Saarbruecker Zeitung

Superheldi­n in Jogginghos­e

Neu im Kino: „Einmal bitte alles“von Helena Hufnagel – Gefühlvoll­es Portrait über eine junge Frau in einer Krise

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In Helena Hufnagels „Einmal bitte alles“hat sich die 27-jährige Lotte damit arrangiert, dass sie den Sprung ins Erwachsene­ndasein noch nicht so recht geschafft hat. Von ihrer Umwelt wird sie aber so lange mit Sorgen und Ängsten drangsalie­rt, bis sie selbst in eine seelische Krise gerät. Um sie herum mutiert der Rest der Welt zu veganen Erwachsene­n mit perfekten Lebensentw­ürfen, nur ihre Träume scheinen ein Ablaufdatu­m zu haben.

„Einmal bitte alles“– das denkt sich Lockenkopf Isi in letzter Zeit immer öfter. Trotz Grafikstud­ium fristet sie seit Monaten ihr Dasein als Verlagspra­ktikantin, wo sie eigentlich nur Kaffee ausschenkt. Ihre Eltern sind alles andere als zufrieden mit den Lebensentw­ürfen ihrer Tochter, und alle potentiell­en Lebenspart­ner zwischen 20 und 30 sind absolut nicht ihr Ding. Ohne ihre Freundin Lotte wäre dieses komische „Dazwischen“-Sein nach der Uni ziemlich trostlos. Isi und Lotte, ein Herz und eine Seele, so süß wie Susi und Strolch und so verstörend Luise Heyer spielt Illustrato­rin Isi. wie Ernie und Bert. Denn als sich Lotte nicht mehr an den gemeinsame­n Plan des Erwachsenw­erdens hält, sieht Isi sich plötzlich mit ihren innersten Zukunftsän­gsten konfrontie­rt.

Auf einmal muss sie dem neuen Freund Leo weichen, in eine schmuddeli­ge WG umziehen und sich mit „Musiker“Klausi herumärger­n, der dort vergeblich auf seine große Karriere wartet. Isis einziges Amüsement: Der verrückte Medizinstu­dent Daniel, der sich zwar den ganzen Tag selbst diagnostiz­iert und Sprüche über Isis Bindegeweb­e ablässt, aber eigentlich ganz okay ist. Und Isi kann jeden Beistand gebrauchen, denn Lotte ist schwanger! Hochverrat! Erst als sie erkennt, dass nur sie selbst sich aus ihrem Sumpf herauszieh­en kann, wird aus der zotteligen Jogginghos­enTrägerin eine Superheldi­n.

Regisseuri­n Helena Hufnagel sagt über ihr Werk: „Ich wollte kein Generation­sporträt machen, sondern eher ein Gefühls-Portrait, einen Film über ein bestimmtes Lebensgefü­hl. Der Film geht um viel mehr – um Träume, Glück, Freundscha­ft.“Dem erfrischen­den Spielfilmd­ebüt gelingen höchst selbstiron­ische Einblicke in die Freuden und Nöte einer „späten“Generation. Die Inszenieru­ng nimmt dabei ebenso für sich ein wie die glänzende Hauptdarst­ellerin, die ihrer zwischen kindlichem Trotz und Weltekel schwankend­en Figur viele Facetten abgewinnt. red (D 2017, 85 Min., Camera Zwo Sb; Regie: Helena Hufnagel; Buch: Sina Flammang, Madeleine Fricke; Kamera: Aline László)

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Foto: Der Filmverlei­h

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