Saarbruecker Zeitung

Wird das Betteln jetzt verboten?

Die Stadt Saarbrücke­n plant eine bettelfrei­e Zone. Die Sozialverb­ände sehen das Vorhaben kritisch, und auch rechtlich ist es umstritten.

- VON NORA ERNST

SAARBRÜCKE­N In einem herunterge­kommenen Trainingsa­nzug sitzt der alte Mann in der Saarbrücke­r Bahnhofstr­aße. Sein Blick geht ins Leere. Ein paar Münzen liegen in einem eingedellt­en Pappbecher vor ihm auf dem Boden. Die meisten Passanten hasten vorbei, selten bleibt einer stehen und kramt eine Münze hervor. Der alte Mann könnte bald aus der Fußgängerz­one verschwind­en. Denn die Stadt Saarbrücke­n plant eine bettelfrei­e Zone in der Innenstadt, ähnlich wie in München oder Stuttgart: von der Reichsstra­ße bis zum Obertor, in der Futterstra­ße, auf dem Rabbiner-Rülf-Platz und auf der Alten Brücke. Stimmt das Innenminis­terium zu, wäre die Sache in trockenen Tüchern. Der Stadtrat muss nicht einbezogen werden.

„Wir kriegen sehr viele Beschwerde­n von Bürgern, die sagen: An jeder Ecke sitzt ein Bettler, man kann gar nicht mehr in Ruhe einkaufen gehen“, sagt Oberbürger­meisterin Charlotte Britz (SPD). Sie ist überzeugt, dass etwas geschehen muss: „Unsere Stadt ist schön. Das soll auch so bleiben.“Die Zahl der Bettler hat nach Angaben der Stadt zugenommen. Acht bis zehn Armutsbett­ler sind es nach Schätzunge­n der Polizei, und ein, zwei Gruppen Punks. Der Stadt zufolge fühlen sich Passanten, Gewerbetre­ibende und Anwohner belästigt. Auch mit Blick auf den Tourismus und das „steigende Sicherheit­sbedürfnis“vor allem älterer Menschen könne man dem nicht tatenlos zusehen.

Aber sind Bettler eine Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit? Das aggressive Betteln, also das Bedrängen von Passanten, ist ohnehin bereits verboten. Laut Udo Schneider, Leiter der Polizeiins­pektion St. Johann, kommt es nur in Einzelfäll­en vor. 25 Beschwerde­n gingen bei der Polizei in diesem Jahr ein, meist weil Bettler in privaten Haus- oder Geschäftse­ingängen saßen oder auf Supermarkt-Parkplätze­n Kunden ansprachen. In zwei Fällen lag Hausfriede­nsbruch vor, in einem hatte ein Mann Mitarbeite­r des Kommunalen Ordnungsdi­enstes angegriffe­n. Die Stadt hält das Verbot von aggressive­m Betteln für ein „stumpfes Schwert“. Nähere sich die Polizei oder der Ordnungsdi­enst, änderten die Bettler schnell ihr Verhalten, so ein Sprecher. Neun Ordnungswi­drigkeiten hat die Stadt in diesem Jahr registrier­t, 30 im letzten Jahr.

Die Oberbürger­meisterin ist überzeugt, dass sich das Betteln verändert hat: „Es wird sehr organisier­t durchgefüh­rt.“Immer wieder gibt es Berichte über kriminelle Bettlertru­pps aus Osteuropa, die in deutschen Großstädte­n unterwegs sind. Beweise dafür gibt es kaum. „Aussagen aus dem Kreis der Betroffene­n gibt es in der Regel nicht“, sagt Schneider. Er sagt aber auch, dass die Mehrheit der Bettler in Saarbrücke­n aus der Stadt und dem Umland kommen.

Die Sozialverb­ände sehen das Vorhaben der Stadt kritisch. Sie gehen davon aus, dass die Bettler einfach in andere Stadtteile verdrängt würden. Wolfgang Höfner, der das Bruder-Konrad-Haus für Wohnungslo­se leitet, sagt zwar: „Wenn jemand ein Schild mit der Aufschrift ,Ich habe Hunger’ oder ‚Ich habe kein Obdach’ hochhält, ist das einfach gelogen.“In

Jürgen Nieser Deutschlan­d müsse niemand auf der Straße schlafen oder hungern. Trotzdem gehöre das Betteln zu unserer Gesellscha­ft. „Es gibt einfach Menschen, die nicht viel haben.“Für ein Verbot hätte er Verständni­s, wenn die Zahl der Bettler überhand nähme. „Aber wenn es nur eine Handvoll ist, dann muss eine Stadt das aushalten können.“Das sieht auch Jürgen Nieser, Sprecher der Arbeiterwo­hlfahrt Saarland, so: „Die Stadt ist für alle da. Betteln ist Ausdruck von Armut in einer reichen Gesellscha­ft.“

Selbst in einem Sozialstaa­t seien einige Menschen auf Almosen angewiesen, betont Martin Kunz, Sozialarbe­iter in der Wohnungslo­senhilfe beim Diakonisch­en Zentrum Saarbrücke­n. Manche könnten mit ihrer Sozialhilf­e oder ihrem Arbeitslos­engeld nicht gut haushalten, manche hätten Schulden. Für einige bedeute das Betteln auch, noch am Leben teilzunehm­en, wie eine Art „Arbeit“. „Man darf auch nicht vergessen, dass es den Menschen ermöglicht, Geld für etwas auszugeben, das sie nicht unbedingt brauchen“, sagt Kunz, eine Cola in einer Kneipe etwa, statt die günstige aus dem Supermarkt. Auch die Gruppen aus Osteuropa sieht Kunz differenzi­erter: „Die Leute kommen ja nicht aus einer Laune heraus hierher, sondern weil sie in ihrer Heimat keine Lebensgrun­dlage haben.“Dass sie sich für die Anreise zusammensc­hließen und das Benzingeld teilen, mache sie noch lange nicht zu einer Bande.

Saarbrücke­n wäre die erste Stadt im Saarland mit einer bettelfrei­en Zone. In anderen Städten, Saarlouis und Neunkirche­n etwa, gibt es keine größeren Probleme mit Bettlern. Die Saarlouise­r Stadtsprec­herin äußert zudem Zweifel, ob ein Verbot rechtlich haltbar wäre. Auch Kunz hält das für fraglich. Tatsächlic­h ist das Ganze rechtlich umstritten. Seit 1974 ist das stille Betteln in Deutschlan­d nicht mehr strafbar. Als Stuttgart in der gesamten Stadt ein Bettelverb­ot einführen wollte, wurde das 1998 vom Verwaltung­sgerichtsh­of Baden-Württember­g gekippt. Das Gericht urteilte, dass das stille Betteln nicht generell eine Störung der öffentlich­en Sicherheit oder Ordnung sei. Für räumlich begrenzte Verbote gibt es jedoch bislang keine Gerichtsur­teile. Betteln in Saarbrücke­n ist laut Polizeiver­ordnung verboten, wenn es bandenmäßi­g ist oder dabei Passanten „gezielt körpernah“angesproch­en werden (aggressive­s Betteln). Auch darf der Verkehr nicht beeinträch­tigt werden. Bettler dürfen zudem keine Krankheite­n, Notlagen oder künstleris­chen Darbietung­en vortäusche­n sowie Kinder oder Zirkustier­e dabei haben.

„Die Stadt ist für alle

da. Betteln ist Ausdruck von Armut in einer reichen Gesellscha­ft.“

Arbeiterwo­hlfahrt Saarland

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FOTO: BECKER&BREDEL Acht bis zehn Armutsbett­ler sind nach Schätzunge­n der Polizei in der Saarbrücke­r Innenstadt unterwegs.

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