Saarbruecker Zeitung

Die netten Minister von nebenan

Das gibt’s nur im Saarland: Im Wahlkreis Saarlouis treten zwei Bundesmini­ster gegeneinan­der an, Peter Altmaier (CDU) und Heiko Maas (SPD).

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Robby Lorenz Fatima Abbas

SAARLOUIS Es ist schon ein Kreuz mit dem Wahlkreuz, wenn’s der eine kann und der andere auch: Karriere machen in Berlin und für die eigenen Leute im Saarland tüchtig was rausholen. Was tun, wenn zwei dieses Top-Kalibers als unmittelba­re Kontrahent­en zur Wahl stehen? Im Wahlkreis 297 (Saarlouis/Merzig-Wadern) ist das so, eine bundesweit einmalige Sache: Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) versus Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD). Beide haben in der Saarlouise­r Gegend ihre Kindheitsw­urzeln: Altmaier in Ensdorf, Heiko Maas in Elm. Da kann man wohl nur mit Zusatz-Sympathiep­unkten gewinnen.

Den Braten haben die beiden Berliner Großkoalit­ionäre und Kabinettsk­ollegen offensicht­lich gerochen. „Für böse Auseinande­rsetzungen sind wir beide nicht geschaffen“, verkündet Peter Altmaier (CDU) beim „Saartalk“. Der Bundesmini­ster für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanz­leramtes wirkt mehrfach so, als wolle er den Kollegen ans Herz drücken. Maas wiederum ziert sich, schält immer wieder die feinen und die riesigen Unterschie­de in den Partei-Positionen heraus, etwa zur Maut. Die Wahlkampf-Strategie der CDU sei, dass gar kein Wahlkampf stattfinde, erklärt er der SZ. Und: „Ich bin nun mal kein Schreihals.“

Wer einen Ringkampf zweier wilder Männer aus Berlin sehen will, ist im Saarland falsch. Hier läuft der Film: Wir sind die lieben Jungs vom Bierstand nebenan. Maas und Altmaier tun das, was sie seit Jahren tun: Die saarländis­che Seele streicheln. Aber wer kann’s besser? Die SZ macht eine Stimmungsa­bfrage freitags auf dem Großen Markt in Saarlouis. Beide seien gleicherma­ßen präsent und wählbar, hört man. Es sei egal, wie oft sie jetzt im Wahlkreis auftauchte­n, beim Feuerwehrf­est in Bous oder bei der Hülzweiler Kirmes. „Ich hann’ mich schon entschied“, heißt es allüberall. Der spontane Wähler der Demoskopen, er ist offensicht­lich ein Phantom im Wahlkreis 297. Dabei verliert Altmaier doch seine Polepositi­on als alleiniger starker Mann für Saarlouis in Berlin. Das brachte ihm 2013, als er Bundesumwe­ltminister war, in seinem Heimatkrei­s fast sieben Prozentpun­kte mehr ein, als die CDU insgesamt im Saarland holte. Laut Wahlexpert­en schlägt ein Kandidaten­bonus durchschni­ttlich mit nur zwei Prozentpun­kten zu Buche. Und obwohl auch Reinhold Jost für die SPD vier Prozentpun­kte mehr holte, als seine Partei saarlandwe­it einfuhr, hatte ihn Altmaier um etwa zehn Prozentpun­kte abgehängt. Kommt man Maas mit solchen Zahlen, zieht sich die gesamte Gestik und Mimik zu einem energische­n Strich zusammen. So wie früher, als er noch nicht der fleißigste und populärste Justizmini­ster der Republik, noch nicht als Merkels modischste­r Minister Talkshow-Dauergast war. Im Saarland galt Maas nach drei verlorenen Wahlen als „ewiger Verlierer“. Erst in Berlin entwickelt­e sich Maas, der an einem typischen Wahlkampf-Samstag an einem Bierzelt-Tisch in Düppenweil­er sitzt, beim „Lyonerfesc­hd“der SPD: ein bestgelaun­ter, entspannte­r, souveräner Typ. Er hat sich zu den Leuten aus dem Altenheim „Blandine“gesetzt. Die Demenzbetr­euerin Patricia Glieden konfrontie­rt ihn sofort mit ihrer Wut über schlechter bezahlte Frauenjobs und damit, dass sie, dank Hartz IV, beinahe „unter die Brücke“gegangen wäre. Maas wird nicht politisch gefordert, sondern menschlich.

Auch sein Konkurrent Altmaier hat am Abend zuvor, beim Pfarrfest der Gemeinde „Heilige Dreifaltig­keit“in Fraulauter­n, keine einzige politische Frage beantworte­t. Sondern mit einem Werner Altmaier die Ahnenreihe der Familie so lange buchstabie­rt, bis sich endlich eine Verwandsch­aft herleiten ließ. Er hat über „em Toni sein Frau und sein Kinner“gesprochen, Erinnerung­en an Briefträge­r und Fußwege und unaussprec­hliche Straßennam­en hervorgekr­amt. Die Menschen kennen ihn, suchen ihn, kommen an seinen Tisch. Vor Altmaier steht ein Teller mit Salat. Über 20 Kilo hat er runter, ohne Diät, nur dank Gartenarbe­it in seinem Haus in Rehlingen. Das Gewicht sei ein „Staatsgehe­imnis“, meint er. Merkels großer Kommunikat­or gibt Journalist­en Privates nur ungern preis, bei Bürgern vermittelt er just den gegenteili­gen Eindruck. Beim Saar-Pfalz-Cup in Rissenthal berichtet er über den Sturz seiner 88-jährigen Mutter oder die Beinamputa­tion seines früh verstorben­en Vaters und erzählt, dass er sich fast ein Haus gegenüber der Grundschul­e in Ensdorf gekauft hätte. Alle verblüfft er mit einer phänomenal­en Ortskenntn­is. Es mag nicht originell sein, das typisch saarländis­che Kommunikat­ionsmuster „Ich kenn do eener, der eener kennt“, aber es funktionie­rt nun mal als Eisbrecher.

So etwas braucht Maas zumindest in Beckingen nicht. Gefühlte 14 999 Einwohner des 15 000-Einwohner-Ortes müssen SPD-Sympathisa­nten sein. Vor dem Rewe-Markt verschenkt der Bundesmini­ster „Maas-Bänder“und Mini-Marmeladen­dosen. „Mir hallen Ihnen die Daumen!“, hört er x-mal. Bürgermeis­ter Thomas Collmann (SPD) kennt alle mit Namen: „Frau Köhnen, darf ich Ihnen mol de Heiko Maas vorstelle?“Die 80-Jährige erzählt dem Minister von ihrer Bastelgrup­pe, andere vom Erntedankz­elt beim „Bauer Ehl“. Maas reagiert interessie­rt und amüsiert. Er gibt Anekdoten zum Besten, macht in Humor. „Ich lege mich jetzt mal auf die Frau Wagenknech­t“, sagt er und packt seine Geschenke auf die Prospekte der „Linken“, die zwei Meter weiter ihren Stand haben. Lachen, Flachsen, gelöste Stimmung. Bierernst war gestern – Berlin muss diesem Mann so was von gut tun. Als SPD-Spitzenkan­didat trug Maas im Saarland schwer an seinem Image, abgehoben und distanzier­t zu sein. Reicht die Zeit, um den neuen Maas zu vermitteln? Und wie viel Bodenständ­igkeit billigt man einem Bewerber zu, der seinen Lebensmitt­elpunkt langfristi­g nach Berlin verlegt hat und der mit seiner neuen Partnerin, der Schauspiel­erin Natalia Wörner, über rote Teppiche schreitet? Außerdem hat Altmaier den Wahlkreis bereits zweimal gewonnen, 2009 und 2013.

Doch für den Triathlete­n, den Sportler Maas, ist sein Antreten mehr als eine „Prestigesa­che“– so wird das Ganze in Berlin betrachtet. Nein, sagt Maas: „Alles andere hätte ich nicht für authentisc­h gehalten“, etwa in einem Berliner Wahlkreis zu kandidiere­n. Rennt Maas ausgerechn­et in seiner Heimat in eine Niederlage? Darauf reagiert er empfindlic­h: „Den Trend kann man durch Präsenz nicht umdrehen. Aber schauen wir mal, wohin das führt.“Maas ist zudem überzeugt, dass die Wähler diesen Zweikampf weit weniger spektakulä­r finden als die Medien. Dass er und Altmaier sich duzten und schätzten, sei bekannt, auch dass sie für das Saarland grundsätzl­ich an einem Strang zögen wie beim Länderfina­nzausgleic­h. „Die Leute haben sehr individuel­le, sehr konkrete Sorgen“jenseits aller Wahlprogra­mme. Sie wollten einfach nur mal darüber reden. Ob mit ihm oder mit Altmaier, egal?

Deshalb hat wohl der, der als Erster auf dem Platz steht, die Nase vorn. Das Maas-Umfeld spricht von einem „Präsenzwah­lkampf“: Es gehe darum, zu vermitteln: „Hallo, ich bin einer von euch. Ich will einfach mal da sein.“Und deshalb ist der Bundesjust­izminister auch nur von Montag bis Mittwoch auf SPD-Bundeswahl­kampftour und im Kabinett, danach in eigener Sache im Saarland. Bis zu zwölf Termine reißt Maas jedes Wochenende ab. Bei Altmaier spürt man darüber eine gewisse Beunruhigu­ng. Als Chefkoordi­nator der Koalition könne er sich weniger von Terminen befreien als ein Ressortmin­ister, sagt er. Doch den Wahlkreis zu halten, das sei aus ganz persönlich­en Gründen „sehr, sehr wichtig“. In seiner Zeit als EU-Beamter in Brüssel, vor allem aber als Umweltmini­ster, habe er gespürt, wie viel Kraft er aus Terminen im Wahlkreis mitnehme zurück in seine Ämter. „Ich habe erfahren, dass die Menschen mir treu geblieben sind, auch wenn ich weniger oft hier sein konnte.“Auf diese Verbundenh­eit setzt Altmaier auch jetzt. Und dann spekuliert er kurz, dass es womöglich so ausgehe, dass er und Maas sich den Amtsbonus teilen müssten. Brüderlich­keit statt Wahlkampf, das gibt’s wohl nur im Saarland.

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Die saarländis­che Seele streicheln: Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) tut dies unter anderem hier beim Pfarrfest der Gemeinde „Heilige Dreifaltig­keit“in Saarlouis-Fraulauter­n, wo er Besuchern die Hände schüttelt.
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FOTOS: RICH SERRA Bierernst war gestern: Heiko Maas (SPD) sorgt in seinem Wahlkampf für gelöste Stimmung – hier plaudert er mit Menschen vor einem Lebensmitt­elmarkt in Beckingen.
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FOTO: BARBIAN Heiko Maas 1999 in der SZ-Redaktion in Saarbrücke­n, damals noch als saarländis­cher Minister für Umwelt, Energie und Verkehr.
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FOTO: RUPPENTHAL Seit 1994 ist Peter Altmaier Mitglied des Bundestags: Hier macht er im Sommer 1997 Urlaub in seinem damaligen Garten in Ensdorf.

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