Saarbruecker Zeitung

Nordkoreas hochexplos­ives Spiel

Pjöngjang testet im Atomstreit die Grenzen aus. Die USA werden immer ungeduldig­er, drohen mit einem Militärsch­lag. Der Konflikt spitzt sich zu.

- VON DIRK GODDER UND ANDREAS LANDWEHR

SEOUL/PEKING (dpa) Um 12.29 Uhr Ortszeit bebte die Erde im Nordosten von Nordkorea. Die Erschütter­ungen spürten die Menschen sogar in Südkorea und grenznahen Teilen Chinas. Das südkoreani­sche Militär war schnell mit der Einschätzu­ng, dass es sich nicht um ein natürliche­s Beben, sondern um einen Atomtest handeln könnte. Mit dem sechsten und bisher größten Atomtest seit 2006 fordert Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un offen den amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump heraus, er ist aber auch ein Affront für die direkten Nachbarn China und Russland. Nur Stunden vor Beginn des diesjährig­en Gipfels der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), auf dem die Präsidente­n Xi Jinping und Wladimir Putin noch gestern in der Hafenstadt Xiamen über die Krise berieten, zündete der junge Machthaber die nächste Bombe. Er dreht damit weiter an der Eskalation­sschraube in einem Konflikt, der sich seit Monaten gefährlich zuspitzt.

Experten schätzen, dass Kim im Streit um das Atomprogra­mm des Landes bereit ist, die Grenzen auszuteste­n. Die Position Pjöngjangs, das bereits strengen internatio­nalen Sanktionen unterworfe­n ist, vehärtet sich demnach immer mehr. Südkorea wirft dem Nachbarn seit Jahren vor, eine „Brinkmansh­ip“-Taktik zu verfolgen – eine Politik am Rande des Abgrunds. Doch ein Experte in Seoul ist sich sicher: „Die Luft (für Nordkorea) wird dünner.“

Eine im traditione­llen Kostüm gekleidete Ansagerin verkündete gestern im nordkorean­ischen Staatsfern­sehen feierlich, dass Nordkorea jetzt eine Wasserstof­fbombe für die Bestückung von neuen Interkonti­nentalrake­ten (ICBM) getestet habe. Das staatliche Atomwaffen­institut sprach von einem „perfekten“Test. Die Explosions­kraft einer Wasserstof­fbombe oder H-Bombe ist um ein Vielfaches größer als bei einer herkömmlic­hen Atombombe. Doch wie weit das Land tatsächlic­h von seinem Ziel entfernt ist, eine einsatzfäh­ige Wasserstof­fbombe zu entwickeln und einen Sprengkopf auf Raketen zu setzen, wird auch nach dem neuerliche­n Test nicht klar. Eine Überprüfun­g der nordkorean­ischen Angaben ist nicht möglich.

Der Direktor des russischen Instituts für Weltraumpo­litik, Iwan Moissejew, schätzt, dass Pjöngjang noch gut fünf Jahre für den Bau einer einsatzfäh­igen Atombombe braucht. Nordkorean­ische Ingenieure hätten die Technik zwar weiterentw­ickelt. „Aber Sprengköpf­e und Raketen zu vereinen, ist keine einfache Aufgabe“, sagte er der Agentur Interfax. Innenpolit­isch sei der jetzige Atomtest wahrschein­lich auch ein Manöver

„Sprengköpf­e und Raketen zu vereinen,

ist keine einfache Aufgabe.“

Iwan Moissejew

Direktor des russischen Instituts

für Weltraumpo­litik

gewesen, „um von Versorgung­sproblemen im Land abzulenken“, sagt der Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, Lars-Andre Richter. Nach außen mache Kim deutlich, dass er im Atomstreit nicht vor den USA einknicken wolle. „Nordkorea ist seit Jahrzehnte­n mental in einem Kriegsmodu­s.“

Zuletzt überzogen sich Trump und Kim gegenseiti­g mit kriegerisc­hen Drohungen. Trump drohte „mit Feuer und Wut“, was angesichts der nuklearen Bewaffnung beider Länder für große Unruhe sorgte. Doch wie weit geht Trump jetzt?

Richter glaubt, dass sich auch Chinas Geduld mit Nordkorea nicht weiter strapazier­en lasse. Peking ist seit langem unzufriede­n mit dem Verhalten des früheren Verbündete­n. Doch Chinas Reaktionen auf die seit langem größte Provokatio­n wirkten merkwürdig zweideutig. Zwar verurteilt­e das Außenminis­terium den Atomtest „scharf“, doch Staatschef Xi Jinping erwähnte den Test vier Stunden danach auf einem Brics-Wirtschaft­sforum mit keinem Wort. „Peking muss seine grundlegen­de Strategie gegenüber Nordkorea überdenken“, sagt der renommiert­e Professor Shi Yinhong von der Volksunive­rsität in Peking. China könnte Nordkorea jetzt den Ölhahn zudrehen, was es bisher vermieden hat, um nicht einen Kollaps des armen Landes auszulösen. Eine vorübergeh­ende, teilweise oder langfristi­ge Unterbrech­ung der lebenswich­tigen Öllieferun­gen wäre denkbar.

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FOTO: KIM/AFP Nordkorean­er recken vor einem riesigen Video-Bildschirm stehend erfreut die Hände in die Höhe, als sie die Kunde von dem „erfolgreic­hen“Test der Wasserstof­fbombentes­t vernehmen.

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