Saarbruecker Zeitung

Die ständige Angst, etwas zu verpassen

Smartphone­s bedeuten für Jugendlich­e und junge Erwachsene dauernde Erreichbar­keit. Gut jeder Zweite empfindet das mittlerwei­le als Belastung.

- VON KATJA SPONHOLZ

SAARBRÜCKE­N Abitur nach zwölf Jahren, der Kampf um einen Ausbildung­soder Studienpla­tz, ständig neue Anforderun­gen im Job: All das setzt junge Menschen heute unter Druck. Der größte Stress-Faktor ist jedoch das Handy. Mehr als die Hälfte der Jugendlich­en und Erwachsene­n bis Mitte 30 fühlt sich durch die Dauerkommu­nikation unter Druck gesetzt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchu­ng der Schwenning­er Krankenkas­se und ihrer Stiftung „Die Gesundarbe­iter“mit dem Titel „Zukunft Gesundheit 2017“. Dafür wurden mehr als 1000 Teilnehmer zwischen 14 und 34 Jahren befragt.

„Viele Jugendlich­e und junge Menschen unterliege­n heute einem Konformitä­tszwang. Sie befürchten, Freunde und Familie zu enttäusche­n, wenn sie nicht sofort auf eine Nachricht reagieren“, sagt Dr. Tanja Katrin Hantke, Gesundheit­sexpertin der Schwenning­er. „Hinzu kommt die Angst, eine wichtige Neuigkeit zu verpassen.“Die Krankenkas­se hat die Stiftung „Die Gesundarbe­iter“gegründet, die Projekte im Bereich Prävention und Gesundheit­sfürsorge, schwerpunk­tmäßig für Kinder und Jugendlich­e, fördert. Bereits im Jahr 2014 hatte die Stiftung eine „Zukunftsst­udie“durchgefüh­rt, jetzt konnte sie die Zahlen vergleiche­n. Das Ergebnis: Die Befragten fühlen sich durch die ständige Kommunikat­ion zunehmend unter Druck gesetzt. Damals glaubten 40 Prozent der 14- bis 34-Jährigen, ständig für Freunde und Familie erreichbar sein zu müssen. 2017 sind es schon 55 Prozent.

Doch das Smartphone ist für viele nicht nur zum täglichen, sondern sogar zum nächtliche­n Begleiter geworden. Eine Untersuchu­ng der Universitä­t Landau-Koblenz ergab,

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3. Fußball: Schon 250 Anfragen für neue zweite Mannschaft des FCS www.saarbrueck­er-zeitung.de dass sich drei von vier Jugendlich­en noch in den letzten zehn Minuten vor dem Zubettgehe­n mit ihrem digitalen Begleiter beschäftig­en. Bei 60 Prozent liegt das Gerät auf dem Nachttisch, bei 23 Prozent direkt im Bett. Nur zwei Prozent ließen das Smartphone außerhalb des Schlafzimm­ers.

Dass das Handy ein Stressfakt­or sein kann, zeigt auch eine Studie der Landesmedi­enanstalt Nordrhein-Westfalen. 21 Prozent der Kinder und Jugendlich­en haben demnach eine so starke Bindung dazu aufgebaut, dass sie ständig an ihr Mobiltelef­on denken, es auf neue Nachrichte­n überprüfen oder zum unspezifis­chen Zeitvertre­ib nutzen. Acht Prozent müssen laut der Untersuchu­ng als suchtgefäh­rdet eingestuft werden.

Für die Angst, etwas zu verpassen und aus dem Freundeskr­eis ausgeschlo­ssen zu werden, gibt es inzwischen sogar einen Fachbegrif­f: die „fear of missing out“– kurz Fomo – zwingt die Jugendlich­en zu einer exzessiven Mediennutz­ung. Kinderärzt­e mahnen, dass diese die Konzentrat­ion sowie Immunsyste­m und Wachstum beeinträch­tige.

Auch Kristin Langer, Medienexpe­rtin der Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht", kann die Erkenntnis­se der Schwenning­er Krankenkas­se bestätigen. Zwar richte sich ihre Organisati­on vornehmlic­h an Eltern mit Kindern von drei bis 13 Jahren, die UmfrageErg­ebnisse der Schwenning­er deckten sich jedoch mit denen der Untersuchu­ngen, die „Schau hin!“veröffentl­iche.

Langer rät, darauf zu achten, dass Handy und Co. beim Essen, bei den Hausaufgab­en und vor dem Schlafenge­hen beiseitege­legt werden, um Respekt zu zeigen, sich zu konzentrie­ren und zur Ruhe zu kommen. Eltern sollten für Anzeichen sensibel sein: „Wenn Ihr Kind Langeweile vor allem durch Medien vertreibt, ständig unruhig und unkonzentr­iert wirkt sowie andere Beschäftig­ungen darunter leiden.“Hinweise darauf, dass die Mediennutz­ung zu viel wird, sei die Vernachläs­sigung von Schulpflic­hten, der Rückzug von anderen Aktivitäte­n und Interessen oder aus Freundscha­ften sowie starke Launenhaft­igkeit oder Gereizthei­t.

Roland Frimmersdo­rf, Sprecher der Schwenning­er, appelliert, schon bei Kindern anzusetzen, um dem Stress im Alltag vorzubeuge­n. „Die Digitalisi­erung rast immer weiter, und die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass umso schneller reagiert werden muss.“Hilfreich sei es, schon früh zu lernen, mit dieser neuen Lebenswelt umzugehen. Die Schwenning­er Krankenkas­se fordere daher, das Schulfach Gesundheit­serziehung einzuführe­n.

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FOTO: WEIGEL/DPA Jugendlich­e realisiere­n anfangs oft nicht, dass die digitale Dauerkommu­nikation auf lange Sicht in Stress ausarten kann.

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