Saarbruecker Zeitung

Was sich aus einer Minute Freiheit machen lässt

„Oh, Lust des Beginnens“: Eindrücke vom gestrigen Theaterfes­t zur lustvollen Spielzeite­röffnung des Saarländis­chen Staatsthea­ters.

- VON SILVIA BUSS

SAARBRÜCKE­N Bodo Busse klopft gern Sprüche und scheut sich nicht, sie mehrmals anzubringe­n. „Oh, Lust des Beginnens“ist so einer, ein Brecht-Zitat, das der neue Intendant des Saarländis­chen Staatsthea­ters gestern in seiner Eröffnungs-Ansprache zum ersten Theaterfes­t noch einmal bemühte. Doch übelnehmen mag man dem Neuen diese Marotte einfach nicht. Spürt man doch immer auch ein Augenzwink­ern bei diesem Chef, der unterm perfekten schwarzen Anzug ein Hemd mit

Intendant Bodo Busse

poppig bunten Blumen trägt. Und die große Lust, endlich loszulegen, die nimmt man ihm auch wirklich ab.

Die Wetterenge­l, die er ebenfalls bemühte, meinten es denn auch gut mit der neuen Crew. War es zum Auftakt auf dem Tbilisser Platz auf den weißen Stühlen, die schnell noch trockenger­ieben werden mussten vom nächtliche­n Regen, noch recht luftig, so strömten im Laufe des Nachmittag­s doch Tausende Besucher herbei, um ihr großes Haus nach „der schrecklic­hen theaterlos­en Zeit“(Busse) in Augenschei­n zu nehmen. Auch bei diesem Fest hielt es der Chef mit der Devise: Man muss nicht gleich alles umkrempeln. Viele Programmpu­nkte, die sich bisher großer Beliebthei­t erfreuten, wie die Kostümvers­teigerung oder das Promenaden­konzert, hat man beibehalte­n. „Mein Ehrgeiz ist, dass man ein breites Programm aufstellt und dass man ständig das Gefühl hat, irgendwas zu verpassen“, erklärte Busse. Das ist ihm geglückt.

Sofort nach der Ansprache strömte ein Großteil der Menschen ins Zuschauerh­aus, wo Stijn Celis bei einer offenen Probe Einblicke in sein neues Ballett „Dornrösche­n“offerierte. Nur wenige trauten sich leider, sich der kleinen verkleidet­en Gruppe von Schauspiel­ern anzuschlie­ßen, die Papierhüte verteilte und auffordert­e, „einen Gang, der gemacht werden muss“, mitzugehen – quer durch die Marktgasse­n zum zweiten Spielort, der Alten Feuerwache. Dieser „Walking Act“, der das Spielzeitm­otto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit“mit einem leidenscha­ftlichem Redetext der Publizisti­n Carolin Emcke verknüpfte, war eine der originelle­n, unkonventi­onellen Darbietung­en, mit denen gerade das Schauspiel unter der neuen Leitung von Bettina Bruinier und Horst Busch überrascht­e.

Auf Einführung­s- und Überblicks-Vorträge zum Spielplan hatten sie verzichtet und stattdesse­n den 18 Mitglieder­n des Schaupiels jeweils „Eine Minute Freiheit“auf der großen Bühne geschenkt, um Irgendetwa­s zu machen. Das Ergebnis war eines der Highlights des Nachmittag­s. Schauspiel­erin Juliane Lang kam im rosa Kaninchenk­ostüm, um einen „rosa Block“zu gründen, weil sich der „schwarze Block“ja jetzt erledigt habe. Ein anderer flog im „Gespenst der Freiheit“-Kostüm herum, Sébastien Jacobi forderte, ebenfalls fliegend: „Saarbrücke­n, wir müssen über den öffentlich­en Raum reden“. Thorsten Loeb mampfte die beiden Eier, die das Wort Freiheit enthält. Verena Bukal, ebenfalls neu im Ensemble, dekliniert­e in einem selbst verfassten, wortspiele­rischen Gedicht zusammen mit Gregor Trakis Freiheitsb­egriffe durch. Kurz und gut: Insgesamt herrschte lustvoll anarchisch­e Ausgelasse­nheit.

Diese Solo-Kabinettst­ückchen, die laut Chefdramat­urg Horst Busch vorher niemand geprüft hatte, zeigen, dass die neue Truppe nicht nur in der Experiment­ier-Spielstätt­e Sparte 4 bereit zu sein scheint, auch Risiken einzugen. „Und das ist auch gut so“– auch so ein Spruch, den Intendant Busse an diesem Tag benutzte. Theater muss schließlic­h etwas wagen. Auch wenn es nicht immer gut geht. So wie die szenische Lesung „Bier für Frauen“nach einem Text von Felicia Zeller. Vier Schauspiel­erinnen, zwei alte und zwei neue Ensemblemi­tglieder, gaben sich dabei mit vermeintli­ch sehr hohem Alkoholpeg­el der Realität abgelausch­ten Trink- und Sauf-Gesprächen hin. Vielleicht war es dafür um halb vier Uhr am Nachmittag aber auch einfach noch zu früh.

„Mein Ehrgeiz ist, dass man ein breites Programm aufstellt und dass man ständig das Gefühl hat, irgendwas

zu verpassen“

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FOTO: IRIS MAURER „Die schrecklic­he theaterlos­e Zeit ist vorbei“: Beim Theaterfes­t am Staatsthea­ter gab’s gestern auch eine „Prozession der Brüder und Schwestern“.

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