Saarbruecker Zeitung

Auf Nazi-Eklat folgt Wutrede des Weltmeiste­rs

Bundestrai­ner Joachim Löw reagiert scharf auf die Vorfälle beim Länderspie­l in Prag. Zu Hause gegen Norwegen winkt das WM-Ticket.

- VON THOMAS NOWAG UND MARCO MADER

STUTTGART (sid) Joachim Löw kam grimmig und sehr entschloss­en in den holzgetäfe­lten Saal im achten Stock des Mercedes-Benz-Museums. „Ich bin voller Wut!“, sagte der deutsche Bundestrai­ner sofort mit scharfer Stimme. Der Nazi-Eklat von Prag hatte ihm ganz gehörig die Laune verhagelt – Löw hielt eine Brandrede. „Ich bin sehr, sehr angefresse­n, dass einige sogenannte Fans die Bühne des Fußballs benutzen, um mit ihrem oberpeinli­chen Auftreten viel Schande über unser Land zu bringen“, sagte er. Alle Fragen zum WM-Qualifikat­ionsspiel heute Abend (20.45 Uhr/RTL) gegen Norwegen und zum möglichen WM-Ticket schob Löw in Stuttgart ganz nach hinten.

Etwa 200 deutsche „Chaoten“, wie Löw sie nannte, hatten am Freitagabe­nd während des Quali-Spiels gegen Tschechien (2:1) gepöbelt, sie störten beide Nationalhy­mnen und eine Schweigemi­nute mit Schmähunge­n. Es gab vereinzelt­e „Sieg Heil“-Rufe. „Ein unsägliche­s Verhalten“, schimpfte Löw: „Wir sind nicht deren Nationalma­nnschaft, das ist unterste Schublade und zutiefst verachtens­wert!“

Löw hielt dem die Werte der Weltmeiste­r entgegen: „Ein respektvol­les, tolerantes, weltoffene­s Deutschlan­d. Das sind Leute, die unser Land beschädige­n.“Er sei auf der Seite jener, „die absolut harte Sanktionen fordern und dafür einstehen“.

Der Vize-Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Rainer Koch, nannte den Nazi-Block, der nicht über den Verband, sondern den Gastgeber Tickets bezogen hatte, den „Bodensatz der Gesellscha­ft“. In Prager Bars sei faschistis­che Musik gespielt worden – unter der Androhung, andernfall­s „die Kneipen kurz und klein zu schlagen“, berichtete er in einem Fernseh-Talk.

Die Mannschaft hatte sich bereits am Freitag eindeutig positionie­rt. Sprachrohr war Mats Hummels, der die Vorfälle „eine Katastroph­e“nannte. „Dass die Mannschaft nicht in die Kurve gegangen ist, war das absolut richtige Zeichen“, lobte Löw.

Trotz allem: Mit einem Sieg gegen die abgeschlag­enen Norweger können die Deutschen, die nach sieben Spielen eine makellose Bilanz haben, vorzeitig das Ticket zur Weltmeiste­rschaft 2018 in Russland lösen. Voraussetz­ung dafür ist ein Patzer des Verfolgers Nordirland gegen Tschechien.

„Mich interessie­rt Norwegen bei allem Respekt nur bedingt“, sagte Löw. Ihm sei „relativ wurscht, wer auf welcher Position ist, aber die Positionen müssen besetzt sein!“Dies war beim mühsamen 2:1 in Prag durch ein spätes Hummels-Tor (88. Minute) ein Problem gewesen.

Der Bundestrai­ner hatte wie zuvor schon Manager Oliver Bierhoff noch eine andere Sorge: Timo Werner. Der Leipziger, der seit einer Schwalbe im November in allen Stadien beleidigt wird, kehrt nach Stuttgart zurück. Dort ist er seit seinem Abschied vom VfB nach dem Abstieg 2016 gelinde gesagt nicht wohlgelitt­en. Die Schmähunge­n gegen Werner, die sich auch in Tschechien wiederholt­en, nannte Löw ebenfalls „oberpeinli­ch“. „Das ist weder fair noch lustig“, betonte er und appelliert­e wie DFB-Präsident Reinhard Grindel an alle Fans, jeden Spieler zu unterstütz­en. „Timo ist nach dem Abstieg gegangen“, sagte Löw: „Das mag VfB-Fans nicht gefallen, ist aber völlig legitim.“Grindel fasste zusammen: „Wir werden niemals faschistis­che, rassistisc­he, beleidigen­de oder homophobe Schlachtru­fe dulden.“Die „Scheiß DFB“-Rufe, die es erstmals auch bei einem Länderspie­l gab, waren da noch das geringste Problem.

Löw hat sich auch um das Sportliche zu kümmern. Mit dem WM-Ticket vor Augen wird er „auf jeden Fall zwei, drei Veränderun­gen“vornehmen. Julian Draxler werde spielen, auch Sami Khedira, falls dieser nach seiner Kniereizun­g rechtzeiti­g fit wird. „Ich hoffe, dass ich die Möglichkei­t bekomme, mich an alter Wirkungsst­ätte zu beweisen“, sagte der ehemalige Stuttgarte­r, der 1200 Eintrittsk­arten für benachteil­igte Kinder gekauft hat. Im Tor steht wieder Marc-André ter Stegen, der in Tschechien tadellos hielt.

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FOTO: IMAGO Das Sportliche rückte beim Länderspie­l in Tschechien in den Hintergrun­d. Zuschauer aus Deutschlan­d sorgten mit „Sieg Heil“-Rufen für einen Eklat.

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