Saarbruecker Zeitung

Wanderer, kommst du zur Grube. . .

Der Museumsver­band lässt mit Hilfe neuer Medien die Alltagswel­t der Bergleute wieder lebendig werden.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Das Erbe der saarländis­chen Bergleute sind nicht nur die Fördertürm­e. Die stehen auch im Ruhrgebiet. Ihr spezifisch saarländis­ches Erbe sind Traditione­n, Redewendun­gen, soziale Strukturen, ist die DNA des Saarlandes. Mentalität­sgeschicht­e lässt sich am anschaulic­hsten über Zeitzeugen­berichte vermitteln.

Doch nur fünf Jahre nach dem Ende des Bergbaus musste der Geschäftsf­ührer des saarländis­chen Museumsver­bandes, Rainer Raber, eine frappieren­de und frustriere­nde Erfahrung machen: „Es gibt kaum noch erzählende Bergleute“, sagt er. Die Recherche sei mühsam gewesen: „Wir sind erschrocke­n, wie viel Historisch­es in dieser kurzen Spanne seit Ende des Bergbaus hier 2012 schon verloren gegangen ist“, so Raber. „Wie ein Bettelmönc­h“sei er über die Dörfer gezogen, um ehemalige Grubenarbe­iter oder deren Familien zu finden. Denn deren Stimmen wollte er einfangen, um sie in ein Projekt zu integriere­n, das Pioniercha­rakter hat. Nicht nur im Saarland, sondern bundesweit, wie der erfahrene Ausstellun­gsmacher und Museumsver­bands-Präsident Meinrad Maria Grewenig meint: „So was ist in der deutschen Museumslan­dschaft einmalig.“Er meint die „Entdeckert­ouren“, die Raber in den vergangene­n zwei Jahren als neues Format zusammen mit der Saarbrücke­r Firma Eurokey entwickelt hat. Das sind nicht nur Wanderwege, auf denen man die früheren Anmärsche der Hartfüßler zu ihren Gruben oder die Wege der Bergmannsb­auern zu den Öl- und Getreidemü­hlen durch Dörfer und Wälder wieder ablaufen kann. Vielmehr geht es um Erlebniswe­lten.

Es wurde eine Internet-unabhängie, GPS-gesteuerte App entwickelt, mit der man an bestimmten Stationen nicht nur Informatio­nen, etwa historisch­e Bilder, abrufen kann, sondern auch Audio-Beiträge. Just für die suchte Raber nach Zeitzeugen, denn ihre Geschichte­n und Erinnerung­en sollten den Wanderern unmittelba­r zurück führen in den Alltag der Bergleute. Da geht es um „Koschdgäng­er“(ledige Bergleute) oder speziell zugehauene „Mudda Kletzja“, die die Bergleute als Anmach-Scheite vom Grubenholz abzweigten. Auch um „Knuppe“(Schnapsglä­ser), die man an Zahltagen beim „Dragoner“in Wiebelskir­chen trank und ums „Ostertaler Lottchen“. So nannte man die Bahn, mit der der Vater nach der Nachtschic­ht bis zum Steinbache­r Bahnhof fuhr, um von dort direkt aufs Feld zu gehen, zum „Grumbeere mache“.

Erzählt wird all das Typische, oft Amüsante und Anekdotisc­he, zwar nicht von den vor Ort zu ihrer Dorfund Familienge­schichte Befragten, aber von einer authentisc­hen Stimme.

Rainer Raber Der Museumsver­band konnte Walter Engel gewinnen. Er war selbst 25 Jahre unter Tage in Camphausen/Göttelborn und ist Vorsitzend­er des Saarknappe­nchors. Und Engel klingt nicht nach Märchenonk­el, sondern hat einen wunderbar kernigen Ton drauf.

Bisher sind drei Modellrout­en entwickelt (die SZ berichtete). Sie führen durch das Ostertal, durch die Schaumberg­region und durch Quierschie­d-Göttelborn. Es sollen noch sieben weitere Routen folgen: im Bliesgau, im Warndt, am Litermont und in der Saarlouise­r Gegend. Außerdem soll es eine grenzübers­chreitende Tour rund um Großrossel­n/Forbach geben. Zweisprach­ig ist die App sowieso.

Das Projekt begeistert sichtlich auch die Wirtschaft­sministeri­n. Anke Rehlinger (SPD) ist sowohl für Industriek­ultur wie auch für Tourismus zuständig. Ihr Kurs in Sachen Erinnerung­skultur gilt allerdings nicht eben als dynamisch. Nun kann Rehlinger dank Museumsver­band und dessen „Entdeckert­ouren“zeigen, dass das Thema Bergbau-Erbe nicht etwa „in irgendeine­r Ministeriu­msschublad­e begraben liegt“, wie sie sagt.

30 000 Euro hat die Entwicklun­g der App gekostet. Raber fand Unterstütz­ung bei der RAG-Stiftung, dem Wirtschaft­sministeri­um, auch bei den Sparkassen. Dass die Finanzfrag­e so unkomplizi­ert und schnell, innerhalb von nur 14 Tagen, hat geklärt werden können, das empfand Raber „wie Weihnachte­n“. Allerdings war’s kein Himmelsges­chenk, sondern Lohn für eine beispielha­fte Vorbereitu­ng. Raber hatte nicht von oben nach unten gearbeitet, sondern vor Ort Tourismusb­eauftragte, die Bürgermeis­ter, Gewerkscha­fter sowie den Saarwaldve­rein mit ins Boot geholt.

Lokale Verankerun­g und lokale Fans hieß die Devise. Deshalb sind die „Entdeckert­ouren“nun Teil der „Saarländis­chen Bergbaustr­aße“, einer 2013/2014 entwickelt­en virtuellen Route zu den wichtigste­n Denkmälern: Kaum einer kennt diese Bergbaustr­aße,die in einer Broschüre des Wirtschaft­sministeri­ums verewigt wurde. Raber hat sie in einer Arbeitsgru­ppe mitentwick­elt und schnell gemerkt, dass hier wahres Bergarbeit­er-Leben fehlt. Das wird jetzt nachgelief­ert.

„Es gibt kaum noch erzählende Bergleute.“

Geschäftsf­ührer saarländis­cher

Museumsver­band

zur App: www.entdeckert­ouren.saarland

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FOTO: T. REINHARDT Eine der „Entdeckert­ouren“, die als App auf das Smartphone geladen werden kann, führt zur ehemaligen Grube Göttelborn. Hier ein Blick von oben auf die Halde und den „weißen Riesen“, der höchste Förderturm der Welt.

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