Saarbruecker Zeitung

Fingerspit­zengefühl im doppelten Sinn

Medizinisc­he Sektionsas­sistenten helfen Ärzten dabei herauszufi­nden, woran ein Mensch gestorben ist. Dazu ist nicht nur viel Fachwissen erforderli­ch, sondern auch großes Feingefühl beim Umgang mit Angehörige­n.

- VON TERESA NAUBER

BERLIN (dpa) Es gibt diesen Moment, wenn die Säge auf die Schädelpla­tte eines Menschen trifft: ein kreischend­es, surrendes Geräusch. Das muss man schon aushalten können, wenn man machen möchte, was Lucie Fechner macht. Die 24-Jährige präpariert Leichen. Sie steht kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Medizinisc­hen Sektionsas­sistentin.

Wenn ein Mensch stirbt, dann ist es manchmal notwendig, genau nachzuprüf­en, woran es lag – nicht nur nach einem Verbrechen, sondern auch nach Todesfälle­n in einem Krankenhau­s. War der Verstorben­e oder sind seine Angehörige­n einverstan­den, wird die Leiche in den Sektionssa­al des pathologis­chen Instituts gebracht und dort von einem Sektionsas­sistenten in Empfang genommen. 200 bis 300 Mal geschieht das jedes Jahr in der Pathologie der Berliner Charité, wo Lucie Fechner derzeit ihre Ausbildung macht.

Die junge Frau bereitet dann alles für die sogenannte Sektion vor. Sie öffnet den Körper des Toten mit einem Skalpell und legt zum Beispiel das Organ, das untersucht werden soll, Stück für Stück frei. Haut, Fett, darüber liegende Strukturen nimmt sie vorsichtig heraus, bis sie da angekommen ist, wo die vermutete Todesursac­he liegt. „Das kann zum Beispiel ein Thrombus, also eine Verkalkung in einem Gefäß, sein“, erklärt Fechner. Rund fünf Stunden dauert so eine Sektion. „Sektionsas­sistenten machen aber noch viel mehr“, erklärt Anistan Sebastiamp­illai, der die neuen Assistente­n an der Charité ausbildet. Sie betreuen die Angehörige­n der Verstorben­en, sie dokumentie­ren, was der Facharzt gesehen hat, sie tragen die Verantwort­ung für den Sektionssa­al und sie bereiten die Leichen nach einer Sektion für den Bestatter vor.

„Man muss sehr schnell umschalten können“, sagt Sebastiamp­illai. Im einen Moment hat man noch eine Lunge vor sich, die fachgerech­t für die Lehre aufbereite­t werden muss, im nächsten Moment stehen Angehörige vor der Tür, die sich von einem geliebten Menschen verabschie­den möchten. „Da ist Fingerspit­zengefühl gefragt, das man den Azubis nicht beibringen kann. Sie müssen das selbst mitbringen.“

Wenn Anistan Sebastiamp­illai Kandidaten für die einjährige Ausbildung auswählt, achtet er deshalb vor allem auf ihre soziale Kompetenz. 200 Bewerbunge­n erreichen ihn im Schnitt. Neben der Berliner Uniklinik gibt es deutschlan­dweit nur noch eine weitere Schule, die Sektionsas­sistenten ausbildet: das Walter-Gropius-Berufskoll­eg in Bochum. Dort werden allerdings sogenannte Präparatio­nstechnisc­he Assistente­n für Medizin, Biologie oder Geowissens­chaften ausgebilde­t. Dort dauert die Ausbildung auch nicht nur zwölf Monate, sondern drei Jahre. Mitbringen müssen die Kandidaten in Bochum einen mittleren Schulabsch­luss, für die Ausbildung in Berlin genügt ein Hauptschul­abschluss.

Anistan Sebastiamp­illai lädt 50 Kandidaten zum Probearbei­ten ein. Er drückt ihnen ein Skalpell in die Hand und lässt sie an einem Organ arbeiten. „Ich sehe schnell, ob jemand handwerkli­ch geschickt ist.“Noch wichtiger sei aber, dass der Anwärter respektvol­l mit dem Präparat umgeht. „Wir arbeiten an Menschen“, sagt der Ausbildung­sleiter. „Dass sie tot sind, spielt keine Rolle. Es bleiben Menschen, denen wir mit Respekt begegnen.“

Nach ihrer Ausbildung werden Medizinisc­he Sektionsas­sistenten in anatomisch­en, pathologis­chen und rechtsmedi­zinischen Instituten angestellt, erklärt Susanne Eikemeier von der Bundesagen­tur für Arbeit. Die gibt es zum Beispiel an Uniklinike­n, Krankenhäu­sern oder Laboren. Auch Gewebebank­en beschäftig­en die Absolvente­n. Weil es nur so wenige Ausbildung­splätze gibt, sind diese sehr gefragt.

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FOTO: HEINL/DPA Sektionsas­sistenten wie Lucie Fechner bereiten zum Beispiel Obduktione­n durch den Pathologen vor.

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