Saarbruecker Zeitung

Eine letzte Zigarette vor der Hinrichtun­g

Noch bis Ende der 70er Jahre wurden in Frankreich Menschen zum Tode verurteilt. Der letzte Mann starb im September 1977 — unter der Guillotine.

- VON CHRISTIAN BÖHMER Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Iris Neu-Michalik

MARSEILLE (dpa) Hamida Djandoubi durfte sich etwa 20 Minuten lang hinsetzen, zwei Zigaretten rauchen und ein halbes Glas Rum trinken. Eine dritte Zigarette wurde dem Todeskandi­daten im Gefängnis Les Baumettes in der südfranzös­ischen Hafenstadt Marseille verweigert. Gegen 4.40 Uhr starb der verurteilt­e Mörder unter der Guillotine.

Nach der Hinrichtun­g Djandoubis am 10. September 1977 wurden im Mutterland der Guillotine keine Todesurtei­le mehr vollstreck­t. Der Köpf-Apparat war dort erstmals während der Französisc­hen Revolution aufgestell­t worden. Das Fallbeil riss damals laut Schätzunge­n fast 17 000 Menschen aus dem Leben, vielleicht auch mehr. Prominente­stes Opfer war König Ludwig XVI. im Jahr 1793.

Vier Jahre nach dem Tod von Djandoubi wurde die Todesstraf­e unter Präsident Mitterrand endgültig abgeschaff­t. Bei seiner Rede vor der Pariser Nationalve­rsammlung im September 1981 erinnerte der damalige Justizmini­ster Robert Badinter an Djandoubi, der lange vor der Hinrichtun­g bei einem Arbeitsunf­all sein rechtes Bein verloren hatte. Badinter sprach von grauenhaft­en Verbrechen, die der gebürtige Tunesier begangen hatte. Er hatte unter anderem die junge Elisabeth Bousquet zu Tode gefoltert, zwei weitere Frauen waren anwesend. Der Jurist Badinter betonte aber auch, dass Djandoubi „alle Anzeichen eines psychisch Gestörten“gezeigt habe. Vor der Exekution habe man ihm die Beinprothe­se abgenommen. Einer der Anwälte Djandoubis berichtete hingegen, sein Mandant sei mit Prothese aufs Schafott gestiegen.

Badinter gehört zu denen, die unablässig an das finstere Kapitel Todesstraf­e erinnern. Vor einigen Jahren übergab er der Tageszeitu­ng „Le Monde“Aufzeichnu­ngen der damaligen Marseiller Richterin Monique Mabelly, die bei der Vollstreck­ung des Todesurtei­ls anwesend war. Die Juristin berichtet, dass Djandoubi weder schrie noch protestier­te. Der – nach unterschie­dlichen Quellen – 27 oder 28 Jahre alte Mann sprach in seinen letzten Momenten mit seinen Anwälten – und mit einem Imam. Als er auf die Guillotine gelegt wurde, wendete sich die Richterin ab. „Ich höre ein dumpfes Geräusch“, schreibt sie. „Ich drehe mich um. Blut, viel Blut, sehr rotes Blut.“

Der 40. Jahrestag der letzten Hinrichtun­g ist in Frankreich kein großes Thema. Im Café an der Ecke spricht man jedoch immer mal wieder darüber, wo in der Hauptstadt während der Revolution mehr Verurteilt­e starben – an der Place de la Concorde oder an der heutigen Place de la Nation im Osten von Paris. Im Museum der Polizeiprä­fektur drängeln sich Einheimisc­he und Touristen vor einer Vitrine, in der ein „echtes Fallbeil“aus der Revolution mit einem Gewicht von fast neun Kilogramm ausgestell­t wird.

Der Gebrauch der Guillotine beschränkt­e sich nicht auf Frankreich. In der DDR war eine Hinrichtun­g als höchstes Strafmaß bis 1987 möglich. Von 1960 an gab es in Leipzig eine zentrale Hinrichtun­gsstelle, in der bis 1967 die Guillotine zum Einsatz kam. Später gaben Henker in der Regel einen Schuss in den Hinterkopf ab. Nach heutigen Erkenntnis­sen wurden in Leipzig unter strengster Geheimhalt­ung 64 Menschen getötet – letztmalig am 10. Juni 1981. Im Westen wurde 1949 mit dem Grundgeset­z die Todesstraf­e abgeschaff­t. Laut Amnesty Internatio­nal halten 57 Staaten bis heute an der Todesstraf­e fest. 104 Staaten haben sie vollständi­g abgeschaff­t. In 30 Staaten steht sie im Gesetz, wird jedoch nicht mehr angewendet. Im vergangene­n Jahr wurden in mehr als 20 Staaten Menschen hingericht­et. Insgesamt ergingen 3117 Todesurtei­le. Laut Amnesty ist China das Land mit den meisten Hinrichtun­gen.

führten seit 1990 die Todesstraf­e wieder ein: In der Türkei erwägt Staatspräs­ident Erdogan derzeit ebenfalls eine Wiedereinf­ührung.

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FOTO: AKG-IMAGES / IAM Zur Zeit der französisc­hen Revolution starben Verurteilt­e in Frankreich erstmals unter der Guillotine: 1794 wurde der Revolution­är Maximilien de Robespierr­e (s.Bild) hingericht­et.

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