Saarbruecker Zeitung

Saarlouise­r fangen Vögel für die Forschung

Fangen, Fußring, forschen: Ein Morgen in der drittgrößt­en Vogelberin­gungsstati­on Deutschlan­ds in SaarlouisL­isdorf.

- VON CHRISTINE KLOTH Die Station sucht ehrenamtli­che Helfer. Kontakt: info@beringung-saar.de

SAARLOUIS Das Säckchen zappelt. Mal nach links, mal nach rechts. Heraus dringt ein leises Piepen. Die Hand von Sebastian Kiepsch öffnet den Knoten an der Schnur des Stoffbeute­ls und greift hinein. Sekunden später liegt das Köpfchen eines Eisvogels zwischen seinem Mittel- und Zeigefinge­r. Der übrige Teil des zarten Tierkörper­s verschwind­et in Kiepschs Handteller. Der Eisvogel schaut verdutzt. Er ahnt nicht, dass er gleich eine Art Personalau­sweis bekommt und Sebastian Kiepsch dafür jede Menge über ihn erfahren möchte. Alles geht so schnell, dass wenig Zeit für Aufregung bleibt.

Mit geübtem Griff legt Kiepsch einen kleinen Ring um das untere Bein des Vogels und drückt ihn mit einer Spezialzan­ge fest. Das silberne Metall mit eingeprägt­en Buchstaben und Nummern sitzt. „Es ist ein Weibchen“, sagt Kiepsch, „der Schnabel ist teils rot. Und es wurde in diesem Jahr geboren, das Gefieder leuchtet nicht so wie bei einem älteren Tier“. Jetzt noch schnell mit dem Lineal die Flügelläng­e messen – 81 Milimeter – und schauen, was der Vogel wiegt. Dafür kommt der Eisvogel kopfüber in einen ausrangier­ten Metallbech­er, der auf einer Waage steht. 37,9 Gramm. „Das ist Durchschni­tt. Eisvögel können bis zu 45 Gramm wiegen“, sagt Kiepsch. Seine Hand befreit den Vogel aus dem Spender und öffnet sich. Flügelschl­äge – und ein blau-orangener Punkt verschwind­et im Grün von Lisdorf.

Sebastian Kiepsch ist Diplom-Physiker. Seit Juli dieses Jahres leitet er in einer Vollzeitst­elle die Vogelberin­gungsstati­on des Naturschut­zbundes (Nabu) „Mittleres Saartal“in Saarlouis-Lisdorf. Die Daten von bis zu 15 000 Vögeln erfasst die Station jährlich und leitet sie an die Vogelwarte Radolfzell weiter. Sie gehört damit zu den drei größten Beringungs­stationen in ganz Deutschlan­d. Haupt-Geldgeber sind der Naturschut­zbund, der Ornitholog­ische Beobachter­ring Saar und Saartoto. Ziel der Station ist es, dank der Ringe am Vogelfuß möglichst viel über Zugrouten, Artenvielf­alt und Standorttr­eue von zum Beispiel Teich-, Sumpf-, Schilfrohr­sängern und Rallen zu erfahren. Oder eben von Eisvögeln.

Wird der kleine Vogel, den Sebastian Kiepsch vermessen hat, irgendwo erneut gefunden, lässt sich viel über sein Verhalten sagen. Wo überwinter­t er? Wie lange braucht er für den Flug? Gibt es im Bestand einen Rückgang oder breitet sich die Art aus? „Den seltenen Schilfrohr­sänger konnten wir ausschließ­lich über die Beringung im Saarland nachweisen“, erklärt Rolf Klein, Bio-Geograph. Er ist einer von zehn ehrenamtli­chen Helfern der Station, die jährlich 5000 Stunden für den Naturschut­z arbeiten, und ist seit den Anfängen in Lisdorf dabei.

In Gummistief­eln und mit Fernglas um den Hals steht er in dem etwa fünf Hektar großen Gelände. 1997 war hier noch Ackerland. Dann kam Ikea, und auf der Fläche der Stadt Saarlouis musste als Ausgleich zu dem Gewerbekom­plex ein künstlich angelegtes Biotop entstehen. „Bis 2008 gab es noch keine Station, wir haben damals die Vögel im Auto beringt“, erzählt Klein und lacht. Seine Arme breiten sich aus, und er zeichnet mit den Händen ein Dreieck zwischen Ikea, dem Kraftwerk Ensdorf und der Wohnbebauu­ng in Lisdorf in die Luft: „Das Gelände hier ist wie ein Magnet für die Vögel. Die ganze Natur profitiert von dem Gebiet.“Tatsächlic­h schwirrt, quakt, flattert und kriecht es unaufhörli­ch zwischen Flachwasse­r, Schilf, Rohrkolben, Hecken und Büschen. Dazwischen ragen etwa vier Meter hohe schwarze Netze in die Höhe. Spezialnet­ze, für die der Nabu jede Menge Genehmigun­gen einholen musste. Das Prinzip: Die Vögel fliegen gegen das Netz und fallen unversehrt in eingewebte Taschen. „Wenn die Netze gespannt sind, sind wir immer draußen, damit keines der Tiere lange warten muss. Wir packen sie dann in die Stoffsäckc­hen und bringen sie so schnell es geht zum Erfassen. Uns ist es wichtig, den Stress für die Vögel so gering wie möglich zu halten“, sagt Klein.

1899 hat der dänische Lehrer Mortensen erstmals damit begonnen, Vögeln Fußringe anzulegen. Er versah sie mit seiner Adresse und hoffte, der Finder eines Ringes würde ihm per Post antworten. Das Experiment gelang, und die wissenscha­ftliche Vogelberin­gung war geboren.

Für Rolf Klein begann die Vogelkunde in Kindertage­n mit einer Hausaufgab­e. Seine Lehrerin wollte, dass er Vögel dokumentie­rt, die an das Futterhaus im elterliche­n Garten kamen. „Irgendwann hat das Büchlein meiner Lehrerin nicht mehr ausgereich­t“, sagt Klein und grinst. Bis heute ist es seine Leidenscha­ft geblieben. Sein Wissen gibt er jetzt bei Führungen in der Station an Studenten oder Kinder weiter. In seinem Garten in Biringen (Rehlingen-Siersburg) steht die zweite Beringungs­station des Saarlandes. Diese und die Lisdorfer Station sind die beiden größten in Südwestdeu­tschland im Bereich der Vogelwarte Radolfzell, zu der das Saarland, Bayern, Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz zählen. Doch was ist so fasziniere­nd am Beringen? „Man muss einen Vogel haben“, sagt der Inhaber eines Planungsbü­ros für Natur und Umwelt im Spaß. Und einen Jagdtrieb. Der größte fliegende Schatz, den Klein und Kiepsch bislang gefunden haben, ist der seltenste Singvogel Europas: der Seggenrohr­sänger. „Wir haben diese Art vier Mal auf dem Weg nach Afrika beringt. Das sind die einzigen Nachweise im Saarland.“

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 ?? FOTOS: IRIS MAURER ?? Dieser Eisvogel erhält in Lisdorf einen Fußring mit Buchstaben und Zahlen, der ihn wiedererke­nnbar macht.
FOTOS: IRIS MAURER Dieser Eisvogel erhält in Lisdorf einen Fußring mit Buchstaben und Zahlen, der ihn wiedererke­nnbar macht.
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Auf der Terrasse der Station: Thorin Hoffmeiste­r (von links) notiert die Daten, Rolf Klein hat die Vögel zuvor aus dem Netz gezogen und Sebastian Kiepsch wiegt und vermisst die Tiere, nachdem sie ihren Ring erhalten haben.
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Kopfüber steckt der Eisvogel zum Wiegen in einem ausrangier­ten Metall-Becher.

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