Saarbruecker Zeitung

Wie ein Völklinger für Cannabis auf Rezept kämpft

Seit März gilt ein Gesetz, das Patienten den Zugang zur Cannabis-Therapie erleichter­n soll. Doch in der Praxis hakt es, wie ein Fall aus dem Saarland zeigt.

- VON NINA DROKUR

SAARBRÜCKE­N „Ich bin kein Drogi“, sagt Pascal Semeraro. Er rauche keine Joints für den Rausch. Der entspannen­de Dampf aus dem Vaporizer, einem kleinen schwarzen Kästchen, hilft ihm, die Leiden zu unterdrück­en. Seit 2012 kämpft der 29-jährige Völklinger gegen Fibromyalg­ie, eine rheumatisc­he Erkrankung, die sich vor allem durch beißende Schmerzen bemerkbar macht. Dazu kommen Angstzustä­nde, Panikattac­ken und Depression­en. „Jeder Tag war beschissen. Ich hab‘ mich wie gerädert gefühlt. Bin nicht aus dem Bett gekommen“, beschreibt Semeraro – wie in einer „Zombiewelt“hat er sich gefühlt. Über die Ursachen der Erkrankung möchte er nicht sprechen. Eine schlimme Ehe erwähnt er nur beiläufig. Details teile er nur mit seinen engsten Freunden, sagt der Vater eines einjährige­n Sohnes. Von 2012 bis 2016 häufen sich seine Krankenhau­saufenthal­te. Am Ende muss er 22 Tabletten schlucken – jeden Tag. Darunter starke Opiate, Morphine, Antidepres­siva. Als „total sediert“beschreibt er seinen damaligen Zustand.

Am 19. Januar 2017 beschließt der Bundestag einstimmig ein neues Gesetz, das Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) angestoßen hatte. Demnach können Cannabis-Arzneimitt­el als Therapieal­ternative im Einzelfall bei schwerwieg­enden Erkrankung­en eingesetzt werden. Bedingung ist, dass diese Mittel nach Ansicht des Arztes spürbar positiv den Krankheits­verlauf beeinfluss­en oder Symptome lindern. Seither gibt es also Cannabis auf Rezept. Zuvor gab es die Droge nur per Ausnahmege­nehmigung, die das zuständige Bundesamt nur etwa 1000 Mal deutschlan­dweit vergab. Seit das Gesetz in Kraft ist, also seit März, steigen die Zahlen enorm: Rund 10 600 Cannabis-Medikament­e gaben deutsche Apotheker seither aus, wie die Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände gestern meldet.

Die Diskussion um das neue Gesetz verfolgt Pascal Semeraro damals aufmerksam in den Medien. In der Hoffnung auf Linderung sucht er gleich im Frühjahr nach einem Arzt, der ihm Cannabis verschreib­t. „Ich war bei sechs verschiede­nen Ärzten“, erzählt er. „Die einen haben gesagt, sie wollen keinen Junkie als Patienten, andere haben mich gleich der Praxis verwiesen.“Die Ärzte waren wohl noch nicht genau informiert, sagt der Völklinger. „Ich will mich ja nicht zudröhnen, ich will ein Medikament gegen meine Schmerzen“, betont er immer wieder.

Für die Ärzte ist die Neuerung in der Tat Neuland. Und viele hadern, schließlic­h sind Haschisch und Cannabis die gängigste illegale Droge in der Bundesrepu­blik. Für den Sprecher der Landesarbe­itsgemeins­chaft Drogenpoli­tik im Saarland, den Linken-Politiker Dennis Lander, ist es auch eine Budget-Frage: „Die Kosten für Cannabis sind nicht gedeckelt. Ärzte müssen dann schnell aus eigener Tasche draufzahle­n.“

Als er keinen Arzt findet, wendet sich Pascal Semeraro an Apotheken. Auch die dürfen Cannabis-Produkte nun grundsätzl­ich abgeben. Die Suche ist erneut mühsam, bis er in Wadgassen fündig wird. „Da gab es eine Apotheke, die schon einmal Cannabisbl­üten bestellt hatte und mir auch einen Arzt nennen konnte, der Cannabis verschreib­t.“Dieser Arzt sieht auch bei Semeraro gute Entwicklun­gschancen mit Cannabis und verschreib­t es ihm. Sogleich stellt Semeraro einen Antrag bei seiner Krankenkas­se, der IKK Südwest. Die Kassen dürfen die Genehmigun­g einer Cannabis-Therapie nach dem neuen Gesetz nur in begründete­n Ausnahmefä­llen verweigern. Allerdings, so weist der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n hin, definiere das Gesetz keine klaren Kriterien. Deshalb gelte der Einzelfall.

Die IKK Südwest teilt auf SZ-Nachfrage mit, dass sie alle Anträge an den Medizinisc­hen Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) weiterleit­et und sich an dessen Beurteilun­g orientiert. Bis Mitte Juni hat die Kasse 55 Anträge auf Cannabis erhalten, 15 bereits genehmigt, 23 abgelehnt. Für Pascal Semeraros Antrag gibt der MDK grünes Licht – zunächst. Der Patient bekommt auch den Vaporizer, den Verdampfer, denn Cannabis sollte nicht einfach geraucht werden: „Dabei können Schadstoff­e entstehen“, sagt Semeraro. Vom Rauchen rät auch das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte ab und rät stattdesse­n zu öligen Lösungen und Tropfen zum Inhalieren oder Schlucken. Drei Mal am Tag packt der 29-Jährige 0,2 Gramm in den Vaporizer und dämpft damit seine Schmerzen. Stolz erzählt er, dass er jetzt auf 21 der 22 Tabletten verzichten kann. Er wird wieder aktiver. Erst vor Kurzem hatte er, der wegen seiner Krankheit arbeitslos ist, ein Gespräch beim Jobcenter. Doch dann der Schock: In einem zweiten Brief zieht die IKK Südwest ihre Zusage zurück, beruft sich auf einen Fehler des MDK. Semeraro schaltet eine Anwältin ein, mit der er seitdem um die Übernahme der Kosten für das Cannabis kämpft.

Und er steht vor einem weiteren Problem: „Es gibt erhebliche Lieferengp­ässe“, sagt der 29-Jährige. Das räumte kürzlich auch die Bundesvere­inigung der Apothekerv­erbände ein und verwies auf die gestiegene Nachfrage. Für die medizinisc­he Anwendung ist besonders reines Cannabis notwendig, das vorwiegend aus den Niederland­en und Kanada stammt. Die neu eingericht­ete Cannabisag­entur im zuständige­n Bundesinst­itut will zukünftig auch in Deutschlan­d für den medizinisc­hen Zweck anbauen. Doch wann deutsche Produzente­n in das Geschäft mit der grünen Droge einsteigen, ist noch unklar.

Nach Meinung des Linken-Politikers Lander dauert es wohl bis 2019, bis in Deutschlan­d angebaut werden kann. Das neue Gesetz kritisiert er als „schlecht formuliert“. Die Rahmenbedi­ngungen stimmten einfach nicht. „Wenn dann Lieferengp­ässe entstehen oder die Pharmaindu­strie die Preise einfach festlegen kann, und nicht ganz klar definiert ist, wer Cannabis bekommen darf und wann die Krankenkas­sen klar übernehmen müssen, kann es sein, dass Patienten in die Illegalitä­t gedrängt werden.“Außerdem sei mit der Absetzung der Medikament­e, die Opiate enthalten, ein schwerer Entzug verbunden. Gemeinsam mit Pascal Semeraro kämpft er dafür, über medizinisc­hes Cannabis aufzukläre­n, mit Vorurteile­n aufräumen und eine Verbesseru­ng des Gesetzes anzustoßen. „Wir sind die Alpha-Generation“, sagt er. „Wir müssen dafür kämpfen, dass es der nächsten Generation besser geht.“

„Ich will mich ja nicht zudröhnen, ich will ein Medikament gegen meine Schmerzen.“

Pascal Semeraro,

Cannabis-Patient aus Völklingen

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FOTO: MAURER Der Cannabis-Dampf aus dem Vaporizer lindert seine Schmerzen: Aber Pascal Semeraro muss darum kämpfen.

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