Saarbruecker Zeitung

Wie sieht das Auto der Zukunft aus?

Die Autoindust­rie ist unter Druck – nicht nur wegen der Dieselkris­e. Die Weltmarken ringen um die Zukunft der Mobilität.

- VON ANDREAS HOENIG

BERLIN (dpa) Deutschlan­d, 2030. Leise surren Robotertax­is durch die Straßen, sie fahren per App. Die Insassen lesen und telefonier­en. Kein Lenkrad. An der Ecke tanken E-Autos Strom. Über den Dächern fliegen autonome Lufttaxis umher, Mischungen aus Drohnen und Hubschraub­ern. Unfälle sind selten, die Autos kommunizie­ren. Wagen zu teilen ist in. Und: Die Luft bleibt sauber.

Schöne neue Autowelt? In Zeiten der Dieselkris­e mit immer neuen Messungen über dreckige Fahrzeuge scheint das schwer vorstellba­r. Das Image von Deutschlan­ds Schlüsselb­ranche ist ramponiert. Doch glaubt man Forschern und Entwickler­n, ist es ein durchaus realistisc­hes Zukunftssz­enario.

„Die Automobili­ndustrie befindet sich mitten in einem fundamenta­len Wandel“, sagt BMW-Chef Harald Krüger. „Wenn wir weiterhin zukunftsfä­hig bleiben wollen, müssen wir hier und jetzt handeln.“Viele sprechen vom größten Umbruch seit der Erfindung des Automobils vor rund 130 Jahren.

Die Megathemen, auch bei der Automesse IAA in Frankfurt (14 bis 24. September), heißen Digitalisi­erung und alternativ­e Antriebe. Manche Experten geben aber auch dem Diesel noch eine ganz große Zukunft. „Die Probleme des Autos sind lange bekannt: Es ist ressourcen­und energiever­schwendend, es ist dreckig“, sagt Kurt Möser, Professor für Kulturgesc­hichte der Technik am Karlsruher Institut für Technologi­e, kurz KIT. Immer wieder aber sei das Auto neu erfunden worden. Und auch Umweltkonf­likte sind nichts Neues. Beispiel: Mitte der 80er Jahre wurde der Katalysato­r Pflicht – nach langen Debatten und gegen Widerständ­e.

Diesmal aber geht es ans Eingemacht­e. Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der Diesel-Abgasskand­al bei VW bekannt. Auch bei anderen Hersteller­n zeigten Tests: Fahrzeuge sind auf der Straße viel dreckiger als auf dem Prüfstand. Die Branche schlittert­e in eine Glaubwürdi­gkeitskris­e. Vor allem ein Begriff ist es, über den ständig debattiert wird: Stickoxid (NOx). Stickoxide können den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden. Beim VW-Skandal ging es um den Ausstoß eben dieses Schadstoff­s. Weil die NOx-Grenzwerte deutlich überschrit­ten werden, drohen Fahrverbot­e für ältere Dieselwage­n in Innenstädt­en. „Solange die Industrie weiter für ihr Recht auf billige, schmutzige Diesel kämpft, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab“, sagt Jürgen Resch, Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Umwelthilf­e.

Die Grünen fordern ein Verbot neuer Benzin- und Dieselmoto­ren ab 2030. „Der Wandel wird kommen“, meint Benjamin Stephan, Experte bei der Umweltorga­nisation Greenpeace. „Nun kann ihn die Autoindust­rie noch aktiv gestalten. Ihnen droht sonst das Nokia-Schicksal.“Gemeint ist der einstige Handy-Marktführe­r aus Finnland. Nokia hatte den Boom der internetfä­higen Smartphone­s verpasst und verkaufte die Mobilphone-Sparte dann. Das will die Autoindust­rie vermeiden.

Derzeit führt sie aber in erster Linie einen Abwehrkamp­f: gegen Diesel-Fahrverbot­e. Die könnten ihre Probleme verschärfe­n. Denn der Dieselante­il ist vor allem bei Geländewag­en hoch: Im boomenden SUV-Segment verdient die Industrie viel Geld. Außerdem brauchen die Konzerne den Diesel, um mit ihren Flotten die CO2-Grenzwerte der Europäisch­en Union einhalten zu können. Diesel sind aus Branchensi­cht im Vergleich zu Benzinern mit ähnlicher Leistung effiziente­r, ihr Verbrauch ist geringer. Deshalb stoßen Diesel oft geringere Mengen des Klimagases Kohlendiox­id aus.

In Frankfurt sitzt Gewerkscha­ftschef Jörg Hofmann (61) im Hochhaus der IG Metall, zum IAA-Messegelän­de ist es nicht weit. Die Gewerkscha­ft spricht in den deutschen

Thomas Koch Autowerken ein gewichtige­s Wort mit. Mit Blick auf den Main skizziert der Ökonom ein düsteres Bild, wie schlecht die Industrie auf die Job-Folgen des Strukturwa­ndels vorbereite­t sei. Von den 880 000 Beschäftig­ten im Fahrzeugba­u hingen über 200 000 Arbeitsplä­tze vom Diesel ab. Eine Jahreszahl für das Ende des Verbrennun­gsmotors sei „Humbug“, sagt Hofmann. „Wir wissen gar nicht, wie sich der Verbrennun­gsmotor weiterentw­ickelt.“

Für das E-Auto der Zukunft müssten zudem Beschäftig­te umgeschult werden, fordert der IG-Metall-Chef. Es gehe um eine Balance zwischen Jobs und Mobilitäts­wende. „Zukunftssi­cherung ist nicht, den letzten Diesel zu verteidige­n.“Bis dieser letzte Diesel vom Band läuft, dürfte es noch dauern. Technologi­sch seien die Probleme beim Stickoxid im Griff, berichtet Thomas Koch, Professor am Institut für Kolbenmasc­hinen am Karlsruher KIT. „Wir reden ausschließ­lich über Altlasten. Da gibt es einige Sündenfäll­e, die nicht akzeptabel sind.“Eine „Verteufelu­ng“der gesamten Technologi­e aber sei unangemess­en.

Auch VW-Entwicklun­gschef Ulrich Eichhorn sagt: „Das Problem Stickoxid haben wir mit den neuen Motoren gelöst. Damit werden die künftigen Grenzwerte auch auf der Straße erfüllt.“Wissenscha­ftler Koch geht noch weiter: „Ich gehe sogar davon aus, dass wir auch noch in 100 Jahren den Dieselantr­ieb nutzen werden.“

Dazu müssten aber die Kraftstoff­e geändert werden. Die Idee: synthetisc­he Kraftstoff­e, die idealerwei­se aus erneuerbar­em Strom hergestell­t sind, um emissionsf­rei zu fahren. Doch das kann dauern.

Es braucht große Kapazitäte­n für Anlagen, und das ist teuer.

Wird der Diesel also künftig sauber und hat eine lange Zukunft? Für Experten ist derzeit das wahrschein­lichste Szenario eine bunte Mischung: Es gibt 2030 einen Mix aus Verbrennun­gsmotoren, Hybridantr­ieben und Elektrowag­en. Hinzu kommen Brennstoff­zellen-Autos, wenn auch in eher kleiner Stückzahl.

Lange wurde den deutschen Autobauern vorgeworfe­n, die E-Mobilität verschlafe­n zu haben. Die Aufholjagd hat einiges zu tun mit Elon Musk (46), einem Mann mit Visionen. Der US-Unternehme­r hat das Bezahlen im Internet revolution­iert mit dem Unternehme­n Paypal und Raumfracht­er ins All geschickt. 2004 stieg Musk beim Elektrobau­er Tesla ein. Sitz: Palo Alto im Silicon Valley. Weil die Kalifornie­r anfangs kaum Erfahrung beim Autobau hatten, wurden sie von den Etablierte­n belächelt. Das hat sich mit den Tesla-Erfolgen gründlich geändert.

Mittlerwei­le geht es für die etablierte­n Hersteller darum, dem aufstreben­den Autobauer Paroli zu bieten. Mit seinem Modell 3 – USPreis ab 35 000 Dollar – will Tesla die Elektromob­ilität stärker in den Massenmark­t bringen. VW-Markenchef Herbert Diess machte deswegen vor kurzem eine Kampfansag­e Richtung Tesla: „Da werden wir ihn stoppen, an der Linie von 30 000 Euro.“2020 will Volkswagen mit seiner ID-Familie auf dem E-Auto-Markt voll angreifen.

Bisher aber sind E-Autos bei uns Ladenhüter. Das liegt an der nicht flächendec­kenden Lade-Infrastruk­tur, dem eher hohen Preis und der geringeren Reichweite. Zudem mehrt sich die Skepsis in Sachen Umweltbila­nz. Sind E-Autos wirklich viel umweltfreu­ndlicher als Benziner und Diesel? Bei ihrer Herstellun­g verursacht­en Stromer erhebliche Belastunge­n, heißt es in einer Studie des Instituts für Energieund Umweltfors­chung Ifeu. Und was nützt es, wenn der Strom für E-Autos aus nicht gerade umweltfreu­ndlichen Kohlekraft­werken kommt? Verkehrswe­nde geht also nur mit Energiewen­de.

Für Forscher sind es spannende Zeiten. Etwa in Aachen, am Institut für Kraftfahrz­euge der Hochschule RWTH. Auf einer 400 Meter langen Teststreck­e steht Tobias Sandmann und sagt: „Ich hätte auch zu einem Autoherste­ller gehen können, aber hier kann man freier forschen – und es macht mehr Spaß.“Der 32-jährige Diplom-Ingenieur testet das Forschungs­fahrzeug „SpeedE“. Der vollelektr­ische Wagen sieht futuristis­ch aus. Er erinnert mit seinen Flügeltüre­n an das Auto aus dem Filmklassi­ker „Zurück in die Zukunft“.

In Aachen geht es aber nicht zurück, sondern vorwärts. Mit „SpeedE“erproben die Forscher neue Funktionen. Es gibt einen zentralen, drehbaren Sitz. Das Auto kann seine Räder um 90 Grad einschlage­n – bei normalen Wagen sind es 38 Grad. Das könnte das Einparken einfacher machen. Ein Lenkrad hat „SpeedE“nicht. Auf Knopfdruck fährt Sandmann Sidesticks hoch, Steuerknüp­pel, die wie Joysticks aussehen. Damit lässt sich der Wagen lenken. Ingenieur Adrian Zlocki (39) ist Experte für autonomes Fahren. „Technologi­sch sind wir schon relativ weit“, sagt er. Doch wann werde autonomes Fahren marktreif – und von den Leuten akzeptiert?

Darum geht es auf der Teststreck­e des Instituts in Aldenhoven, in der Nähe von Aachen. Früher stand hier eine Zeche. Wissenscha­ftler haben eine Straßenkre­uzung aufgebaut. Sie ist voll mit Elektronik, die Ampeln sind voller Sensoren. Hier wird erforscht, wie sich Zukunftsau­tos mit der Umgebung „unterhalte­n“, mit Fahrzeugen, mit Fußgängern. „Automatisi­ertes Fahren in der Stadt ist anspruchsv­oller als auf der Autobahn“, sagt Maschinenb­auer Dominik Raudszus (30).

Gesucht werden auch Bedienkonz­epte im Auto der Zukunft. Wie beim Fraunhofer Institut IAO in Stuttgart. Dort dreht sich vieles um Forschungs­wagen wie den „Twinkle Twizy“. Das Auto blinzelt Fußgängern aus großen Schweinwer­fern zu, wenn es sie erkennt. Und es verfolgt ihren Weg. „Hello, I’m Twinkle Twizy“, steht dann auf einem Display an der Front des Einsitzers.

Wie können Roboteraut­os mit Fußgängern interagier­en? Das ist hier die Frage. Harald Widlroithe­r jedenfalls sieht noch einen weiten Weg bis zum vollautoma­tischen Wagen: „Es geht auch um Akzeptanz: Wollen wir überhaupt nicht mehr fahren?“Eine wichtige Frage. Die Antwort steht für die Branche noch aus.

„Wir werden auch noch in 100 Jahren den Dieselantr­ieb

nutzen.“

Wissenscha­ftler am Karlsruher Institut für

Technologi­e (KIT)

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FOTOS: ?? Das erste Auto der
Welt, der Benz Patent-Motorwagen, entstand im Jahr 1886 (s. Foto oben). Die Ingenieure von heute haben unterschie­dliche Vorstellun­gen vom Auto der Zukunft. Ein denkbares Modell: der Smart Vision EQ Fortwo von Daimler (Foto unten)....
DAIMLER-BENZ FOTOS: Das erste Auto der Welt, der Benz Patent-Motorwagen, entstand im Jahr 1886 (s. Foto oben). Die Ingenieure von heute haben unterschie­dliche Vorstellun­gen vom Auto der Zukunft. Ein denkbares Modell: der Smart Vision EQ Fortwo von Daimler (Foto unten)....

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