Was sich aus einer Minute Freiheit machen lässt
„Oh, Lust des Beginnens“: Eindrücke vom gestrigen Theaterfest zur lustvollen Spielzeiteröffnung des Saarländischen Staatstheaters.
SAARBRÜCKEN Bodo Busse klopft gern Sprüche und scheut sich nicht, sie mehrmals anzubringen. „Oh, Lust des Beginnens“ist so einer, ein Brecht-Zitat, das der neue Intendant des Saarländischen Staatstheaters gestern in seiner Eröffnungs-Ansprache zum ersten Theaterfest noch einmal bemühte. Doch übelnehmen mag man dem Neuen diese Marotte einfach nicht. Spürt man doch immer auch ein Augenzwinkern bei diesem Chef, der unterm perfekten schwarzen Anzug ein Hemd mit
Intendant Bodo Busse
poppig bunten Blumen trägt. Und die große Lust, endlich loszulegen, die nimmt man ihm auch wirklich ab.
Die Wetterengel, die er ebenfalls bemühte, meinten es denn auch gut mit der neuen Crew. War es zum Auftakt auf dem Tbilisser Platz auf den weißen Stühlen, die schnell noch trockengerieben werden mussten vom nächtlichen Regen, noch recht luftig, so strömten im Laufe des Nachmittags doch Tausende Besucher herbei, um ihr großes Haus nach „der schrecklichen theaterlosen Zeit“(Busse) in Augenschein zu nehmen. Auch bei diesem Fest hielt es der Chef mit der Devise: Man muss nicht gleich alles umkrempeln. Viele Programmpunkte, die sich bisher großer Beliebtheit erfreuten, wie die Kostümversteigerung oder das Promenadenkonzert, hat man beibehalten. „Mein Ehrgeiz ist, dass man ein breites Programm aufstellt und dass man ständig das Gefühl hat, irgendwas zu verpassen“, erklärte Busse. Das ist ihm geglückt.
Sofort nach der Ansprache strömte ein Großteil der Menschen ins Zuschauerhaus, wo Stijn Celis bei einer offenen Probe Einblicke in sein neues Ballett „Dornröschen“offerierte. Nur wenige trauten sich leider, sich der kleinen verkleideten Gruppe von Schauspielern anzuschließen, die Papierhüte verteilte und aufforderte, „einen Gang, der gemacht werden muss“, mitzugehen – quer durch die Marktgassen zum zweiten Spielort, der Alten Feuerwache. Dieser „Walking Act“, der das Spielzeitmotto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“mit einem leidenschaftlichem Redetext der Publizistin Carolin Emcke verknüpfte, war eine der originellen, unkonventionellen Darbietungen, mit denen gerade das Schauspiel unter der neuen Leitung von Bettina Bruinier und Horst Busch überraschte.
Auf Einführungs- und Überblicks-Vorträge zum Spielplan hatten sie verzichtet und stattdessen den 18 Mitgliedern des Schaupiels jeweils „Eine Minute Freiheit“auf der großen Bühne geschenkt, um Irgendetwas zu machen. Das Ergebnis war eines der Highlights des Nachmittags. Schauspielerin Juliane Lang kam im rosa Kaninchenkostüm, um einen „rosa Block“zu gründen, weil sich der „schwarze Block“ja jetzt erledigt habe. Ein anderer flog im „Gespenst der Freiheit“-Kostüm herum, Sébastien Jacobi forderte, ebenfalls fliegend: „Saarbrücken, wir müssen über den öffentlichen Raum reden“. Thorsten Loeb mampfte die beiden Eier, die das Wort Freiheit enthält. Verena Bukal, ebenfalls neu im Ensemble, deklinierte in einem selbst verfassten, wortspielerischen Gedicht zusammen mit Gregor Trakis Freiheitsbegriffe durch. Kurz und gut: Insgesamt herrschte lustvoll anarchische Ausgelassenheit.
Diese Solo-Kabinettstückchen, die laut Chefdramaturg Horst Busch vorher niemand geprüft hatte, zeigen, dass die neue Truppe nicht nur in der Experimentier-Spielstätte Sparte 4 bereit zu sein scheint, auch Risiken einzugen. „Und das ist auch gut so“– auch so ein Spruch, den Intendant Busse an diesem Tag benutzte. Theater muss schließlich etwas wagen. Auch wenn es nicht immer gut geht. So wie die szenische Lesung „Bier für Frauen“nach einem Text von Felicia Zeller. Vier Schauspielerinnen, zwei alte und zwei neue Ensemblemitglieder, gaben sich dabei mit vermeintlich sehr hohem Alkoholpegel der Realität abgelauschten Trink- und Sauf-Gesprächen hin. Vielleicht war es dafür um halb vier Uhr am Nachmittag aber auch einfach noch zu früh.
„Mein Ehrgeiz ist, dass man ein breites Programm aufstellt und dass man ständig das Gefühl hat, irgendwas
zu verpassen“