Saarbruecker Zeitung

Ein Duell ohne klaren Sieger

Martin Schulz bringt Angela Merkel beim TVDuell manches Mal in die Defensive. Beide kritisiere­n Schröders Russland-Engagement.

- VON WERNER KOLHOFF UND HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Fatima Abbas Thomas Schäfer

BERLIN Das letzte Wort hat Angela Merkel. So ist es ausgelost worden. Sie sagt: „Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen.“Die Bundeskanz­lerin spricht die rund 20 Millionen Zuschauer direkt an, die dem Geschehen daheim auf ihren Sofas oder bei Public-Viewings folgen, und bitte um ihre Stimmen. Der Wahlkampf 2017 hat seinen Höhepunkt: das TV-Duell.

Die Spitzenkan­didatin der Union nutzt ihre Schlusswor­te wie einen Gratis-Werbespot, zeitgleich verbreitet von vier Sendern. Martin Schulz (SPD) hat sich dafür etwas Besonderes ausgedacht. „Wie viel Zeit habe ich?“, fragt er wie ahnungslos. „60 Sekunden“, antwortet Peter Kloeppel (RTL). „In 60 Sekunden verdient eine Krankensch­wester unter 40 Cent und ein Manager über 30 Euro“, sagt Schulz scheinbar spontan und appelliert an den „Mut zum Aufbruch“. Hier agieren zwei Profis, 95 Minuten lang.

Als Schulz um 19.15 Uhr vor dem Studio im Südosten Berlins vorfährt, reckt er beide Daumen hoch. Angela Merkel kommt sechs Minuten später, in einem marineblau­en Blazer. Sie strahlt, als sei das hier eine ihrer leichteste­n Übungen.

Neben dem eigentlich­en Fernsehstu­dio in Berlin-Adlershof ist ein Pressezent­rum aufgebaut, in dem die 300 Journalist­en aber fast in der Minderheit sind. Club-Atmosphäre ist angesagt. Dezente Musik, Loungemöbe­l, Kronleucht­er tauchen die Szenerie in warmes Licht. Es gibt Cocktails: „Würselenes-Jungenspie­l“und „Vorpommers­che Teezeit“. Der eine steht für Schulz, der andere für Merkel. Wie bei einer Fußball-WM kann das Duell auf zwei riesigen Leinwänden verfolgt werden. Für die CDU sieht man Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, die Ministerpr­äsidenten Armin Laschet aus NRW und Annegret Kramp-Karrenbaue­r aus dem Saarland. Auch CDU-Generalsek­retär Peter Tauber ist da.

Die wichtigste Aufgabe der Merkel-Getreuen: Keinen Zweifel an der Kanzlerin aufkommen lassen, und das den Journalist­en einbläuen. Die einzige Aufgabe der Schulz-Fans: den Kandidaten vorab zu loben und seinen Sieg anzukündig­en. Also tummelt man sich in den Sitzlandsc­haften oder an den Stehtische­n, sucht das Gespräch mit den Journalist­en – und umgekehrt. Für die SPD ist Generalsek­retär Hubertus Heil da, auch die beiden Ministerpr­äsidentinn­en Manuela Schwesig und Malu Dreyer sind gekommen, beide konsequent in rot gekleidet. Beide Lager sitzen klar voneinande­r getrennt. Auch die Opposition lässt sich den Auftritt hier nicht nehmen. Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sagt, dass beide Kanzlerkan­didaten sowieso nichts gegen die wirklichen sozialen Probleme des Landes täten. Und Grünen-Generalsek­retär Michael Keller erwartet nur ein „gepflegtes Gespräch der Langeweile“.

Martin Schulz hat angekündig­t, dass er sich in kein Korsett zwängen lässt. Nach acht Minuten ist es das erste Mal so weit. Eine kritische Frage von Claus Strunz (Sat.1) zu seiner Haltung zu Flüchtling­en nutzt der SPD-Herausford­erer, um seinerseit­s Angela Merkel anzusprech­en. Sie habe gesagt, sie werde in der Flüchtling­sfrage alles genauso machen wie 2015. Und das sei falsch. Denn sie habe das Problem weder vorher rechtzeiti­g erkannt, noch die europäisch­en Partner nicht eingebunde­n. Die Kanzlerin antwortet, dass sie doch alles zusammen mit der SPD, mit Sigmar Gabriel „und dem Bundesauße­nminister“(damals Frank-Walter Steinmeier) entschiede­n habe. „Wir haben da sehr gut zusammenge­arbeitet.“Freilich gehörte Schulz der großen Koalition damals nicht an, sondern saß im Europaparl­ament. Er bleibt bei seiner Kritik. Punkt für Schulz.

Der Frageblock zu Flüchtling­en und Migration ist unangenehm für die Kanzlerin, sie muss sehr viel erklären. Die fehlenden Abschiebun­gen, die langsame Bearbeitun­g der Asylanträg­e, Hasspredig­er. Merkel wirkt hier defensiv, redet etwas komplizier­t. Schulz ist klarer, auch entschloss­ener. Beim Thema Türkei ist das noch deutlicher. Schulz sagt, er werde, „wenn ich Kanzler bin“, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei sofort beenden. Dass sei die Sprache, die Erdogan verstehe. Angela Merkel kann als amtierende Kanzlerin so weit nicht gehen. Sie kann nur mit dem Ende der Zollunion und stärkeren Reisewarnu­ngen drohen. Und darauf verweisen, dass sie darüber erst am Freitag mit Sigmar Gabriel gesprochen habe. Das ist wieder der Versuch, die SPD in die Mitverantw­ortung der großen Koalition zu nehmen.

Die Moderatore­n haben sich am Wochenende ebenfalls intensiv vorbereite­t. Sie fragen auf den Punkt, auch hartnäckig. Und erzielen Wirkung. Die aufgesetzt­e Lockerheit, die beide Duellanten noch ganz zu Beginn zeigen, weicht sehr schnell einer großen Ernsthafti­gkeit. Anfangs lächelt Merkel noch süffisant, wenn er redet. Das hört bald auf. Es gibt eine kurze Fragerunde, in der die Kandidaten nur mit Ja oder Nein antworten dürfen. Merkel fällt das deutlich schwerer als dem Herausford­erer. Aber auf die Frage, ob sie Gerhard Schröders (SPD) Engagement für den russischen Ölkonzern Rosneft gut oder schlecht finde, antwortet sie schnörkell­os „schlecht“. Und fügt noch hinzu, der ehemalige Bundeskanz­ler untergrabe damit die Sanktionen gegen Russland. Schulz sieht das in der Sache nicht anders.

Einmal bricht im Pressezent­rum parteiüber­greifend großes Gelächter aus. Als Merkel dementiert, dass die CDU die Rente mit 70 anstrebe, sagt Schulz nämlich: „Das finde ich toll, zum ersten Mal eine Position.“Natürlich meint der SPD-Kandidat das nur ironisch, denn im gleichen Atemzug erinnert er daran, dass Merkel beim letzten TV-Duell auch gesagt habe, die Pkw-Maut komme nicht. Jetzt wirkt Merkels Lächeln verlegen.

Je länger das Duell dauert, umso wohler scheint sich Schulz zu fühlen, er probiert auch mal ein Witzchen, die aber alle nicht recht zünden. Und Merkel ist es nicht immer behaglich. Als es um den Diesel-Skandal geht, fragt Maybrit Illner (ZDF): „Warum sind sie so zurückhalt­end?“Da guckt die Kanzlerin, als wolle sie mit den Augen Blitze aussenden auf die Journalist­in. „Man kann von Zurückhalt­ung nicht reden. Ich bin entsetzt über die Industrie, ich bin stocksauer.“

„Dass wir die Menschen bis 70 arbeiten lassen wollen, ist schlicht und

ergreifend falsch.“

Angela Merkel

„Wenn wir nichts tun bei der Rente, dann sinkt die Rente massiv ab.“

Martin Schulz

„Wir werden noch

Jahrzehnte Verbrennun­gsmotoren

brauchen.“

Angela Merkel

„Frauen sind in den letzten Jahren bei der

wirtschaft­lichen Entwicklun­g häufig das Opfer gewesen.“

Martin Schulz

„Wir haben schwerwieg­ende Differenze­n mit dem

US-Präsidente­n.“

Angela Merkel

„Deutschlan­d ist ein wohlhabend­es Land,

aber nicht alle Menschen in unserem Land sind wohlhabend.“

Martin Schulz

„Sich an den Terror zu

gewöhnen, würde bedeuten, unsere Art zu leben aufzugeben.“

Angela Merkel

„Wenn ich Kanzler werde, werde ich die Beitrittsv­erhandlung­en

der Türkei mit der Europäisch­en Union

abbrechen.“

Martin Schulz

 ?? SCREENSHOT: DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der SPD-Kandidat Martin Schulz während des TV-Duells. Im Vordergrun­d (von links) stehen die Moderatore­n Sandra Maischberg­er, Claus Strunz, Maybrit Illner und Peter Kloeppel.
SCREENSHOT: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der SPD-Kandidat Martin Schulz während des TV-Duells. Im Vordergrun­d (von links) stehen die Moderatore­n Sandra Maischberg­er, Claus Strunz, Maybrit Illner und Peter Kloeppel.
 ?? FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA ?? In ganz Deutschlan­d verfolgten die Menschen gestern Abend das TV-Duell – selbst in Fitness-Studios liefen die Fernseher.
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA In ganz Deutschlan­d verfolgten die Menschen gestern Abend das TV-Duell – selbst in Fitness-Studios liefen die Fernseher.

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