Frankfurt im Ausnahmezustand
Es war die größte Bombenentschärfung in der Geschichte: Tausende Anwohner mussten gestern ihre Wohnungen verlassen.
FRANKFURT/MAIN/KOBLENZ (dpa) Das Wort „LE-E-R“und das Bild einer Bombe hängen in den Fenstern eines Hauses in der Frankfurter Glauburgstraße. Das Gebäude liegt in der 1,5 Kilometer großen Sperrzone um den Fundort der gefährlichen Luftmine, die am Sonntag entschärft wurde. Mehr als 60 000 Menschen mussten zwischen 6 und 8 Uhr ihre Wohnungen mitten in der Stadt verlassen – viele sind schon am Samstag weggefahren – andere gehen erst auf den letzten Drücker aus dem Haus. Und einige wenige verursachen eine stundenlange Verzögerung – weil sie ihre Wohnungen nicht räumen wollen.
Zeit, die die Kampfmittelbeseitiger später am Tag gut hätten gebrauchen können, um mit ihrer gefährlichen Arbeit im Plan zu bleiben. Denn am späten Nachmittag zeigt sich: Die Entschärfung der englischen Luftmine ist komplizierter als angenommen. Die drei Zünder lassen sich wie geplant entfernen, aber von zweien können die Sprengladungen beim Ausbau nicht auf Anhieb gelöst werden. Die Kapseln müssen gesondert ausgebaut werden. Erst kurz vor 19 Uhr können die Experten Entwarnung geben: Bombe entschärft.
Feuerwehr-Chef Reinhard Ries rechnete am frühen Abend damit, dass die Mehrzahl der Menschen erst um Mitternacht zu Hause sein werde. „Durch diese Querulanten haben wir gut zwei Stunden verloren“, sagte er verärgert. Kurz vor 19 Uhr bestätigt die Polizei, dass der Sprengkörper unschädlich ist. Eine Geduldsprobe für alle Anwohner, die am frühen Morgen das Sperrgebiet wie vorgesehen hinter sich gelassen haben. Ob die Zone wirklich menschenleer ist, kontrollieren am Morgen und Vormittag mehrere Tausend Polizisten. „Ich hab‘ verpennt“, sagt ein Mann, der nach 9 Uhr umherhastet.
Auch wenn es ein Sonntagmorgen ist, auf den Straßen der Bankenstadt bietet sich ein ungewohntes Bild. „Das ist eine Totenstille am Morgen, nicht mal ein Auto ist zu hören, und auch keine Radfahrer, die einen nerven, sind unterwegs“, sagt Claudia Schmitt. Die 61-Jährige ist auf dem Weg zu der Unterkunft in der Messe.
Schon am Mittag gerät der Zeitplan ins Wanken. Einige Anwohner hatten tatsächlich bis zum Sonntagmorgen nichts von der Räumung mitbekommen, etwa wegen Sprachproblemen. Es gibt aber auch Uneinsichtige, die sich fast bis zuletzt weigern, das Sperrgebiet zu verlassen. In einem Fall nimmt die Polizei einen Anwohner in Gewahrsam – auch die Geduld der Beamten ist endlich.
Andere Menschen, die das Sperrgebiet nicht ohne Hilfe verlassen können, melden erst am Vormittag Bedarf für einen Transport an und bringen damit die Helfer in die Bredouille. So muss wieder ein Team in die Evakuierungszone fahren, was Zeit kostet. Gegen Mittag, als die Evakuierung eigentlich schon abgeschlossen sein sollte, fallen den Rettungskräften dann auf einmal Menschen auf, die „fröhlich am Fenster winken“, wie es Polizeichef Reinhard Ries formuliert. Oder diejenigen, die es dann doch noch mit der Angst bekommen. „Die hatten sich mehr oder weniger versteckt gehalten“, berichtet der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill.
Aufatmen gab es am Samstag auch in Koblenz: Dort hatten Experten des Kampfmittelräumdiensts Rheinland-Pfalz eine 500-Kilogramm-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Zuvor mussten 21 000 Menschen ein Kreisgebiet mit einem Radius von einem Kilometer verlassen.