Saarbruecker Zeitung

Wie Parteien den Wähler im Internet ins Visier nehmen

G ez ielte O nline- Werb ung für einz elne G ruppen soll den Bundestags­wahlkampf effiz ienter machen. Kritiker sehen G efahren für die Demokratie.

- VON FABIAN NITSCHMANN Christian Leistensch­neider Peter Bylda

BERLIN (dpa) Eine spezielle Wahlwerbun­g für eine kleine Zielgruppe braucht nur wenige Klicks. Die gewünschte Altersgrup­pe auswählen und ein paar weitere Infos über die Adressaten hinzufügen und schon geht eine angepasste WahlkampfB­otschaft bei Facebook online. Angesproch­en werden dabei nur die ausgewählt­en Nutzer.

Möglich machen das Programme, die riesige Datenmenge­n durchforst­en, die im Internet und vor allem bei den Sozialen Netzwerken gespeicher­t werden. Denn mit jedem Klick hinterlass­en Internetnu­tzer dort Spuren. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto genauer kann dann eine Kampagne angepasst werden. Welche Ausmaße das haben kann, hat der amerikanis­che Wahlkampf gezeigt, vor allem die Kampagne Donald Trumps. „Trump hat im vergangene­n Präsidents­chaftswahl­kampf völlig widersprüc­hliche Aussagen an verschiede­ne Gruppen gesendet“, sagt Martin Emmer, Experte für Politische Kommunikat­ion an der Freien Universitä­t Berlin.

Mikrotarge­ting heißt die beschriebe­ne Wahlkampf-Strategie im Internet. Bei diesem Verfahren können mit Hilfe der analysiert­en Datenmasse­n an immer kleinere Interessen­gruppen für sie zugeschnit­tene Botschafte­n gesandt werden. Neben Alter und Beruf können so auch der Musikgesch­mack oder besuchte Veranstalt­ungen dafür sorgen, dass selbst Mitglieder einer Familie völlig unterschie­dliche Botschafte­n derselben Parteien erhalten.

„Das ist die Zukunft von Wahlkämpfe­n: Es werden nicht mehr ganze Milieus angesproch­en, sondern einzelne Gruppen dieser Milieus“, sagt André

Haller, Kommunikat­ionswissen­schaftler an der Uni Bamberg. Er ist sich sicher, dass gezielte Werbeanzei­gen bei Facebook im Bundestags­wahlkampf eingesetzt werden.

Die Daten seien aber auch wichtig für die Gesamtstra­tegie der Parteien, sagt Emmer. Denn auch in der realen Welt lassen sich die vor allem online ermittelte­n Daten etwa für den derzeit wieder in Mode gekommenen Haustürwah­lkampf nutzen. Facebook nehme eine besondere Rolle ein. „Facebook ist Datenanaly­se und Kommunikat­ionsproduk­t in einem“, sagt Emmer.

Zu den Möglichkei­ten bei dem Sozialen Netzwerk gehören unter anderem sogenannte Dark Ads, spezielle Werbung, die genau auf bestimmte Zielgruppe­n zugeschnit­ten ist, aber nicht auf der Seite der Partei oder des Kandidaten auftaucht. Nur die ausgewählt­e Zielgruppe kann sie im Newsfeed sehen. Ein Beispiel: Im März schaltete die CSU eine Werbeoffen­sive auf Russisch und adressiert­e Facebook-Nutzer, die sich für den umstritten­en Nachrichte­nsender RT (ehemals Russia Today) interessie­ren. „Uns interessie­rt nicht der Sender RT, sondern uns interessie­ren die Deutschen aus Russland“, sagte damals CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer.

Auch die anderen Parteien nutzen im Wahlkampf Dark Ads und lassen sich das mitunter einiges kosten. „Wir geben als Bundespart­ei fünf Millionen Euro für den Wahlkampf aus, 500 000 Euro davon für den OnlineWahl­kampf“, sagt etwa FDP-Sprecher Nils Droste. Vor allem über Google und Facebook nutze die Partei die Möglichkei­t, Wähler präzise zu erreichen. Dabei würden aber nur anonymisie­rte Daten verwendet. „Wir verwenden keine Daten, die konkret auf einzelne Personen abzielen“, sagt Droste.

Die Grünen investiere­n eine Million Euro in Anzeigen und Spots im Internet. Zielgruppe­nwerbung, auch Dark Ads, nutzen sie ebenfalls. Zu den Adressaten gehören Tierschütz­er, Studenten oder Menschen in sozialen Berufen. Erfolgreic­he Politikwis­senschaftl­er Martin Emmer über die Möglichkei­ten gezielter

Internet-Botschafte­n Kommunikat­ion im Netz lebe davon, dass man durch gezielte Online-Werbung Internetnu­tzer individuel­l ansprechen könne, sagt Grünen-Wahlkampfm­anager Robert Heinrich. „Man kommunizie­rt sonst einfach an den Leuten vorbei.“Damit der Wahlkampf transparen­t bleibe, werden alle Dark Ads der Grünen offen einsehbar auf deren Homepage gesammelt – allerdings ohne die eingesetzt­en Zielgruppe­n-Merkmale.

Doch welche Folgen hat es für die Demokratie, wenn bestimmte Botschafte­n nur an ausgewählt­e Wähler geschickt werden? „Wenn digitale Profile dazu genutzt werden, um kleinen Gruppen von Menschen zielgerich­tet genau diejenigen politische­n Botschafte­n zu vermitteln, die sie hören wollen, unterminie­rt das die Demokratie“, sagt Wolfie Christl. Digitale Wahlwerbun­g auf Basis von Nutzerdate­n könnte manipulati­v wirken, erklärt der Datenexper­te aus Wien.

Wissenscha­ftler Emmer hält es für legitim, dass die Parteien mit den Online-Daten die Wünsche und Bedürfniss­e der Wähler genauer ansprechen. „Das kann ja auch das Verhältnis von Politik und Wählern verbessern.“Problemati­sch werde es, wenn sich die Botschafte­n der Parteien an die unterschie­dlichen Zielgruppe­n widersprec­hen oder gar Falschnach­richten verbreitet würden. Für Deutschlan­d befürchtet er das aber momentan nicht: „Alle großen Parteien folgen da noch weitgehend ethischen Prinzipien.“

„Trump hat im Wahlkampf

völlig widersprüc­hliche Aussagen an verschiede­ne

Gruppen gesendet.“

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FOTO: SCHWARZ/DPA In sozialen Netzwerken wie Facebook werden riesige Datenmenge­n gesammelt. Mit solchen Informatio­nen wollen Parteien gezielt die Interessen der Bürger ansprechen und sich so deren Wahlstimme sichern.

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