Auf Nazi-Eklat folgt Wutrede des Weltmeisters
Bundestrainer Joachim Löw reagiert scharf auf die Vorfälle beim Länderspiel in Prag. Zu Hause gegen Norwegen winkt das WM-Ticket.
STUTTGART (sid) Joachim Löw kam grimmig und sehr entschlossen in den holzgetäfelten Saal im achten Stock des Mercedes-Benz-Museums. „Ich bin voller Wut!“, sagte der deutsche Bundestrainer sofort mit scharfer Stimme. Der Nazi-Eklat von Prag hatte ihm ganz gehörig die Laune verhagelt – Löw hielt eine Brandrede. „Ich bin sehr, sehr angefressen, dass einige sogenannte Fans die Bühne des Fußballs benutzen, um mit ihrem oberpeinlichen Auftreten viel Schande über unser Land zu bringen“, sagte er. Alle Fragen zum WM-Qualifikationsspiel heute Abend (20.45 Uhr/RTL) gegen Norwegen und zum möglichen WM-Ticket schob Löw in Stuttgart ganz nach hinten.
Etwa 200 deutsche „Chaoten“, wie Löw sie nannte, hatten am Freitagabend während des Quali-Spiels gegen Tschechien (2:1) gepöbelt, sie störten beide Nationalhymnen und eine Schweigeminute mit Schmähungen. Es gab vereinzelte „Sieg Heil“-Rufe. „Ein unsägliches Verhalten“, schimpfte Löw: „Wir sind nicht deren Nationalmannschaft, das ist unterste Schublade und zutiefst verachtenswert!“
Löw hielt dem die Werte der Weltmeister entgegen: „Ein respektvolles, tolerantes, weltoffenes Deutschland. Das sind Leute, die unser Land beschädigen.“Er sei auf der Seite jener, „die absolut harte Sanktionen fordern und dafür einstehen“.
Der Vize-Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Rainer Koch, nannte den Nazi-Block, der nicht über den Verband, sondern den Gastgeber Tickets bezogen hatte, den „Bodensatz der Gesellschaft“. In Prager Bars sei faschistische Musik gespielt worden – unter der Androhung, andernfalls „die Kneipen kurz und klein zu schlagen“, berichtete er in einem Fernseh-Talk.
Die Mannschaft hatte sich bereits am Freitag eindeutig positioniert. Sprachrohr war Mats Hummels, der die Vorfälle „eine Katastrophe“nannte. „Dass die Mannschaft nicht in die Kurve gegangen ist, war das absolut richtige Zeichen“, lobte Löw.
Trotz allem: Mit einem Sieg gegen die abgeschlagenen Norweger können die Deutschen, die nach sieben Spielen eine makellose Bilanz haben, vorzeitig das Ticket zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland lösen. Voraussetzung dafür ist ein Patzer des Verfolgers Nordirland gegen Tschechien.
„Mich interessiert Norwegen bei allem Respekt nur bedingt“, sagte Löw. Ihm sei „relativ wurscht, wer auf welcher Position ist, aber die Positionen müssen besetzt sein!“Dies war beim mühsamen 2:1 in Prag durch ein spätes Hummels-Tor (88. Minute) ein Problem gewesen.
Der Bundestrainer hatte wie zuvor schon Manager Oliver Bierhoff noch eine andere Sorge: Timo Werner. Der Leipziger, der seit einer Schwalbe im November in allen Stadien beleidigt wird, kehrt nach Stuttgart zurück. Dort ist er seit seinem Abschied vom VfB nach dem Abstieg 2016 gelinde gesagt nicht wohlgelitten. Die Schmähungen gegen Werner, die sich auch in Tschechien wiederholten, nannte Löw ebenfalls „oberpeinlich“. „Das ist weder fair noch lustig“, betonte er und appellierte wie DFB-Präsident Reinhard Grindel an alle Fans, jeden Spieler zu unterstützen. „Timo ist nach dem Abstieg gegangen“, sagte Löw: „Das mag VfB-Fans nicht gefallen, ist aber völlig legitim.“Grindel fasste zusammen: „Wir werden niemals faschistische, rassistische, beleidigende oder homophobe Schlachtrufe dulden.“Die „Scheiß DFB“-Rufe, die es erstmals auch bei einem Länderspiel gab, waren da noch das geringste Problem.
Löw hat sich auch um das Sportliche zu kümmern. Mit dem WM-Ticket vor Augen wird er „auf jeden Fall zwei, drei Veränderungen“vornehmen. Julian Draxler werde spielen, auch Sami Khedira, falls dieser nach seiner Kniereizung rechtzeitig fit wird. „Ich hoffe, dass ich die Möglichkeit bekomme, mich an alter Wirkungsstätte zu beweisen“, sagte der ehemalige Stuttgarter, der 1200 Eintrittskarten für benachteiligte Kinder gekauft hat. Im Tor steht wieder Marc-André ter Stegen, der in Tschechien tadellos hielt.