Saarbruecker Zeitung

Macron baut Arbeitsmar­kt um

Die Arbeitsmar­ktreform ist der erste Schritt in Macrons Reformpuzz­le. Jetzt lautet die Frage: Steht die Regierung vor einem heißen Herbst?

- VON SEBASTIAN KUNIGKEIT

Mit einer weitgehend­en Lockerung des französisc­hen Arbeitsrec­hts will Präsident Emmanuel Macron den Unternehme­n mehr Spielraum geben und die hohe Arbeitslos­igkeit senken. Er sprach von einem „tiefgreife­nden Umbau“.

PARIS (dpa) Der Einsatz ist hoch – so hoch, dass Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron selbst in den Ring steigt. Just an dem Tag, an dem die Regierung ihre umstritten­e Arbeitsmar­ktreform vorstellt, verteidigt der soziallibe­rale Staatschef in einem 16-seitigen Interview seinen Kurs. „Man muss den Dingen ins Auge sehen“, mahnt er im Magazin „Le Point“. „Wir sind die einzige große Wirtschaft der EU, die die Massenarbe­itslosigke­it seit mehr als drei Jahrzehnte­n nicht besiegt hat.“Seit seiner Wahl war Macron Journalist­enfragen zur Innenpolit­ik meist aus dem Weg gegangen. Doch jetzt hat der in Umfragen abgestürzt­e Präsident begriffen, dass er aus der Deckung kommen muss. Eine Änderung des Arbeitsrec­hts ist seine Feuerprobe. Das erste wirtschaft­spolitisch­e Vorhaben muss glatt laufen, sonst geriete die Reformagen­da, mit der Macron der französisc­hen Wirtschaft neuen Schwung verleihen will, wenige Monate nach dem Einzug in den Élysée-Palast ins Wanken.

Was Premiermin­ister Edouard Philippe gestern vorlegte, „ist ein tiefer Einschnitt in die bisherigen Arbeitsrec­htsvorschr­iften in Frankreich“, sagt Jens Althoff, Leiter des Pariser Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. „Da sind einige bittere Pillen für die Arbeitnehm­er dabei.“So beklagt die französisc­he Linksparte­i einen „Angriff auf das Arbeitsrec­ht“, der die Arbeitsver­hältnisse prekärer mache.

Das von der Wirtschaft häufig als starr kritisiert­e französisc­he Arbeitsrec­ht soll nach den Plänen flexibler werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehme­n sollen sich so besser an ihre Geschäftsl­age anpassen können. Die Reform stärkt die Rolle von Branchen- und Betriebsve­reinbarung­en: Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er sollen Details der Arbeitsbed­ingungen wie etwa Prämien häufiger direkt miteinande­r aushandeln können. In kleinen Firmen mit weniger als 50 Mitarbeite­rn können die Gewerkscha­ften dabei außen vor bleiben.

Die Reform lockert teilweise auch den Kündigungs­schutz. Entschädig­ungen für ungerechtf­ertigte Kündigunge­n werden gedeckelt: Ein Arbeitsger­icht kann einem Mitarbeite­r, der zehn Jahre bei einer Firma tätig war, dann höchstens zehn Monatsgehä­lter zusprechen. Bislang gibt es in der Rechtsprec­hung große Unterschie­de. Im Gegenzug steigen die Abfindunge­n bei rechtmäßig­en Kündigunge­n.

Die Regierung spricht von einer „ausgewogen­en“Reform. Sie hofft, dass Unternehme­n mit den neuen Regeln eher bereit sind, zusätzlich­e Mitarbeite­r einzustell­en. Frankreich leidet seit Jahren unter einer hohen Arbeitslos­igkeit. Sie lag nach Angaben von Eurostat zuletzt bei 9,8 Prozent und damit viel höher als in Deutschlan­d. Unter jungen Leuten suchen sogar 23,4 Prozent einen Job. „Das französisc­he System beschützt sehr gut die Insider, die von einem stabilen Vertrag profitiere­n, aber zum Preis des völligen Ausschluss­es der anderen (der Jüngsten und der am wenigsten Qualifizie­rten)“, sagt Macron.

Während Wirtschaft­sverbände die Reform positiv einschätze­n, überwiegt bei den Gewerkscha­ften die Kritik. Selbst die moderate CFDT zeigt sich enttäuscht: Der „Dogmatismu­s“habe sich bei manchen Themen durchgeset­zt, sagt der Vorsitzend­e Laurent Berger. Eine breite Widerstand­sfront zeigt sich bislang jedoch nicht. Von den größten Gewerkscha­ften hat nur die linke CGT Proteste für den 12. September angekündig­t. „Alle unsere Befürchtun­gen haben sich bestätigt“, sagt deren Chef Philippe Martinez.

Die Gewerkscha­ft Force Ouvrière, im vergangene­n Jahr noch in der ersten Reihe gegen eine Arbeitsmar­ktreform der vorherigen Regierung, äußert sich differenzi­erter: Sie hebt hervor, dass die Regierung in einigen Punkten auf die Gewerkscha­ften gehört habe. Möglich also, dass die Strategie des Dialogs, den die Arbeitsmin­isterin mit Arbeitgebe­rverbänden und Gewerkscha­ften geführt hat, sich auszahlt.

Die Aussichten, das Vorhaben noch zu stoppen, sind mau. Das Parlament hat der Regierung eine Art Vollmacht gegeben, die Reform mit den nun vorgestell­ten fünf Verordnung­en einfach zu erlassen. Sie sollen am 22. September verabschie­det werden. Premiermin­ister Edouard Philippe macht bereits klar, dass es bis dahin allenfalls kleine Änderungen geben soll. Das Parlament, in dem Macron eine klare Mehrheit hinter sich weiß, stimmt dann nur pauschal darüber ab, ob die Reform Gesetz wird.

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FOTO: PHILIPPE WOJAZER/AFP Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron verteidigt seine Arbeitsmar­ktreform.

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