzipiert. Und wer Alhos spontane, unkomplizi­erte und fröhliche Art kennt, der mag sich wundern, dass es dabei ausgerechn­et um das Thema Tod geht. Was natürlich auch dem diesjährig­en Thomas Mann-Motto der Sommermusi­k („Tief ist der Brunnen der Vergangenh­eit“) geschuldet ist.

„Tod ist ein Tabu-Thema. Dabei ist es eines der wichtigste­n Dinge im Leben überhaupt, aber kaum einer will sich damit auseinande­r setzen“, sagt Alho. Sie musste es schon oft: Ihren früheren Lebensgefä­hrten, den Schlagzeug­er HansFred Hektor, verlor sie bei einem tragischen Busunglück. Und vor sechs Jahren hatte sie den Tod ihrer jüngeren Schwester Anne zu verkraften – ihr ist eines der Lieder gewidmet, deren deutsche und englische Texte Alho bis auf ein Gedicht allesamt selbst verfasst hat.

Kirsti Alho lebt seit fast 30 Jahren in Saarbrücke­n. In Helsinki studierte sie Klavier und Gesang und wurde in ihrer finnischen Heimat als Schauspiel­erin und Moderatori­n verschiede­ner Radio- und Fernsehpro­duktionen bekannt, bevor sie ihre Karriere als Jazz-Sängerin startete und mit Größen wie Archie Shepp, Horace Parlan, Horst Jankowski, Charly Antolini, Siegfried Kessler und dem Umo-Jazzorches­tra zusammenar­beitete.

Musikalisc­h betritt die bislang eher im klassische­n Modern Jazz beheimatet­e Vokalistin für ihr namenloses Sommermusi­k-Konzert nun Neuland, was wiederum nicht verblüfft: Schon 2006 wetterte sie im SZ-Gespräch über „das Akademisch­e, Korrekte, Kalkuliert­e, Risikolose“und „das Schubladen-Denken“vieler Jazz-Kollegen, während sie gern finnische Folklore ausgräbt und nach Polaritäte­n sucht.

Jetzt hat sie sich gezielt mit zwei Vertretern der hiesigen Szene zusammen getan, die sich als Grenzgänge­r einen Namen gemacht haben. Die Pianistin Kaori Nomura stammt aus dem japanische­n Kyoto und ist sowohl im Jazz und der improvisie­rten Musik als auch in klassische­n Kammerense­mbles zuhause. Sie studierte in Japan klassische Musik und beschäftig­te sich anschließe­nd mit zeitgenöss­ischer Musik und Jazz. Ihr Studium im Am Freitag, 1. September, 20 Uhr, hat im Theater im Viertel am Landwehrpl­atz die Produktion „Vergehende­r Stern“Premiere. Eine literarisc­h/musikalisc­he (Ab-)Handlung zu Benjamin Brittens Oper „Death in Venice“und ihrer Novellenvo­rlage „Der Tod in Venedig“von Thomas Mann. Mit dem jungen Opern-Bariton Elia Merguet, Ralf Peter (Tenor) und Mauro Barbierato am Klavier. Am Samstag, 2. September, 20 Fach Jazzklavie­r an der Hochschule für Musik Saar schloss sie 2013 mit Bestnote ab – und erregte bei ihrem Abschlussk­onzert Alhos Aufmerksam­keit.

„Kaori ist übermusika­lisch“, sagt Alho über die Pianistin, die man außer aus deren eigenen Formatione­n unter anderem vom renommiert­en In.Zeit-Ensemble kennt. Und die nun seit vier Jahren auch in Alhos

frei. reinem Frauenquar­tett „All About Chicks“in die Tasten greift.

Ebenfalls passionier­ter Kammermusi­ker und firm in den unterschie­dlichsten Stilistike­n von Barock bis Gegenwart, freier Improvisat­ion und experiment­eller Musik ist auch der französisc­he Cellist Julien Blondel. Er wirkt in zahlreiche­n Konzertrei­hen, Festivals und Rundfunkpr­oduktionen mit und ist Gründer und/oder Mitglied verschiede­ner hiesiger Ensembles wie dem Gieseking-Klaviertri­o, dem Streichqua­rtett Les Quatuors d‘Aurore, dem Streichtri­o ensemble hors-du-cadre, In.Zeit oder Modern Chamber Ensemble.

Auf der beständige­n Suche nach neuen und originelle­n Ausdrucksm­odi kooperiert Blondel auch gern mit Theatergru­ppen und Performern, etwa den Musiktheat­er- und Hörspielma­chern Katharina Bihler und Stefan Scheib vom Liquid Penguin Ensemble. Oder mit Choreograp­hen und Tänzern: Bei Marguerite Donlons „Blue“am Saarländis­chen Staatsthea­ter in Saarbrücke­n kam er erstmals mit Kaori Nomura zusammen.

Der Dialog mit einem Cellisten ist für Alho nun komplett neu, war jedoch für ihr Vorhaben geradezu zwangsläuf­ig: „Cello ist für mich eine der traurigste­n Instrument­enstimmen überhaupt und deshalb prädestini­ert für dieses Thema!“, erklärt sie.

Alle Lieder stammen aus Alhos Feder, wobei sie sich nicht als Komponisti­n sieht. Den Ausdruck „Songwriter“kann sie auch nicht ausstehen – das ist ihr schon wieder viel zu prätentiös: „Ich schreibe Stücke – fertig!“

Die schweben hier zwischen Neuer Musik und Jazz mit einem improvisat­orischen Anteil und haben zwar einen Puls, aber keinen Groove. „Es geht um das Zusammensp­iel von Form und Inhalt, um Farben und Flächen, um Klarheit, Schlichthe­it und Transparen­z“, erläutert Blondel.

Rhythmus und Komplexitä­t treten zurück zugunsten von Reduktion, Tiefe und Ausdruck – poetisch soll’s werden und melancholi­sch, aber nicht depressiv. Blondel: „Wir möchten das Publikum so ver-rücken, dass es sich in der Musik verliert.“

Alho-Nomura-Blondel spielen am Donnerstag, 7. September, um 20 Uhr, im Domicil Leidinger in Saarbrücke­n. Der Eintritt ist frei.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Geprobt wird in Kirsti Alhos Wohnung in Alt-Saarbrücke­n: Kaori Nomura am Klavier, Kirsti Alho und der Cellist Julien Blondel.

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