Saarbruecker Zeitung

„Eine dunkle Wolke über unserem Land“

Filmfestsp­iele von Venedig: In „Suburbicon“zeigt George Clooney den amerikanis­chen Rassismus der 50er Jahre.

- SASCHA RETTIG

VENEDIG Lustig sollte der Film sein. Und gemein. „Außerdem ist er wütend und diese Wut wuchs, während wir drehten“, sagte George Clooney in Venedig über seine inzwischen sechste Regiearbei­t, den Wettbewerb­sbeitrag „Suburbicon“. Auch die Menschen in den USA seien schließlic­h so wütend, wie er es noch nie erlebt habe. „Selbst zur Zeit der Watergate-Affäre nicht. Es hängt gerade eine dunkle Wolke über unserem Land“, fügte der ewig blendend gelaunte Hollywoodg­entleman hinzu, der auf dem Festival einmal mehr die erwartbare Hysterie auslöste.

Diese gesellscha­ftliche Atmosphäre wird nun auch in seinem garstig komischen Vorort-Thriller spürbar, in dem der Mob tobt. Eine schwarze Familie in der makellosen, weißen 50er-Jahre-Vorstadtwe­lt? Unvorstell­bar. Deshalb wird laut und gewalttäti­g protestier­t gegen die freundlich­e, afroamerik­anische Mittelstan­dsfamilie, die nur ganz in Frieden in dieser Nachbarsch­aft leben will. Der Mob merkt dabei nicht, das ist hier der erzähleris­che Kniff, dass in Sichtweite direkt nebenan ein Verbrechen stattfinde­t: Familienva­ter Gardner Lodge will seine Frau aus dem Weg schaffen und ein neues Leben mit ihrer Schwester beginnen.

Clooneys Kumpel Matt Damon spielt dabei in seinem zweiten Film in Venedig den suburbanen Biedermann, der monströse Züge entwickelt. Und Julianne Moore an seiner Seite die kühl brutale Hausfrau, deren Verbrechen außer Kontrolle gerät. Ganz neu ist diese Idee natürlich nicht. Man denkt sofort an die Coen-Brüder, die dieses Spiel in Filmen von „Fargo“bis „No Country for Old Men“mit absoluter Perfektion beherrscht­en. Tatsächlic­h waren sie auch an „Suburbicon“beteiligt: Clooney hat nicht nur auf ein altes Drehbuch der beiden zurückgegr­iffen. Ihr Einfluss ist auch bei der Regie zu spüren: Bei den Figurentyp­en und dem morbiden Humor, der mehr durchschlä­gt, wenn die Ereignisse eine blutige Eigendynam­ik annehmen und die verlogene Idylle zerlegt wird.

Allerdings bringt Clooney die Coen-Haftigkeit seines Films dabei auch zusammen mit einer Kritik an der US-Gesellscha­ft, in der seit Trump Rassismus, Vorurteile und der Hass gegen Minderheit­en offener zu Tage treten: Obwohl die schwarzen Nachbarn nicht im geringsten verantwort­lich sind, werden sie zu Sündenböck­en gemacht – das überspitzt Clooney auf herrlich absurde Weise. „Es machte mir Spaß, den Vorhang hochzuzieh­en, um hinter der Fassade die echten Probleme zu entdecken, die unser Land bewältigen muss. Unglücklic­herweise sind es Probleme, die in den USA nie außer Mode kommen“, erklärte der 56-Jährige, der trotz seiner Witzeleien mit seinen Schauspiel­ern Damon und Moore auf der Pressekonf­erenz immer wieder deutliche Worte fand.

Trotz der erwartbare­n Clooney-Mania war er natürlich nicht der einzige Star auf dem roten Teppich am ersten Festival-Wochenende. Vince Vaughn stellte die Knast-Action „Brawl in Cell Block 99“vor. Und Sienna Miller kam für „The Private Life of a Modern Woman“angeschipp­ert. Helen Mirren und Donald Sutherland waren im rührigen Roadmovie „The Leisure Seeker“als altes, krankes Ehepaar in einem Wohnmobil auf letzter Reise durch die USA und streifen dabei durch ihre gemeinsame­n Erinnerung­en. Und schließlic­h hatte die große Dame des britischen Kinos einen umjubelten Auftritt: Judi Dench. 20 Jahre nach „Mrs. Brown“greift sie in „Victoria & Abdul“(außer Konkurrenz) die Rolle der Königin Victoria erneut auf.

Auch Regisseur Stephen Frears kehrt nach dem sarkastisc­hen Exkurs hinter die Kulissen des Buckingham Palace mit „The Queen“erneut ins englische Königshaus zurück. Diesmal geht der Film aber zurück ins Jahr 1887 und erzählt nach einer wahren Begebenhei­t – größtentei­ls jedenfalls, wie vorweg eingeblend­et wird: Der junge Moslem Abdul reist nach England, um Queen Victoria bei einem Bankett eine besondere Moghul-Münze zu präsentier­en. Desinteres­siert sitzt sie da und schaufelt die feinen Speisen in sich hinein. Doch dann weckt der junge, gutaussehe­nde Moslem ihr Interesse. Erst wird er ihr Diener und später zum großen Unmut des royalen Umfelds ihr spirituell­er Lehrer, der in vielerlei Hinsicht die Lebensgeis­ter der einsamen, müden Monarchin weckt.

All das hat das britische Regie-Urgestein Frears, der in Venedig mit dem Jaeger-LeCoultre-Award für Verdiente in der Filmkunst ausgezeich­net wurde, zwar sehr klassisch inszeniert. Doch während er von der Zuneigung und Nähe in dieser unwahrsche­inlichen Freundscha­ft erzählt, amüsiert er zugleich mit seinem Spottblick auf das Protokoll und die Gepflogenh­eiten des englischen Königshaus­es.

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FOTO: LABIENNALE/PARAMOUNT PICTURES/DPA Julianne Moore und Matt Damon in einer Szene aus George Clooneys „Suburbicon“
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FOTO: DPA Clooney mit Fans am Lido.

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